paß mit diesem Namen bezeichnet war. Sie theilte mit ihren Unglücksgefährten das allgemeine Loos, kein anderes Interesse mehr zu erregen, als das in den persönlichen Eigenschaften oder Leistungen unmittelbar dargebotene; der höchste Rang, die größten Verhält¬ nisse, die edelste Geburt, verschafften keine bessere Auf¬ nahme, als auch der geringe Abentheurer erwarten durfte; das Vergangene kam wenig in Betracht, wo die Hülfsmittel der Gegenwart es nicht mehr unter¬ stützten. Man war es schon gewohnt, daß jeder Fran¬ zose sich für vornehm ausgab, es wäre nutzlos und thöricht gewesen, der Herkunft eifrig nachzuforschen, wo das Dasein ihr so gar nicht mehr entsprach; man hielt sich an die Bildung, an die Talente, an das nächste Betragen der Fremdlinge, so wie an ihre etwanige Brauchbarkeit, und ließ das Uebrige gern dahingestellt. Mad. Guachet war an einige Personen in Berlin em¬ pfohlen, die zur höheren Gesellschaft gehörten, der Ma¬ jor von Gualtieri machte sie mit Fräulein von Schuck¬ mann bekannt, und diese brachte sie zu einigen ihrer Freundinnen, besonders auch zu Rahel, aus deren Er¬ innerungen und Briefschaften die folgenden Nachrichten entlehnt sind.
Hier fand sich die freundlich aufgenommene Fremde bald zu näherem Vertrauen hingezogen. Zwar nahm sie auf den ersten Blick durch ausgezeichnete Schönheit für sich ein, ihr Betragen verrieth vornehme Bildung,
paß mit dieſem Namen bezeichnet war. Sie theilte mit ihren Ungluͤcksgefaͤhrten das allgemeine Loos, kein anderes Intereſſe mehr zu erregen, als das in den perſoͤnlichen Eigenſchaften oder Leiſtungen unmittelbar dargebotene; der hoͤchſte Rang, die groͤßten Verhaͤlt¬ niſſe, die edelſte Geburt, verſchafften keine beſſere Auf¬ nahme, als auch der geringe Abentheurer erwarten durfte; das Vergangene kam wenig in Betracht, wo die Huͤlfsmittel der Gegenwart es nicht mehr unter¬ ſtuͤtzten. Man war es ſchon gewohnt, daß jeder Fran¬ zoſe ſich fuͤr vornehm ausgab, es waͤre nutzlos und thoͤricht geweſen, der Herkunft eifrig nachzuforſchen, wo das Daſein ihr ſo gar nicht mehr entſprach; man hielt ſich an die Bildung, an die Talente, an das naͤchſte Betragen der Fremdlinge, ſo wie an ihre etwanige Brauchbarkeit, und ließ das Uebrige gern dahingeſtellt. Mad. Guachet war an einige Perſonen in Berlin em¬ pfohlen, die zur hoͤheren Geſellſchaft gehoͤrten, der Ma¬ jor von Gualtieri machte ſie mit Fraͤulein von Schuck¬ mann bekannt, und dieſe brachte ſie zu einigen ihrer Freundinnen, beſonders auch zu Rahel, aus deren Er¬ innerungen und Briefſchaften die folgenden Nachrichten entlehnt ſind.
Hier fand ſich die freundlich aufgenommene Fremde bald zu naͤherem Vertrauen hingezogen. Zwar nahm ſie auf den erſten Blick durch ausgezeichnete Schoͤnheit fuͤr ſich ein, ihr Betragen verrieth vornehme Bildung,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0461"n="447"/>
paß mit dieſem Namen bezeichnet war. Sie theilte<lb/>
mit ihren Ungluͤcksgefaͤhrten das allgemeine Loos, kein<lb/>
anderes Intereſſe mehr zu erregen, als das in den<lb/>
perſoͤnlichen Eigenſchaften oder Leiſtungen unmittelbar<lb/>
dargebotene; der hoͤchſte Rang, die groͤßten Verhaͤlt¬<lb/>
niſſe, die edelſte Geburt, verſchafften keine beſſere Auf¬<lb/>
nahme, als auch der geringe Abentheurer erwarten<lb/>
durfte; das Vergangene kam wenig in Betracht, wo<lb/>
die Huͤlfsmittel der Gegenwart es nicht mehr unter¬<lb/>ſtuͤtzten. Man war es ſchon gewohnt, daß jeder Fran¬<lb/>
zoſe ſich fuͤr vornehm ausgab, es waͤre nutzlos und<lb/>
thoͤricht geweſen, der Herkunft eifrig nachzuforſchen, wo<lb/>
das Daſein ihr ſo gar nicht mehr entſprach; man hielt<lb/>ſich an die Bildung, an die Talente, an das naͤchſte<lb/>
Betragen der Fremdlinge, ſo wie an ihre etwanige<lb/>
Brauchbarkeit, und ließ das Uebrige gern dahingeſtellt.<lb/>
Mad. Guachet war an einige Perſonen in Berlin em¬<lb/>
pfohlen, die zur hoͤheren Geſellſchaft gehoͤrten, der Ma¬<lb/>
jor von Gualtieri machte ſie mit Fraͤulein von Schuck¬<lb/>
mann bekannt, und dieſe brachte ſie zu einigen ihrer<lb/>
Freundinnen, beſonders auch zu Rahel, aus deren Er¬<lb/>
innerungen und Briefſchaften die folgenden Nachrichten<lb/>
entlehnt ſind.</p><lb/><p>Hier fand ſich die freundlich aufgenommene Fremde<lb/>
bald zu naͤherem Vertrauen hingezogen. Zwar nahm<lb/>ſie auf den erſten Blick durch ausgezeichnete Schoͤnheit<lb/>
fuͤr ſich ein, ihr Betragen verrieth vornehme Bildung,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[447/0461]
paß mit dieſem Namen bezeichnet war. Sie theilte
mit ihren Ungluͤcksgefaͤhrten das allgemeine Loos, kein
anderes Intereſſe mehr zu erregen, als das in den
perſoͤnlichen Eigenſchaften oder Leiſtungen unmittelbar
dargebotene; der hoͤchſte Rang, die groͤßten Verhaͤlt¬
niſſe, die edelſte Geburt, verſchafften keine beſſere Auf¬
nahme, als auch der geringe Abentheurer erwarten
durfte; das Vergangene kam wenig in Betracht, wo
die Huͤlfsmittel der Gegenwart es nicht mehr unter¬
ſtuͤtzten. Man war es ſchon gewohnt, daß jeder Fran¬
zoſe ſich fuͤr vornehm ausgab, es waͤre nutzlos und
thoͤricht geweſen, der Herkunft eifrig nachzuforſchen, wo
das Daſein ihr ſo gar nicht mehr entſprach; man hielt
ſich an die Bildung, an die Talente, an das naͤchſte
Betragen der Fremdlinge, ſo wie an ihre etwanige
Brauchbarkeit, und ließ das Uebrige gern dahingeſtellt.
Mad. Guachet war an einige Perſonen in Berlin em¬
pfohlen, die zur hoͤheren Geſellſchaft gehoͤrten, der Ma¬
jor von Gualtieri machte ſie mit Fraͤulein von Schuck¬
mann bekannt, und dieſe brachte ſie zu einigen ihrer
Freundinnen, beſonders auch zu Rahel, aus deren Er¬
innerungen und Briefſchaften die folgenden Nachrichten
entlehnt ſind.
Hier fand ſich die freundlich aufgenommene Fremde
bald zu naͤherem Vertrauen hingezogen. Zwar nahm
ſie auf den erſten Blick durch ausgezeichnete Schoͤnheit
fuͤr ſich ein, ihr Betragen verrieth vornehme Bildung,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/461>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.