Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

und Urtheile selten eine Stätte. Mißmuthig zog er
sich mehr und mehr in sein Innres und auf einen
kleinen Kreis des Umgangs mit seiner Schwester, mit
einigen jüngeren Verwandten und bewährten Freunden
zurück.

In solcher tiefen Verstimmung überkam ihn noch
der Eindruck der steten Annäherung des furchtbaren
asiatischen Uebels, welches von Rußland und Polen her
ganz Europa in Schrecken setzte. Als es unvermeidlich
zu werden schien, daß die Cholera sich auch diesseits
der Oder ausbreiten würde, faßte Robert den Entschluß,
Berlin zu verlassen, und fürerst noch einige Zeit ruhi¬
gen Lebens und Dichtens zu gewinnen, fern von den
Stürmen der politischen Welt und den Angriffen der
mörderischen Seuche. Die Seinigen redeten ihm leb¬
haft zu, ja er konnte glauben, sie durch sein Beispiel
zur heilsamen Nachfolge zu bewegen. So reis'te er
im Sommer 1831 ab, und nahm seinen Aufenthalt in
Baden, wo er auch den Winter zubringen wollte.

Die gehoffte Ruhe jedoch fand er auch hier nicht.
Verdächtigungen seiner Denkart und abentheuerliche
Mißreden folgten ihm aus der Heimath nach, und er
glaubte öffentlich dagegen auftreten zu müssen. In
Baden selbst waren die Gemüther höchst erregt, die
Aeußerungen heftig und schrankenlos; er sah seine Mei¬
nung mit der ihn umgebenden noch mehr in Wider¬
spruch, als dies in Berlin der Fall gewesen war, und

und Urtheile ſelten eine Staͤtte. Mißmuthig zog er
ſich mehr und mehr in ſein Innres und auf einen
kleinen Kreis des Umgangs mit ſeiner Schweſter, mit
einigen juͤngeren Verwandten und bewaͤhrten Freunden
zuruͤck.

In ſolcher tiefen Verſtimmung uͤberkam ihn noch
der Eindruck der ſteten Annaͤherung des furchtbaren
aſiatiſchen Uebels, welches von Rußland und Polen her
ganz Europa in Schrecken ſetzte. Als es unvermeidlich
zu werden ſchien, daß die Cholera ſich auch dieſſeits
der Oder ausbreiten wuͤrde, faßte Robert den Entſchluß,
Berlin zu verlaſſen, und fuͤrerſt noch einige Zeit ruhi¬
gen Lebens und Dichtens zu gewinnen, fern von den
Stuͤrmen der politiſchen Welt und den Angriffen der
moͤrderiſchen Seuche. Die Seinigen redeten ihm leb¬
haft zu, ja er konnte glauben, ſie durch ſein Beiſpiel
zur heilſamen Nachfolge zu bewegen. So reiſ'te er
im Sommer 1831 ab, und nahm ſeinen Aufenthalt in
Baden, wo er auch den Winter zubringen wollte.

Die gehoffte Ruhe jedoch fand er auch hier nicht.
Verdaͤchtigungen ſeiner Denkart und abentheuerliche
Mißreden folgten ihm aus der Heimath nach, und er
glaubte oͤffentlich dagegen auftreten zu muͤſſen. In
Baden ſelbſt waren die Gemuͤther hoͤchſt erregt, die
Aeußerungen heftig und ſchrankenlos; er ſah ſeine Mei¬
nung mit der ihn umgebenden noch mehr in Wider¬
ſpruch, als dies in Berlin der Fall geweſen war, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0350" n="336"/>
und Urtheile &#x017F;elten eine Sta&#x0364;tte. Mißmuthig zog er<lb/>
&#x017F;ich mehr und mehr in &#x017F;ein Innres und auf einen<lb/>
kleinen Kreis des Umgangs mit &#x017F;einer Schwe&#x017F;ter, mit<lb/>
einigen ju&#x0364;ngeren Verwandten und bewa&#x0364;hrten Freunden<lb/>
zuru&#x0364;ck.</p><lb/>
          <p>In &#x017F;olcher tiefen Ver&#x017F;timmung u&#x0364;berkam ihn noch<lb/>
der Eindruck der &#x017F;teten Anna&#x0364;herung des furchtbaren<lb/>
a&#x017F;iati&#x017F;chen Uebels, welches von Rußland und Polen her<lb/>
ganz Europa in Schrecken &#x017F;etzte. Als es unvermeidlich<lb/>
zu werden &#x017F;chien, daß die Cholera &#x017F;ich auch die&#x017F;&#x017F;eits<lb/>
der Oder ausbreiten wu&#x0364;rde, faßte Robert den Ent&#x017F;chluß,<lb/>
Berlin zu verla&#x017F;&#x017F;en, und fu&#x0364;rer&#x017F;t noch einige Zeit ruhi¬<lb/>
gen Lebens und Dichtens zu gewinnen, fern von den<lb/>
Stu&#x0364;rmen der politi&#x017F;chen Welt und den Angriffen der<lb/>
mo&#x0364;rderi&#x017F;chen Seuche. Die Seinigen redeten ihm leb¬<lb/>
haft zu, ja er konnte glauben, &#x017F;ie durch &#x017F;ein Bei&#x017F;piel<lb/>
zur heil&#x017F;amen Nachfolge zu bewegen. So rei&#x017F;'te er<lb/>
im Sommer <hi rendition="#b">1831</hi> ab, und nahm &#x017F;einen Aufenthalt in<lb/>
Baden, wo er auch den Winter zubringen wollte.</p><lb/>
          <p>Die gehoffte Ruhe jedoch fand er auch hier nicht.<lb/>
Verda&#x0364;chtigungen &#x017F;einer Denkart und abentheuerliche<lb/>
Mißreden folgten ihm aus der Heimath nach, und er<lb/>
glaubte o&#x0364;ffentlich dagegen auftreten zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. In<lb/>
Baden &#x017F;elb&#x017F;t waren die Gemu&#x0364;ther ho&#x0364;ch&#x017F;t erregt, die<lb/>
Aeußerungen heftig und &#x017F;chrankenlos; er &#x017F;ah &#x017F;eine Mei¬<lb/>
nung mit der ihn umgebenden noch mehr in Wider¬<lb/>
&#x017F;pruch, als dies in Berlin der Fall gewe&#x017F;en war, und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0350] und Urtheile ſelten eine Staͤtte. Mißmuthig zog er ſich mehr und mehr in ſein Innres und auf einen kleinen Kreis des Umgangs mit ſeiner Schweſter, mit einigen juͤngeren Verwandten und bewaͤhrten Freunden zuruͤck. In ſolcher tiefen Verſtimmung uͤberkam ihn noch der Eindruck der ſteten Annaͤherung des furchtbaren aſiatiſchen Uebels, welches von Rußland und Polen her ganz Europa in Schrecken ſetzte. Als es unvermeidlich zu werden ſchien, daß die Cholera ſich auch dieſſeits der Oder ausbreiten wuͤrde, faßte Robert den Entſchluß, Berlin zu verlaſſen, und fuͤrerſt noch einige Zeit ruhi¬ gen Lebens und Dichtens zu gewinnen, fern von den Stuͤrmen der politiſchen Welt und den Angriffen der moͤrderiſchen Seuche. Die Seinigen redeten ihm leb¬ haft zu, ja er konnte glauben, ſie durch ſein Beiſpiel zur heilſamen Nachfolge zu bewegen. So reiſ'te er im Sommer 1831 ab, und nahm ſeinen Aufenthalt in Baden, wo er auch den Winter zubringen wollte. Die gehoffte Ruhe jedoch fand er auch hier nicht. Verdaͤchtigungen ſeiner Denkart und abentheuerliche Mißreden folgten ihm aus der Heimath nach, und er glaubte oͤffentlich dagegen auftreten zu muͤſſen. In Baden ſelbſt waren die Gemuͤther hoͤchſt erregt, die Aeußerungen heftig und ſchrankenlos; er ſah ſeine Mei¬ nung mit der ihn umgebenden noch mehr in Wider¬ ſpruch, als dies in Berlin der Fall geweſen war, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/350
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/350>, abgerufen am 25.11.2024.