ging dann wieder zurück nach Straßburg. -- Friedrich Heisch war ein junger Mann von einundzwanzig Jahren, ein wahres unschuldiges Naturkind. Er hatte die Handlung in einem guten Hause in Straßburg sieben Jahre lang gelernt, war fünf davon in seine Prinzipalin verliebt gewesen, und sprach ihren Namen nicht aus ohne Erröthen. Seine Seele war rein wie Krystall, er wußte von allem Bösen nichts wie die Namen, und hatt' ein sehr gefühlvolles Herz, das ganz ungetheilt und mit vollem Ver¬ trauen sich hingab! Sie können leicht denken, daß eine so seltene Erscheinung mir nicht gleichgültig war; wir schlossen uns bald äußerst fest aneinander, und nahmen ein gemeinschaftliches Zim¬ mer, fest entschlossen, Freud' und Leid miteinander zu theilen.
Mein Heisch war nur Mittags und Abends zu Hause, folg¬ lich hatte ich beinahe den Alleingenuß der Wohnung. Ich wen¬ dete alles mögliche an, um französisch zu lernen, bot deutschen Buchhändlern Uebersetzungen französischer Werke an, hörte zwei Kollegia, ließ mich in den öffentlichen Blättern als Augen- und Hautkrankheiten-Doktor für nothleidende Arme ankündigen, bekam sechs bis sieben desperate Patienten, die nicht arm waren, dok¬ terte eine lange Zeit mühsam und nach besten Kräften, brachte einige ein bischen zur Besserung und wurde von keinem bezahlt. Zuletzt fischt' ich einen Abbe auf, der sich die kleine Zehe wegen der übeln am Gehen hindernden Anheilung derselben, nachdem sie gebrochen gewesen war, wollte abschneiden lassen. Wir wur¬ den eins für hundert Livres. Aber kurz vor der Operation fiel mein Abbe in eine Ohnmacht, aus der er sich nur wieder erholte, um mich auf den Knien zu bitten, für diesmal das Abschneiden noch zu verschieben. Ich ging und hab' ihn nicht wieder geseh'n! -- Dies ist die Geschichte meiner poetischen Laufbahn in Paris.
Diese Zeit würde äußerst traurig gewesen sein, hätten nicht die politischen Begebenheiten angefangen mich zu interessiren. Die
ging dann wieder zuruͤck nach Straßburg. — Friedrich Heiſch war ein junger Mann von einundzwanzig Jahren, ein wahres unſchuldiges Naturkind. Er hatte die Handlung in einem guten Hauſe in Straßburg ſieben Jahre lang gelernt, war fuͤnf davon in ſeine Prinzipalin verliebt geweſen, und ſprach ihren Namen nicht aus ohne Erroͤthen. Seine Seele war rein wie Kryſtall, er wußte von allem Boͤſen nichts wie die Namen, und hatt' ein ſehr gefuͤhlvolles Herz, das ganz ungetheilt und mit vollem Ver¬ trauen ſich hingab! Sie koͤnnen leicht denken, daß eine ſo ſeltene Erſcheinung mir nicht gleichguͤltig war; wir ſchloſſen uns bald aͤußerſt feſt aneinander, und nahmen ein gemeinſchaftliches Zim¬ mer, feſt entſchloſſen, Freud' und Leid miteinander zu theilen.
Mein Heiſch war nur Mittags und Abends zu Hauſe, folg¬ lich hatte ich beinahe den Alleingenuß der Wohnung. Ich wen¬ dete alles moͤgliche an, um franzoͤſiſch zu lernen, bot deutſchen Buchhaͤndlern Ueberſetzungen franzoͤſiſcher Werke an, hoͤrte zwei Kollegia, ließ mich in den oͤffentlichen Blaͤttern als Augen- und Hautkrankheiten-Doktor fuͤr nothleidende Arme ankuͤndigen, bekam ſechs bis ſieben deſperate Patienten, die nicht arm waren, dok¬ terte eine lange Zeit muͤhſam und nach beſten Kraͤften, brachte einige ein bischen zur Beſſerung und wurde von keinem bezahlt. Zuletzt fiſcht' ich einen Abbé auf, der ſich die kleine Zehe wegen der uͤbeln am Gehen hindernden Anheilung derſelben, nachdem ſie gebrochen geweſen war, wollte abſchneiden laſſen. Wir wur¬ den eins fuͤr hundert Livres. Aber kurz vor der Operation fiel mein Abbé in eine Ohnmacht, aus der er ſich nur wieder erholte, um mich auf den Knien zu bitten, fuͤr diesmal das Abſchneiden noch zu verſchieben. Ich ging und hab' ihn nicht wieder geſeh'n! — Dies iſt die Geſchichte meiner poetiſchen Laufbahn in Paris.
Dieſe Zeit wuͤrde aͤußerſt traurig geweſen ſein, haͤtten nicht die politiſchen Begebenheiten angefangen mich zu intereſſiren. Die
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ging dann wieder zuruͤck nach Straßburg. — Friedrich Heiſch
war ein junger Mann von einundzwanzig Jahren, ein wahres
unſchuldiges Naturkind. Er hatte die Handlung in einem guten
Hauſe in Straßburg ſieben Jahre lang gelernt, war fuͤnf davon
in ſeine Prinzipalin verliebt geweſen, und ſprach ihren Namen
nicht aus ohne Erroͤthen. Seine Seele war rein wie Kryſtall,
er wußte von allem Boͤſen nichts wie die Namen, und hatt' ein
ſehr gefuͤhlvolles Herz, das ganz ungetheilt und mit vollem Ver¬
trauen ſich hingab! Sie koͤnnen leicht denken, daß eine ſo ſeltene
Erſcheinung mir nicht gleichguͤltig war; wir ſchloſſen uns bald
aͤußerſt feſt aneinander, und nahmen ein gemeinſchaftliches Zim¬
mer, feſt entſchloſſen, Freud' und Leid miteinander zu theilen.
Mein Heiſch war nur Mittags und Abends zu Hauſe, folg¬
lich hatte ich beinahe den Alleingenuß der Wohnung. Ich wen¬
dete alles moͤgliche an, um franzoͤſiſch zu lernen, bot deutſchen
Buchhaͤndlern Ueberſetzungen franzoͤſiſcher Werke an, hoͤrte zwei
Kollegia, ließ mich in den oͤffentlichen Blaͤttern als Augen- und
Hautkrankheiten-Doktor fuͤr nothleidende Arme ankuͤndigen, bekam
ſechs bis ſieben deſperate Patienten, die nicht arm waren, dok¬
terte eine lange Zeit muͤhſam und nach beſten Kraͤften, brachte
einige ein bischen zur Beſſerung und wurde von keinem bezahlt.
Zuletzt fiſcht' ich einen Abbé auf, der ſich die kleine Zehe wegen
der uͤbeln am Gehen hindernden Anheilung derſelben, nachdem
ſie gebrochen geweſen war, wollte abſchneiden laſſen. Wir wur¬
den eins fuͤr hundert Livres. Aber kurz vor der Operation fiel
mein Abbé in eine Ohnmacht, aus der er ſich nur wieder erholte,
um mich auf den Knien zu bitten, fuͤr diesmal das Abſchneiden
noch zu verſchieben. Ich ging und hab' ihn nicht wieder geſeh'n!
— Dies iſt die Geſchichte meiner poetiſchen Laufbahn in Paris.
Dieſe Zeit wuͤrde aͤußerſt traurig geweſen ſein, haͤtten nicht
die politiſchen Begebenheiten angefangen mich zu intereſſiren. Die
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/48>, abgerufen am 27.11.2024.
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