Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

sprechen, wenigstens aus jeder großen Stadt einmal an Sie zu
schreiben, getreu; und ich erkläre feierlich, daß ich dies immer
thun werde, wenn Sie's mir nicht feierlich untersagen.

Mein Onkel, dieses traurige, bemitleidenswerthe Gemisch
von Gutheit und Stolz, Anmaßung und Kleinheit, verließ mich
bald nach Abgang meines letzten Briefes an Sie, und ließ mich
das wohlthätige Gefühl der Freiheit, wiewohl einer sehr noth¬
dürftigen, nach langem Entbehren derselben, endlich wieder kosten.
Fest entschlossen, mich künftig ohne denselben zu behelfen, mußt'
ich nach Arbeit mich umsehen, und ein gichtbrüchiger Ludwigs¬
ritter, behaftet mit dem Spleen des übermäßigen Glaubens an
ausländische Aerzte, verschaffte mir bald eine ziemlich beträcht¬
liche gichtbrüchige Bekanntschaft, wodurch ich in den Stand gesetzt
wurde, zuerst wenigstens rechtlich zu existiren, und hernach auch
Nutzen von den Anstalten in Paris zu ziehen, Kollegia und Hospi¬
täler zu besuchen, Merkwürdigkeiten zu besehen u. s. w. -- Ich
würde diese Existenz vermuthlich noch lange fortgesetzt haben,
allein der Tod, welchem ich bisher förmlichen Widerstand gelei¬
stet und den ich mehreremal glücklich zurückgeschlagen hatte, nahm
auf Einmal alle seine Wuth wider mich zusammen. Nicht zufrie¬
den, vermittelst der Hosenlosen alle brave Schweizer sich schlach¬
ten zu lassen, schlug er mit schrecklichem Schlagfluß alle meine
gichtbrüchigen Ritter zu derselben Stunde, wo das Blut der
Schweizer noch dampfte! -- Alle meine Kunden starben am
10. August vor Schreck! Was sollt' ich nun förder in Paris noch
thun? was konnt' es mir helfen, mir neue Kunden zu verschaf¬
fen, an einem Orte, wo so viel wilde Auftritte es platterdings
unmöglich machten, die Seelendiät, den wichtigsten Theil meiner
Kunst, gehörig zu besorgen? was sollt' ich noch länger der Ver¬
wesung entgegenarbeiten, an einem Orte, wo sie entschlossen
schien, künftig hausen zu wollen? -- Sie war mir überdies zu

ſprechen, wenigſtens aus jeder großen Stadt einmal an Sie zu
ſchreiben, getreu; und ich erklaͤre feierlich, daß ich dies immer
thun werde, wenn Sie's mir nicht feierlich unterſagen.

Mein Onkel, dieſes traurige, bemitleidenswerthe Gemiſch
von Gutheit und Stolz, Anmaßung und Kleinheit, verließ mich
bald nach Abgang meines letzten Briefes an Sie, und ließ mich
das wohlthaͤtige Gefuͤhl der Freiheit, wiewohl einer ſehr noth¬
duͤrftigen, nach langem Entbehren derſelben, endlich wieder koſten.
Feſt entſchloſſen, mich kuͤnftig ohne denſelben zu behelfen, mußt'
ich nach Arbeit mich umſehen, und ein gichtbruͤchiger Ludwigs¬
ritter, behaftet mit dem Spleen des uͤbermaͤßigen Glaubens an
auslaͤndiſche Aerzte, verſchaffte mir bald eine ziemlich betraͤcht¬
liche gichtbruͤchige Bekanntſchaft, wodurch ich in den Stand geſetzt
wurde, zuerſt wenigſtens rechtlich zu exiſtiren, und hernach auch
Nutzen von den Anſtalten in Paris zu ziehen, Kollegia und Hoſpi¬
taͤler zu beſuchen, Merkwuͤrdigkeiten zu beſehen u. ſ. w. — Ich
wuͤrde dieſe Exiſtenz vermuthlich noch lange fortgeſetzt haben,
allein der Tod, welchem ich bisher foͤrmlichen Widerſtand gelei¬
ſtet und den ich mehreremal gluͤcklich zuruͤckgeſchlagen hatte, nahm
auf Einmal alle ſeine Wuth wider mich zuſammen. Nicht zufrie¬
den, vermittelſt der Hoſenloſen alle brave Schweizer ſich ſchlach¬
ten zu laſſen, ſchlug er mit ſchrecklichem Schlagfluß alle meine
gichtbruͤchigen Ritter zu derſelben Stunde, wo das Blut der
Schweizer noch dampfte! — Alle meine Kunden ſtarben am
10. Auguſt vor Schreck! Was ſollt' ich nun foͤrder in Paris noch
thun? was konnt' es mir helfen, mir neue Kunden zu verſchaf¬
fen, an einem Orte, wo ſo viel wilde Auftritte es platterdings
unmoͤglich machten, die Seelendiaͤt, den wichtigſten Theil meiner
Kunſt, gehoͤrig zu beſorgen? was ſollt' ich noch laͤnger der Ver¬
weſung entgegenarbeiten, an einem Orte, wo ſie entſchloſſen
ſchien, kuͤnftig hauſen zu wollen? — Sie war mir uͤberdies zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0038" n="24"/>
&#x017F;prechen, wenig&#x017F;tens aus jeder großen Stadt einmal an Sie zu<lb/>
&#x017F;chreiben, getreu; und ich erkla&#x0364;re feierlich, daß ich dies immer<lb/>
thun werde, wenn Sie's mir nicht feierlich unter&#x017F;agen.</p><lb/>
              <p>Mein Onkel, die&#x017F;es traurige, bemitleidenswerthe Gemi&#x017F;ch<lb/>
von Gutheit und Stolz, Anmaßung und Kleinheit, verließ mich<lb/>
bald nach Abgang meines letzten Briefes an Sie, und ließ mich<lb/>
das wohltha&#x0364;tige Gefu&#x0364;hl der Freiheit, wiewohl einer &#x017F;ehr noth¬<lb/>
du&#x0364;rftigen, nach langem Entbehren der&#x017F;elben, endlich wieder ko&#x017F;ten.<lb/>
Fe&#x017F;t ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, mich ku&#x0364;nftig ohne den&#x017F;elben zu behelfen, mußt'<lb/>
ich nach Arbeit mich um&#x017F;ehen, und ein gichtbru&#x0364;chiger Ludwigs¬<lb/>
ritter, behaftet mit dem Spleen des u&#x0364;berma&#x0364;ßigen Glaubens an<lb/>
ausla&#x0364;ndi&#x017F;che Aerzte, ver&#x017F;chaffte mir bald eine ziemlich betra&#x0364;cht¬<lb/>
liche gichtbru&#x0364;chige Bekannt&#x017F;chaft, wodurch ich in den Stand ge&#x017F;etzt<lb/>
wurde, zuer&#x017F;t wenig&#x017F;tens rechtlich zu exi&#x017F;tiren, und hernach auch<lb/>
Nutzen von den An&#x017F;talten in Paris zu ziehen, Kollegia und Ho&#x017F;pi¬<lb/>
ta&#x0364;ler zu be&#x017F;uchen, Merkwu&#x0364;rdigkeiten zu be&#x017F;ehen u. &#x017F;. w. &#x2014; Ich<lb/>
wu&#x0364;rde die&#x017F;e Exi&#x017F;tenz vermuthlich noch lange fortge&#x017F;etzt haben,<lb/>
allein der Tod, welchem ich bisher fo&#x0364;rmlichen Wider&#x017F;tand gelei¬<lb/>
&#x017F;tet und den ich mehreremal glu&#x0364;cklich zuru&#x0364;ckge&#x017F;chlagen hatte, nahm<lb/>
auf Einmal alle &#x017F;eine Wuth wider mich zu&#x017F;ammen. Nicht zufrie¬<lb/>
den, vermittel&#x017F;t der Ho&#x017F;enlo&#x017F;en alle brave Schweizer &#x017F;ich &#x017F;chlach¬<lb/>
ten zu la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;chlug er mit &#x017F;chrecklichem Schlagfluß alle meine<lb/>
gichtbru&#x0364;chigen Ritter zu der&#x017F;elben Stunde, wo das Blut der<lb/>
Schweizer noch dampfte! &#x2014; Alle meine Kunden &#x017F;tarben am<lb/><hi rendition="#b">10</hi>. Augu&#x017F;t vor Schreck! Was &#x017F;ollt' ich nun fo&#x0364;rder in Paris noch<lb/>
thun? was konnt' es mir helfen, mir neue Kunden zu ver&#x017F;chaf¬<lb/>
fen, an einem Orte, wo &#x017F;o viel wilde Auftritte es platterdings<lb/>
unmo&#x0364;glich machten, die Seelendia&#x0364;t, den wichtig&#x017F;ten Theil meiner<lb/>
Kun&#x017F;t, geho&#x0364;rig zu be&#x017F;orgen? was &#x017F;ollt' ich noch la&#x0364;nger der Ver¬<lb/>
we&#x017F;ung entgegenarbeiten, an einem Orte, wo &#x017F;ie ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;chien, ku&#x0364;nftig hau&#x017F;en zu wollen? &#x2014; Sie war mir u&#x0364;berdies zu<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0038] ſprechen, wenigſtens aus jeder großen Stadt einmal an Sie zu ſchreiben, getreu; und ich erklaͤre feierlich, daß ich dies immer thun werde, wenn Sie's mir nicht feierlich unterſagen. Mein Onkel, dieſes traurige, bemitleidenswerthe Gemiſch von Gutheit und Stolz, Anmaßung und Kleinheit, verließ mich bald nach Abgang meines letzten Briefes an Sie, und ließ mich das wohlthaͤtige Gefuͤhl der Freiheit, wiewohl einer ſehr noth¬ duͤrftigen, nach langem Entbehren derſelben, endlich wieder koſten. Feſt entſchloſſen, mich kuͤnftig ohne denſelben zu behelfen, mußt' ich nach Arbeit mich umſehen, und ein gichtbruͤchiger Ludwigs¬ ritter, behaftet mit dem Spleen des uͤbermaͤßigen Glaubens an auslaͤndiſche Aerzte, verſchaffte mir bald eine ziemlich betraͤcht¬ liche gichtbruͤchige Bekanntſchaft, wodurch ich in den Stand geſetzt wurde, zuerſt wenigſtens rechtlich zu exiſtiren, und hernach auch Nutzen von den Anſtalten in Paris zu ziehen, Kollegia und Hoſpi¬ taͤler zu beſuchen, Merkwuͤrdigkeiten zu beſehen u. ſ. w. — Ich wuͤrde dieſe Exiſtenz vermuthlich noch lange fortgeſetzt haben, allein der Tod, welchem ich bisher foͤrmlichen Widerſtand gelei¬ ſtet und den ich mehreremal gluͤcklich zuruͤckgeſchlagen hatte, nahm auf Einmal alle ſeine Wuth wider mich zuſammen. Nicht zufrie¬ den, vermittelſt der Hoſenloſen alle brave Schweizer ſich ſchlach¬ ten zu laſſen, ſchlug er mit ſchrecklichem Schlagfluß alle meine gichtbruͤchigen Ritter zu derſelben Stunde, wo das Blut der Schweizer noch dampfte! — Alle meine Kunden ſtarben am 10. Auguſt vor Schreck! Was ſollt' ich nun foͤrder in Paris noch thun? was konnt' es mir helfen, mir neue Kunden zu verſchaf¬ fen, an einem Orte, wo ſo viel wilde Auftritte es platterdings unmoͤglich machten, die Seelendiaͤt, den wichtigſten Theil meiner Kunſt, gehoͤrig zu beſorgen? was ſollt' ich noch laͤnger der Ver¬ weſung entgegenarbeiten, an einem Orte, wo ſie entſchloſſen ſchien, kuͤnftig hauſen zu wollen? — Sie war mir uͤberdies zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/38
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/38>, abgerufen am 25.11.2024.