Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Gehangen zu seyn, das ist schon ein Stand; aber wie
wurdet Ihr gehangen, und noch mein Vater? -- Hör
zu, sagte er; ich war Soldat und Maraudeur; der
Großprofoß erwischte mich, und ließ mich an einen Baum
knüpfen; ein kleiner Regen hinderte den Strick so zu¬
zuglitschen, wie er sollte, oder vielmehr wie er nicht
sollte; der Henker hatte mir das Hemd gelassen, weil
es zerrissen war; Husaren kamen vorbei, die mir auch
noch nicht das Hemd nahmen, weil es nichts taugte,
aber mit einem Säbelhieb den Strick abschnitten, daß
ich auf die Erde fiel. Die Kühle machte, daß ich zu
mir selbst kam; ich lief im Hemde nach einem benach¬
barten Flecken, ich ging in eine Schenke, und sagte zu
der Frau: Erschreckt nicht mich im Hemde zu sehn, ich
habe mein Gepäck zurück; Ihr werdet hören.... Ich
verlange von Euch nur eine Feder, Tinte, vier Blätter
Papier, ein Solsbrod und einen Schoppen Wein. Mein
durchlöchertes Hemd ohne Zweifel bewegte die Frau der
Schenke zur Erbarmung; ich schrieb auf die vier Blät¬
ter Papier: Heute großes Schauspiel gegeben von dem
berühmten Italiener; die ersten Plätze zu sechs Sols,
die zweiten zu drei; jedermann kommt herein gegen
Bezahlung. Ich verschanzte mich hinter einer Tapete,
ich borgte eine Geige; ich schnitt mein Hemd in Stük¬
ken; daraus machte ich fünf Puppen, die ich mit Tinte
und ein wenig von meinem Blut bemahlt hatte, und
da laß ich nun wechselsweise meine Puppen reden, singe,

Gehangen zu ſeyn, das iſt ſchon ein Stand; aber wie
wurdet Ihr gehangen, und noch mein Vater? — Hoͤr
zu, ſagte er; ich war Soldat und Maraudeur; der
Großprofoß erwiſchte mich, und ließ mich an einen Baum
knuͤpfen; ein kleiner Regen hinderte den Strick ſo zu¬
zuglitſchen, wie er ſollte, oder vielmehr wie er nicht
ſollte; der Henker hatte mir das Hemd gelaſſen, weil
es zerriſſen war; Huſaren kamen vorbei, die mir auch
noch nicht das Hemd nahmen, weil es nichts taugte,
aber mit einem Saͤbelhieb den Strick abſchnitten, daß
ich auf die Erde fiel. Die Kuͤhle machte, daß ich zu
mir ſelbſt kam; ich lief im Hemde nach einem benach¬
barten Flecken, ich ging in eine Schenke, und ſagte zu
der Frau: Erſchreckt nicht mich im Hemde zu ſehn, ich
habe mein Gepaͤck zuruͤck; Ihr werdet hoͤren.... Ich
verlange von Euch nur eine Feder, Tinte, vier Blaͤtter
Papier, ein Solsbrod und einen Schoppen Wein. Mein
durchloͤchertes Hemd ohne Zweifel bewegte die Frau der
Schenke zur Erbarmung; ich ſchrieb auf die vier Blaͤt¬
ter Papier: Heute großes Schauſpiel gegeben von dem
beruͤhmten Italiener; die erſten Plaͤtze zu ſechs Sols,
die zweiten zu drei; jedermann kommt herein gegen
Bezahlung. Ich verſchanzte mich hinter einer Tapete,
ich borgte eine Geige; ich ſchnitt mein Hemd in Stuͤk¬
ken; daraus machte ich fuͤnf Puppen, die ich mit Tinte
und ein wenig von meinem Blut bemahlt hatte, und
da laß ich nun wechſelsweiſe meine Puppen reden, ſinge,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0451" n="437"/>
Gehangen zu &#x017F;eyn, das i&#x017F;t &#x017F;chon ein Stand; aber wie<lb/>
wurdet Ihr gehangen, und noch mein Vater? &#x2014; Ho&#x0364;r<lb/>
zu, &#x017F;agte er; ich war Soldat und Maraudeur; der<lb/>
Großprofoß erwi&#x017F;chte mich, und ließ mich an einen Baum<lb/>
knu&#x0364;pfen; ein kleiner Regen hinderte den Strick &#x017F;o zu¬<lb/>
zuglit&#x017F;chen, wie er &#x017F;ollte, oder vielmehr wie er nicht<lb/>
&#x017F;ollte; der Henker hatte mir das Hemd gela&#x017F;&#x017F;en, weil<lb/>
es zerri&#x017F;&#x017F;en war; Hu&#x017F;aren kamen vorbei, die mir auch<lb/>
noch nicht das Hemd nahmen, weil es nichts taugte,<lb/>
aber mit einem Sa&#x0364;belhieb den Strick ab&#x017F;chnitten, daß<lb/>
ich auf die Erde fiel. Die Ku&#x0364;hle machte, daß ich zu<lb/>
mir &#x017F;elb&#x017F;t kam; ich lief im Hemde nach einem benach¬<lb/>
barten Flecken, ich ging in eine Schenke, und &#x017F;agte zu<lb/>
der Frau: Er&#x017F;chreckt nicht mich im Hemde zu &#x017F;ehn, ich<lb/>
habe mein Gepa&#x0364;ck zuru&#x0364;ck; Ihr werdet ho&#x0364;ren.... Ich<lb/>
verlange von Euch nur eine Feder, Tinte, vier Bla&#x0364;tter<lb/>
Papier, ein Solsbrod und einen Schoppen Wein. Mein<lb/>
durchlo&#x0364;chertes Hemd ohne Zweifel bewegte die Frau der<lb/>
Schenke zur Erbarmung; ich &#x017F;chrieb auf die vier Bla&#x0364;<lb/>
ter Papier: Heute großes Schau&#x017F;piel gegeben von dem<lb/>
beru&#x0364;hmten Italiener; die er&#x017F;ten Pla&#x0364;tze zu &#x017F;echs Sols,<lb/>
die zweiten zu drei; jedermann kommt herein gegen<lb/>
Bezahlung. Ich ver&#x017F;chanzte mich hinter einer Tapete,<lb/>
ich borgte eine Geige; ich &#x017F;chnitt mein Hemd in Stu&#x0364;<lb/>
ken; daraus machte ich fu&#x0364;nf Puppen, die ich mit Tinte<lb/>
und ein wenig von meinem Blut bemahlt hatte, und<lb/>
da laß ich nun wech&#x017F;elswei&#x017F;e meine Puppen reden, &#x017F;inge,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[437/0451] Gehangen zu ſeyn, das iſt ſchon ein Stand; aber wie wurdet Ihr gehangen, und noch mein Vater? — Hoͤr zu, ſagte er; ich war Soldat und Maraudeur; der Großprofoß erwiſchte mich, und ließ mich an einen Baum knuͤpfen; ein kleiner Regen hinderte den Strick ſo zu¬ zuglitſchen, wie er ſollte, oder vielmehr wie er nicht ſollte; der Henker hatte mir das Hemd gelaſſen, weil es zerriſſen war; Huſaren kamen vorbei, die mir auch noch nicht das Hemd nahmen, weil es nichts taugte, aber mit einem Saͤbelhieb den Strick abſchnitten, daß ich auf die Erde fiel. Die Kuͤhle machte, daß ich zu mir ſelbſt kam; ich lief im Hemde nach einem benach¬ barten Flecken, ich ging in eine Schenke, und ſagte zu der Frau: Erſchreckt nicht mich im Hemde zu ſehn, ich habe mein Gepaͤck zuruͤck; Ihr werdet hoͤren.... Ich verlange von Euch nur eine Feder, Tinte, vier Blaͤtter Papier, ein Solsbrod und einen Schoppen Wein. Mein durchloͤchertes Hemd ohne Zweifel bewegte die Frau der Schenke zur Erbarmung; ich ſchrieb auf die vier Blaͤt¬ ter Papier: Heute großes Schauſpiel gegeben von dem beruͤhmten Italiener; die erſten Plaͤtze zu ſechs Sols, die zweiten zu drei; jedermann kommt herein gegen Bezahlung. Ich verſchanzte mich hinter einer Tapete, ich borgte eine Geige; ich ſchnitt mein Hemd in Stuͤk¬ ken; daraus machte ich fuͤnf Puppen, die ich mit Tinte und ein wenig von meinem Blut bemahlt hatte, und da laß ich nun wechſelsweiſe meine Puppen reden, ſinge,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/451
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/451>, abgerufen am 22.11.2024.