thronberechtigten Mitglieder der Familie Bourbon er¬ regten kaum noch Aufmerksamkeit, suchten von Land zu Land eine Zuflucht, die ihnen zuletzt nur England noch gewährte, und als die wunderbarste Wandlung der Dinge sie unverhofft wieder zu Glanz und Macht berief, mußte man erst wieder ihre verwandtschaftlichen Stellungen und Namen lernen! Wie sollte der um seine Aner¬ kennung noch kämpfende, ausgestoßene, rechtlose Sprö߬ ling eines Nebenzweiges jener Familie unter solchen Umständen sich behauptet haben? Nur der Dichter hatte Sinn und Achtsamkeit für ein seltnes Mißgeschick, in welchem für ihn eine ganze Weltkatastrophe sich deut¬ lich abbildete! Daß dieses Ohr ihren Schmerz vernahm, dieses Gemüth ihr Verhängniß auffaßte und dieser Ge¬ nius es darstellte, hat der unbeachteten und verkomme¬ nen Frau im Gebiete des Geistes glänzenderes Dasein gesichert, als das größte Gelingen in der wirklichen Welt ihr je hätte geben können!
Daß aber eine solche Person, wie diese Memoiren voraussetzen und als ihre Verfasserin angeben, wirklich existirt habe, darüber können wir aus zuverlässigen Nach¬ richten die bestimmteste Versicherung ertheilen.
Unter den vielen französischen Ausgewanderten, welche während der Revolution sich in Deutschland um¬ hertrieben, und gegen Noth und Elend eine Zuflucht erstrebten, kam auch eine Dame nach Berlin, welche sich Madame Guachet nannte, und auch in ihrem Reise¬
thronberechtigten Mitglieder der Familie Bourbon er¬ regten kaum noch Aufmerkſamkeit, ſuchten von Land zu Land eine Zuflucht, die ihnen zuletzt nur England noch gewaͤhrte, und als die wunderbarſte Wandlung der Dinge ſie unverhofft wieder zu Glanz und Macht berief, mußte man erſt wieder ihre verwandtſchaftlichen Stellungen und Namen lernen! Wie ſollte der um ſeine Aner¬ kennung noch kaͤmpfende, ausgeſtoßene, rechtloſe Sproͤ߬ ling eines Nebenzweiges jener Familie unter ſolchen Umſtaͤnden ſich behauptet haben? Nur der Dichter hatte Sinn und Achtſamkeit fuͤr ein ſeltnes Mißgeſchick, in welchem fuͤr ihn eine ganze Weltkataſtrophe ſich deut¬ lich abbildete! Daß dieſes Ohr ihren Schmerz vernahm, dieſes Gemuͤth ihr Verhaͤngniß auffaßte und dieſer Ge¬ nius es darſtellte, hat der unbeachteten und verkomme¬ nen Frau im Gebiete des Geiſtes glaͤnzenderes Daſein geſichert, als das groͤßte Gelingen in der wirklichen Welt ihr je haͤtte geben koͤnnen!
Daß aber eine ſolche Perſon, wie dieſe Memoiren vorausſetzen und als ihre Verfaſſerin angeben, wirklich exiſtirt habe, daruͤber koͤnnen wir aus zuverlaͤſſigen Nach¬ richten die beſtimmteſte Verſicherung ertheilen.
Unter den vielen franzoͤſiſchen Ausgewanderten, welche waͤhrend der Revolution ſich in Deutſchland um¬ hertrieben, und gegen Noth und Elend eine Zuflucht erſtrebten, kam auch eine Dame nach Berlin, welche ſich Madame Guachet nannte, und auch in ihrem Reiſe¬
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thronberechtigten Mitglieder der Familie Bourbon er¬
regten kaum noch Aufmerkſamkeit, ſuchten von Land zu
Land eine Zuflucht, die ihnen zuletzt nur England noch
gewaͤhrte, und als die wunderbarſte Wandlung der Dinge
ſie unverhofft wieder zu Glanz und Macht berief, mußte
man erſt wieder ihre verwandtſchaftlichen Stellungen
und Namen lernen! Wie ſollte der um ſeine Aner¬
kennung noch kaͤmpfende, ausgeſtoßene, rechtloſe Sproͤ߬
ling eines Nebenzweiges jener Familie unter ſolchen
Umſtaͤnden ſich behauptet haben? Nur der Dichter hatte
Sinn und Achtſamkeit fuͤr ein ſeltnes Mißgeſchick, in
welchem fuͤr ihn eine ganze Weltkataſtrophe ſich deut¬
lich abbildete! Daß dieſes Ohr ihren Schmerz vernahm,
dieſes Gemuͤth ihr Verhaͤngniß auffaßte und dieſer Ge¬
nius es darſtellte, hat der unbeachteten und verkomme¬
nen Frau im Gebiete des Geiſtes glaͤnzenderes Daſein
geſichert, als das groͤßte Gelingen in der wirklichen
Welt ihr je haͤtte geben koͤnnen!
Daß aber eine ſolche Perſon, wie dieſe Memoiren
vorausſetzen und als ihre Verfaſſerin angeben, wirklich
exiſtirt habe, daruͤber koͤnnen wir aus zuverlaͤſſigen Nach¬
richten die beſtimmteſte Verſicherung ertheilen.
Unter den vielen franzoͤſiſchen Ausgewanderten,
welche waͤhrend der Revolution ſich in Deutſchland um¬
hertrieben, und gegen Noth und Elend eine Zuflucht
erſtrebten, kam auch eine Dame nach Berlin, welche
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/460>, abgerufen am 23.11.2024.
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