nachher zufällig eröffnet wurde, schien er von dem un¬ erwarteten Zusammenhange tief ergriffen, sagte aber kein Wort, sondern ging erst schweigend mehrmals im Zim¬ mer auf und nieder, bis er mit einer Art gewaltsamen Entschlusses plötzlich einen andern Gegenstand zu be¬ sprechen anfing.
Mad. Guachet durfte nicht iu Paris bleiben; sie wurde genöthigt, einen andern Aufenthalt zu wählen. Nach mancherlei Verhandlungen wurde ihr gestattet, unter Aufsicht der Polizei in Mainz, oder vielmehr in Laubenheim, anderthalb Stunden von der Stadt, zu wohnen. Hier galt sie für eine Emigrantin, welche im Vendeekriege eine bedeutende Rolle gespielt habe, und der Präfekt, Jean Leon Saint-Andre, hatte auf die mysteriöse Person, wie er sie selbst nannte, ein beson¬ deres Augenmerk; auch ließ ihr die Regierung eine Art Pension auszahlen.
Ein häßlicher Prozeß, in welchen sie mit einem Emigranten Hubert Saint-Desire gerieth, für dessen Gattin sie seit einiger Zeit galt, gab ihrer Stellung vor der Welt den letzten Stoß. Einiges Vermögen, welches bisher den angeblichen Eheleuten gemeinsam zu gehören schien, war der Gegenstand des Zwistes. Der Mann ließ eine Denkschrift drucken und austheilen, worin er seine nunmehrige Gegnerin mit schonungslosen Schmähungen behandelte, und aus ihrem früheren Leben
nachher zufaͤllig eroͤffnet wurde, ſchien er von dem un¬ erwarteten Zuſammenhange tief ergriffen, ſagte aber kein Wort, ſondern ging erſt ſchweigend mehrmals im Zim¬ mer auf und nieder, bis er mit einer Art gewaltſamen Entſchluſſes ploͤtzlich einen andern Gegenſtand zu be¬ ſprechen anfing.
Mad. Guachet durfte nicht iu Paris bleiben; ſie wurde genoͤthigt, einen andern Aufenthalt zu waͤhlen. Nach mancherlei Verhandlungen wurde ihr geſtattet, unter Aufſicht der Polizei in Mainz, oder vielmehr in Laubenheim, anderthalb Stunden von der Stadt, zu wohnen. Hier galt ſie fuͤr eine Emigrantin, welche im Vendeekriege eine bedeutende Rolle geſpielt habe, und der Praͤfekt, Jean Leon Saint-André, hatte auf die myſterioͤſe Perſon, wie er ſie ſelbſt nannte, ein beſon¬ deres Augenmerk; auch ließ ihr die Regierung eine Art Penſion auszahlen.
Ein haͤßlicher Prozeß, in welchen ſie mit einem Emigranten Hubert Saint-Déſiré gerieth, fuͤr deſſen Gattin ſie ſeit einiger Zeit galt, gab ihrer Stellung vor der Welt den letzten Stoß. Einiges Vermoͤgen, welches bisher den angeblichen Eheleuten gemeinſam zu gehoͤren ſchien, war der Gegenſtand des Zwiſtes. Der Mann ließ eine Denkſchrift drucken und austheilen, worin er ſeine nunmehrige Gegnerin mit ſchonungsloſen Schmaͤhungen behandelte, und aus ihrem fruͤheren Leben
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nachher zufaͤllig eroͤffnet wurde, ſchien er von dem un¬
erwarteten Zuſammenhange tief ergriffen, ſagte aber kein
Wort, ſondern ging erſt ſchweigend mehrmals im Zim¬
mer auf und nieder, bis er mit einer Art gewaltſamen
Entſchluſſes ploͤtzlich einen andern Gegenſtand zu be¬
ſprechen anfing.
Mad. Guachet durfte nicht iu Paris bleiben; ſie
wurde genoͤthigt, einen andern Aufenthalt zu waͤhlen.
Nach mancherlei Verhandlungen wurde ihr geſtattet,
unter Aufſicht der Polizei in Mainz, oder vielmehr in
Laubenheim, anderthalb Stunden von der Stadt, zu
wohnen. Hier galt ſie fuͤr eine Emigrantin, welche im
Vendeekriege eine bedeutende Rolle geſpielt habe, und
der Praͤfekt, Jean Leon Saint-André, hatte auf die
myſterioͤſe Perſon, wie er ſie ſelbſt nannte, ein beſon¬
deres Augenmerk; auch ließ ihr die Regierung eine Art
Penſion auszahlen.
Ein haͤßlicher Prozeß, in welchen ſie mit einem
Emigranten Hubert Saint-Déſiré gerieth, fuͤr deſſen
Gattin ſie ſeit einiger Zeit galt, gab ihrer Stellung
vor der Welt den letzten Stoß. Einiges Vermoͤgen,
welches bisher den angeblichen Eheleuten gemeinſam zu
gehoͤren ſchien, war der Gegenſtand des Zwiſtes. Der
Mann ließ eine Denkſchrift drucken und austheilen,
worin er ſeine nunmehrige Gegnerin mit ſchonungsloſen
Schmaͤhungen behandelte, und aus ihrem fruͤheren Leben
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/467>, abgerufen am 24.11.2024.
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