Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

sie besaß die mannigfachsten Talente und Kenntnisse,
welche einen sorgfältigen und reichen Unterricht voraus¬
setzten. Sie mußte schon weit über dreißig Jahre alt
sein, hatte jedoch eine jugendliche Zartheit beibehalten,
die ihr im Gegensatze mit einer fast männlichen Stärke
und Gewandtheit, die sich bisweilen nicht verhehlten,
einen ungemeinen Reiz gab. Sie machte die feinsten
Handarbeiten, künstliche Bildwerke von Ton oder Teig,
die schönsten Blumen, zeichnete und malte, übte Mu¬
sik, und wußte ihre Dichter mit bewundernswürdigem
Ausdruck vorzulesen. Aber sie verstand auch mit Pfer¬
den rüstig umzugehen, zu reiten, zu fahren, ja sogar
zum Hufbeschlag und Wagenschmieren bekannte sie ihre
zarten Hände nicht ungeübt! Im Stichfechten und im
Pistolenschießen war sie bereit, es mit jedem Mann
aufzunehmen! Als ihr über diese ungewöhnliche Aus¬
bildung männlicher Fähigkeiten einiges Befremden be¬
zeigt, und die Erklärung so seltsamen Vereins von Ei¬
genschaften gewünscht wurde, glaubte sie den Zweifeln,
welche sie erregt sah, nicht besser begegnen zu können,
als durch Erzählung ihrer Lebensgeschichte. Sie sei aus
dem Hause Bourbon, vertraute sie der Freundin, dem
Makel unehelicher Geburt sei sie durch Königlichen Macht¬
spruch enthoben worden, aber ein feindliches Familien¬
verhältniß habe diesen Vortheil ihr zu vereiteln gewußt,
bis die Revolution gekommen und Allen zum Verderben
geworden sei; ihr Vater, dessen Liebling sie gewesen,

ſie beſaß die mannigfachſten Talente und Kenntniſſe,
welche einen ſorgfaͤltigen und reichen Unterricht voraus¬
ſetzten. Sie mußte ſchon weit uͤber dreißig Jahre alt
ſein, hatte jedoch eine jugendliche Zartheit beibehalten,
die ihr im Gegenſatze mit einer faſt maͤnnlichen Staͤrke
und Gewandtheit, die ſich bisweilen nicht verhehlten,
einen ungemeinen Reiz gab. Sie machte die feinſten
Handarbeiten, kuͤnſtliche Bildwerke von Ton oder Teig,
die ſchoͤnſten Blumen, zeichnete und malte, uͤbte Mu¬
ſik, und wußte ihre Dichter mit bewundernswuͤrdigem
Ausdruck vorzuleſen. Aber ſie verſtand auch mit Pfer¬
den ruͤſtig umzugehen, zu reiten, zu fahren, ja ſogar
zum Hufbeſchlag und Wagenſchmieren bekannte ſie ihre
zarten Haͤnde nicht ungeuͤbt! Im Stichfechten und im
Piſtolenſchießen war ſie bereit, es mit jedem Mann
aufzunehmen! Als ihr uͤber dieſe ungewoͤhnliche Aus¬
bildung maͤnnlicher Faͤhigkeiten einiges Befremden be¬
zeigt, und die Erklaͤrung ſo ſeltſamen Vereins von Ei¬
genſchaften gewuͤnſcht wurde, glaubte ſie den Zweifeln,
welche ſie erregt ſah, nicht beſſer begegnen zu koͤnnen,
als durch Erzaͤhlung ihrer Lebensgeſchichte. Sie ſei aus
dem Hauſe Bourbon, vertraute ſie der Freundin, dem
Makel unehelicher Geburt ſei ſie durch Koͤniglichen Macht¬
ſpruch enthoben worden, aber ein feindliches Familien¬
verhaͤltniß habe dieſen Vortheil ihr zu vereiteln gewußt,
bis die Revolution gekommen und Allen zum Verderben
geworden ſei; ihr Vater, deſſen Liebling ſie geweſen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0462" n="448"/>
&#x017F;ie be&#x017F;aß die mannigfach&#x017F;ten Talente und Kenntni&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
welche einen &#x017F;orgfa&#x0364;ltigen und reichen Unterricht voraus¬<lb/>
&#x017F;etzten. Sie mußte &#x017F;chon weit u&#x0364;ber dreißig Jahre alt<lb/>
&#x017F;ein, hatte jedoch eine jugendliche Zartheit beibehalten,<lb/>
die ihr im Gegen&#x017F;atze mit einer fa&#x017F;t ma&#x0364;nnlichen Sta&#x0364;rke<lb/>
und Gewandtheit, die &#x017F;ich bisweilen nicht verhehlten,<lb/>
einen ungemeinen Reiz gab. Sie machte die fein&#x017F;ten<lb/>
Handarbeiten, ku&#x0364;n&#x017F;tliche Bildwerke von Ton oder Teig,<lb/>
die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Blumen, zeichnete und malte, u&#x0364;bte Mu¬<lb/>
&#x017F;ik, und wußte ihre Dichter mit bewundernswu&#x0364;rdigem<lb/>
Ausdruck vorzule&#x017F;en. Aber &#x017F;ie ver&#x017F;tand auch mit Pfer¬<lb/>
den ru&#x0364;&#x017F;tig umzugehen, zu reiten, zu fahren, ja &#x017F;ogar<lb/>
zum Hufbe&#x017F;chlag und Wagen&#x017F;chmieren bekannte &#x017F;ie ihre<lb/>
zarten Ha&#x0364;nde nicht ungeu&#x0364;bt! Im Stichfechten und im<lb/>
Pi&#x017F;tolen&#x017F;chießen war &#x017F;ie bereit, es mit jedem Mann<lb/>
aufzunehmen! Als ihr u&#x0364;ber die&#x017F;e ungewo&#x0364;hnliche Aus¬<lb/>
bildung ma&#x0364;nnlicher Fa&#x0364;higkeiten einiges Befremden be¬<lb/>
zeigt, und die Erkla&#x0364;rung &#x017F;o &#x017F;elt&#x017F;amen Vereins von Ei¬<lb/>
gen&#x017F;chaften gewu&#x0364;n&#x017F;cht wurde, glaubte &#x017F;ie den Zweifeln,<lb/>
welche &#x017F;ie erregt &#x017F;ah, nicht be&#x017F;&#x017F;er begegnen zu ko&#x0364;nnen,<lb/>
als durch Erza&#x0364;hlung ihrer Lebensge&#x017F;chichte. Sie &#x017F;ei aus<lb/>
dem Hau&#x017F;e Bourbon, vertraute &#x017F;ie der Freundin, dem<lb/>
Makel unehelicher Geburt &#x017F;ei &#x017F;ie durch Ko&#x0364;niglichen Macht¬<lb/>
&#x017F;pruch enthoben worden, aber ein feindliches Familien¬<lb/>
verha&#x0364;ltniß habe die&#x017F;en Vortheil ihr zu vereiteln gewußt,<lb/>
bis die Revolution gekommen und Allen zum Verderben<lb/>
geworden &#x017F;ei; ihr Vater, de&#x017F;&#x017F;en Liebling &#x017F;ie gewe&#x017F;en,<lb/></p>
          <p>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[448/0462] ſie beſaß die mannigfachſten Talente und Kenntniſſe, welche einen ſorgfaͤltigen und reichen Unterricht voraus¬ ſetzten. Sie mußte ſchon weit uͤber dreißig Jahre alt ſein, hatte jedoch eine jugendliche Zartheit beibehalten, die ihr im Gegenſatze mit einer faſt maͤnnlichen Staͤrke und Gewandtheit, die ſich bisweilen nicht verhehlten, einen ungemeinen Reiz gab. Sie machte die feinſten Handarbeiten, kuͤnſtliche Bildwerke von Ton oder Teig, die ſchoͤnſten Blumen, zeichnete und malte, uͤbte Mu¬ ſik, und wußte ihre Dichter mit bewundernswuͤrdigem Ausdruck vorzuleſen. Aber ſie verſtand auch mit Pfer¬ den ruͤſtig umzugehen, zu reiten, zu fahren, ja ſogar zum Hufbeſchlag und Wagenſchmieren bekannte ſie ihre zarten Haͤnde nicht ungeuͤbt! Im Stichfechten und im Piſtolenſchießen war ſie bereit, es mit jedem Mann aufzunehmen! Als ihr uͤber dieſe ungewoͤhnliche Aus¬ bildung maͤnnlicher Faͤhigkeiten einiges Befremden be¬ zeigt, und die Erklaͤrung ſo ſeltſamen Vereins von Ei¬ genſchaften gewuͤnſcht wurde, glaubte ſie den Zweifeln, welche ſie erregt ſah, nicht beſſer begegnen zu koͤnnen, als durch Erzaͤhlung ihrer Lebensgeſchichte. Sie ſei aus dem Hauſe Bourbon, vertraute ſie der Freundin, dem Makel unehelicher Geburt ſei ſie durch Koͤniglichen Macht¬ ſpruch enthoben worden, aber ein feindliches Familien¬ verhaͤltniß habe dieſen Vortheil ihr zu vereiteln gewußt, bis die Revolution gekommen und Allen zum Verderben geworden ſei; ihr Vater, deſſen Liebling ſie geweſen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/462
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/462>, abgerufen am 01.09.2024.