vergaßen sich und klatschten! -- Auf einmal entstand ein gräßli¬ cher Lärm im Parterre. Herunter, herunter, schrien sie, der Mann im rothen Kleid herunter! -- Er blieb; -- das fürchter¬ lichste Geschrei wiederholte sich von neuem; es hielt eine halbe Stunde lang an, und endlich wich der Mann zu meinem nicht geringen Verdruß! Er hätte -- NB. über diese Zeilen seh' ich einigen interessanten Bemerkungen und freundschaftlichen Verwei¬ sen entgegen -- er hätte von der Loge herunter das Wort ver¬ langen, er hätte auf die Freiheit, auf die Rechte, die ihm die Constitution zusichert, sich berufen sollen. Er hätte fragen sol¬ len, wo das Gesetz sei, das dem Einzelnen seinen Beifall zu geben verbiete. Er hätte erklären sollen, daß er sich eher würde umbringen lassen, als zurückgehen. Er hätte die kaum beklatsch¬ ten Worte aus Brutus Munde auffassen und sich damit schützen können. Er hätt' es verstehen müssen, diese Festigkeit selbst der gegenwärtigen Stimmung der Gemüther anzuschmiegen, und so würd' er mit Ehren seinen Platz behauptet haben, statt wie eine feige Memme zu entweichen. -- Den Klatscher neben mir hatte man zum Glück nicht bemerkt, und er blieb sitzen. -- Endlich endigte das Stück. -- Ein Jakobiner erhob sich; er that den Antrag, Voltaire's Büste mit der Mütze der Freiheit zu krönen. Nichts, sagt' er, fehl' ihm sonst noch zu seinem Ruhme. -- Diese Idee verschlang urplötzlich alle Gemüther! Ein fürchterli¬ ches, anhaltendes, immer steigendes Bravo stürzte von allen Sei¬ ten her gegen das Theater so lange zusammen, bis die Acteurs Anstalt machten, um in's Werk zu setzen, was der einmüthige Wille gebot! Man brachte ein Fußgestell; man setzte Voltaire's Büste darauf von Gyps. -- Ein Jakobiner warf seine rothe Trauermütze auf's Theater. Man bemützte damit den grinzenden Voltaire, und so paradirt' er während einem ganzen Lustspiele, das man nach dem Trauerspiele noch gab, auf dem Theater! --
vergaßen ſich und klatſchten! — Auf einmal entſtand ein graͤßli¬ cher Laͤrm im Parterre. Herunter, herunter, ſchrien ſie, der Mann im rothen Kleid herunter! — Er blieb; — das fuͤrchter¬ lichſte Geſchrei wiederholte ſich von neuem; es hielt eine halbe Stunde lang an, und endlich wich der Mann zu meinem nicht geringen Verdruß! Er haͤtte — NB. uͤber dieſe Zeilen ſeh’ ich einigen intereſſanten Bemerkungen und freundſchaftlichen Verwei¬ ſen entgegen — er haͤtte von der Loge herunter das Wort ver¬ langen, er haͤtte auf die Freiheit, auf die Rechte, die ihm die Conſtitution zuſichert, ſich berufen ſollen. Er haͤtte fragen ſol¬ len, wo das Geſetz ſei, das dem Einzelnen ſeinen Beifall zu geben verbiete. Er haͤtte erklaͤren ſollen, daß er ſich eher wuͤrde umbringen laſſen, als zuruͤckgehen. Er haͤtte die kaum beklatſch¬ ten Worte aus Brutus Munde auffaſſen und ſich damit ſchuͤtzen koͤnnen. Er haͤtt’ es verſtehen muͤſſen, dieſe Feſtigkeit ſelbſt der gegenwaͤrtigen Stimmung der Gemuͤther anzuſchmiegen, und ſo wuͤrd’ er mit Ehren ſeinen Platz behauptet haben, ſtatt wie eine feige Memme zu entweichen. — Den Klatſcher neben mir hatte man zum Gluͤck nicht bemerkt, und er blieb ſitzen. — Endlich endigte das Stuͤck. — Ein Jakobiner erhob ſich; er that den Antrag, Voltaire’s Buͤſte mit der Muͤtze der Freiheit zu kroͤnen. Nichts, ſagt’ er, fehl’ ihm ſonſt noch zu ſeinem Ruhme. — Dieſe Idee verſchlang urploͤtzlich alle Gemuͤther! Ein fuͤrchterli¬ ches, anhaltendes, immer ſteigendes Bravo ſtuͤrzte von allen Sei¬ ten her gegen das Theater ſo lange zuſammen, bis die Acteurs Anſtalt machten, um in’s Werk zu ſetzen, was der einmuͤthige Wille gebot! Man brachte ein Fußgeſtell; man ſetzte Voltaire’s Buͤſte darauf von Gyps. — Ein Jakobiner warf ſeine rothe Trauermuͤtze auf’s Theater. Man bemuͤtzte damit den grinzenden Voltaire, und ſo paradirt’ er waͤhrend einem ganzen Luſtſpiele, das man nach dem Trauerſpiele noch gab, auf dem Theater! —
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vergaßen ſich und klatſchten! — Auf einmal entſtand ein graͤßli¬
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Mann im rothen Kleid herunter! — Er blieb; — das fuͤrchter¬
lichſte Geſchrei wiederholte ſich von neuem; es hielt eine halbe
Stunde lang an, und endlich wich der Mann zu meinem nicht
geringen Verdruß! Er haͤtte — NB. uͤber dieſe Zeilen ſeh’ ich
einigen intereſſanten Bemerkungen und freundſchaftlichen Verwei¬
ſen entgegen — er haͤtte von der Loge herunter das Wort ver¬
langen, er haͤtte auf die Freiheit, auf die Rechte, die ihm die
Conſtitution zuſichert, ſich berufen ſollen. Er haͤtte fragen ſol¬
len, wo das Geſetz ſei, das dem Einzelnen ſeinen Beifall zu
geben verbiete. Er haͤtte erklaͤren ſollen, daß er ſich eher wuͤrde
umbringen laſſen, als zuruͤckgehen. Er haͤtte die kaum beklatſch¬
ten Worte aus Brutus Munde auffaſſen und ſich damit ſchuͤtzen
koͤnnen. Er haͤtt’ es verſtehen muͤſſen, dieſe Feſtigkeit ſelbſt der
gegenwaͤrtigen Stimmung der Gemuͤther anzuſchmiegen, und ſo
wuͤrd’ er mit Ehren ſeinen Platz behauptet haben, ſtatt wie eine
feige Memme zu entweichen. — Den Klatſcher neben mir hatte
man zum Gluͤck nicht bemerkt, und er blieb ſitzen. — Endlich
endigte das Stuͤck. — Ein Jakobiner erhob ſich; er that den
Antrag, Voltaire’s Buͤſte mit der Muͤtze der Freiheit zu kroͤnen.
Nichts, ſagt’ er, fehl’ ihm ſonſt noch zu ſeinem Ruhme. —
Dieſe Idee verſchlang urploͤtzlich alle Gemuͤther! Ein fuͤrchterli¬
ches, anhaltendes, immer ſteigendes Bravo ſtuͤrzte von allen Sei¬
ten her gegen das Theater ſo lange zuſammen, bis die Acteurs
Anſtalt machten, um in’s Werk zu ſetzen, was der einmuͤthige
Wille gebot! Man brachte ein Fußgeſtell; man ſetzte Voltaire’s
Buͤſte darauf von Gyps. — Ein Jakobiner warf ſeine rothe
Trauermuͤtze auf’s Theater. Man bemuͤtzte damit den grinzenden
Voltaire, und ſo paradirt’ er waͤhrend einem ganzen Luſtſpiele,
das man nach dem Trauerſpiele noch gab, auf dem Theater! —
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/36>, abgerufen am 25.11.2024.
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