in großer Vertrautheit mit ihm. Er hat uns das obige Bild ihrer Erscheinung und ihrer Eigenschaften, wie sie zuerst von dem Berliner Aufenthalt her uns überliefert worden, durchaus bestätigt. Doch wagte auch er über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Angaben hinsichtlich ihrer Abstammung und Schicksale nicht ab¬ zusprechen. Sie hatte ihm ihre Begebnisse umständlich vertraut, und wiewohl er sie als leichtsinnige Frau kannte, die sehr in das Wesen einer Abentheurerin ver¬ fallen war, so mochte er sie doch nie für eine Betrü¬ gerin halten.
Sie hatte ihm unter andern erzählt, daß sie auf ihren früheren Irrfahrten auch nach Weimar gekommen sei, und dort ihre Kenntniß der technischen Chemie zum Behuf eines bedeutenden Unternehmens habe anwenden wollen, das aber ohne Genehmigung und Unterstützung des Herzogs nicht zu Stande kommen konnte. Dessen Günstling und Rathgeber habe jedoch die Sache für eine Schwindelei gehalten, das Gesuch sei abgewiesen, und ihr selber der längere Aufenthalt in Weimar nicht gestattet worden. Goethe ahndete nicht, daß er die Person, welche als Eugenie sein Innres mit ihren Schicksalen erfüllen und befruchten sollte, aus seiner Nähe verstieß, und ein Unglück, dessen geistige Betrach¬ tung ihm Mitleid und Antheil einflößte, in der Wirk¬ lichkeit noch vermehrte! Als ihm dieser Umstand lange
in großer Vertrautheit mit ihm. Er hat uns das obige Bild ihrer Erſcheinung und ihrer Eigenſchaften, wie ſie zuerſt von dem Berliner Aufenthalt her uns uͤberliefert worden, durchaus beſtaͤtigt. Doch wagte auch er uͤber die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Angaben hinſichtlich ihrer Abſtammung und Schickſale nicht ab¬ zuſprechen. Sie hatte ihm ihre Begebniſſe umſtaͤndlich vertraut, und wiewohl er ſie als leichtſinnige Frau kannte, die ſehr in das Weſen einer Abentheurerin ver¬ fallen war, ſo mochte er ſie doch nie fuͤr eine Betruͤ¬ gerin halten.
Sie hatte ihm unter andern erzaͤhlt, daß ſie auf ihren fruͤheren Irrfahrten auch nach Weimar gekommen ſei, und dort ihre Kenntniß der techniſchen Chemie zum Behuf eines bedeutenden Unternehmens habe anwenden wollen, das aber ohne Genehmigung und Unterſtuͤtzung des Herzogs nicht zu Stande kommen konnte. Deſſen Guͤnſtling und Rathgeber habe jedoch die Sache fuͤr eine Schwindelei gehalten, das Geſuch ſei abgewieſen, und ihr ſelber der laͤngere Aufenthalt in Weimar nicht geſtattet worden. Goethe ahndete nicht, daß er die Perſon, welche als Eugenie ſein Innres mit ihren Schickſalen erfuͤllen und befruchten ſollte, aus ſeiner Naͤhe verſtieß, und ein Ungluͤck, deſſen geiſtige Betrach¬ tung ihm Mitleid und Antheil einfloͤßte, in der Wirk¬ lichkeit noch vermehrte! Als ihm dieſer Umſtand lange
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in großer Vertrautheit mit ihm. Er hat uns das
obige Bild ihrer Erſcheinung und ihrer Eigenſchaften,
wie ſie zuerſt von dem Berliner Aufenthalt her uns
uͤberliefert worden, durchaus beſtaͤtigt. Doch wagte auch
er uͤber die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Angaben
hinſichtlich ihrer Abſtammung und Schickſale nicht ab¬
zuſprechen. Sie hatte ihm ihre Begebniſſe umſtaͤndlich
vertraut, und wiewohl er ſie als leichtſinnige Frau
kannte, die ſehr in das Weſen einer Abentheurerin ver¬
fallen war, ſo mochte er ſie doch nie fuͤr eine Betruͤ¬
gerin halten.
Sie hatte ihm unter andern erzaͤhlt, daß ſie auf
ihren fruͤheren Irrfahrten auch nach Weimar gekommen
ſei, und dort ihre Kenntniß der techniſchen Chemie zum
Behuf eines bedeutenden Unternehmens habe anwenden
wollen, das aber ohne Genehmigung und Unterſtuͤtzung
des Herzogs nicht zu Stande kommen konnte. Deſſen
Guͤnſtling und Rathgeber habe jedoch die Sache fuͤr
eine Schwindelei gehalten, das Geſuch ſei abgewieſen,
und ihr ſelber der laͤngere Aufenthalt in Weimar nicht
geſtattet worden. Goethe ahndete nicht, daß er die
Perſon, welche als Eugenie ſein Innres mit ihren
Schickſalen erfuͤllen und befruchten ſollte, aus ſeiner
Naͤhe verſtieß, und ein Ungluͤck, deſſen geiſtige Betrach¬
tung ihm Mitleid und Antheil einfloͤßte, in der Wirk¬
lichkeit noch vermehrte! Als ihm dieſer Umſtand lange
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/466>, abgerufen am 28.11.2024.
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