er bedarf wenig Schlafs, geringer Kost, seine Kleidung zeigt, daß er ein Mann ist, der ihrer zu keinem Scheine braucht. Be¬ schwerden, Arbeiten, Gefahren, scheut er nicht, und hat die Art von Vertrautheit damit, die auf männliche Weise jedes Unnöthige zu umgehn, und das Unternommene standhaft zu Ende zu führen weiß. Der Ruhm und das Glück seines Volkes sind ihm das Einzige und Höchste; er würde dieses auch auf ungerechte Art herbeizuführen suchen; was dem entgegen ist, das ist ihm feind; das tiefste Unglück ist ihm, und fast das einzige, sein Volk schmachvoll unterjocht zu sehn. Diese Gesinnung hat er feurig und edel in einem Jugendwerke ausgesprochen, in einem politi¬ schen Roman, Dya-Na-Sore genannt, einem Buche, das mehrere Auflagen erlebt hat, und zu einem großen Rufe gelangt ist, das in seiner etwas wunderlichen Form die edelsten und tiefsten Ge¬ danken darstellt, und das gediegene Gemüth, und den geschicht¬ lichen Blick seines Verfassers nicht verkennen läßt. Durch diesen selbst hätte ich aber wohl nie etwas von diesem Buche erfahren; er betrachtete sich davon wie abgelöst, und wurde verdrießlich, wenn die Rede darauf kam. Seine strenge Rechtschaffenheit, seine thätige Menschenfreundlichkeit, seine Kenntnisse und Talente, sein Schweigen, wo Reden unnütz gewesen wäre, und seine Anspruchlosigkeit grade in den Dingen, in welchen die Menschen gewöhnlich am meisten durch Wetteifer beleidigt werden, haben ihn seit langer Zeit den Großen angenehm gemacht, und bei der ausgebreitetsten Bekanntschaft unter ihnen genießt er überall die größte innere Achtung, die ihn der etwa mangelnden äußeren Auszeichnung leicht entbehren läßt. Er hat große Reisen mit Gesandten, Generalen und andern wichtigen Personen gemacht, Deutschland in allen Richtungen durchwandert, England und Schottland besucht, Ungarn und Polen gesehn, Italien in allen seinen Theilen durchstrichen, sieben Monate auf Sicilien gelebt,
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er bedarf wenig Schlafs, geringer Koſt, ſeine Kleidung zeigt, daß er ein Mann iſt, der ihrer zu keinem Scheine braucht. Be¬ ſchwerden, Arbeiten, Gefahren, ſcheut er nicht, und hat die Art von Vertrautheit damit, die auf männliche Weiſe jedes Unnöthige zu umgehn, und das Unternommene ſtandhaft zu Ende zu führen weiß. Der Ruhm und das Glück ſeines Volkes ſind ihm das Einzige und Höchſte; er würde dieſes auch auf ungerechte Art herbeizuführen ſuchen; was dem entgegen iſt, das iſt ihm feind; das tiefſte Unglück iſt ihm, und faſt das einzige, ſein Volk ſchmachvoll unterjocht zu ſehn. Dieſe Geſinnung hat er feurig und edel in einem Jugendwerke ausgeſprochen, in einem politi¬ ſchen Roman, Dya-Na-Sore genannt, einem Buche, das mehrere Auflagen erlebt hat, und zu einem großen Rufe gelangt iſt, das in ſeiner etwas wunderlichen Form die edelſten und tiefſten Ge¬ danken darſtellt, und das gediegene Gemüth, und den geſchicht¬ lichen Blick ſeines Verfaſſers nicht verkennen läßt. Durch dieſen ſelbſt hätte ich aber wohl nie etwas von dieſem Buche erfahren; er betrachtete ſich davon wie abgelöſt, und wurde verdrießlich, wenn die Rede darauf kam. Seine ſtrenge Rechtſchaffenheit, ſeine thätige Menſchenfreundlichkeit, ſeine Kenntniſſe und Talente, ſein Schweigen, wo Reden unnütz geweſen wäre, und ſeine Anſpruchloſigkeit grade in den Dingen, in welchen die Menſchen gewöhnlich am meiſten durch Wetteifer beleidigt werden, haben ihn ſeit langer Zeit den Großen angenehm gemacht, und bei der ausgebreitetſten Bekanntſchaft unter ihnen genießt er überall die größte innere Achtung, die ihn der etwa mangelnden äußeren Auszeichnung leicht entbehren läßt. Er hat große Reiſen mit Geſandten, Generalen und andern wichtigen Perſonen gemacht, Deutſchland in allen Richtungen durchwandert, England und Schottland beſucht, Ungarn und Polen geſehn, Italien in allen ſeinen Theilen durchſtrichen, ſieben Monate auf Sicilien gelebt,
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er bedarf wenig Schlafs, geringer Koſt, ſeine Kleidung zeigt,
daß er ein Mann iſt, der ihrer zu keinem Scheine braucht. Be¬
ſchwerden, Arbeiten, Gefahren, ſcheut er nicht, und hat die Art
von Vertrautheit damit, die auf männliche Weiſe jedes Unnöthige
zu umgehn, und das Unternommene ſtandhaft zu Ende zu führen
weiß. Der Ruhm und das Glück ſeines Volkes ſind ihm das
Einzige und Höchſte; er würde dieſes auch auf ungerechte
Art herbeizuführen ſuchen; was dem entgegen iſt, das iſt ihm
feind; das tiefſte Unglück iſt ihm, und faſt das einzige, ſein Volk
ſchmachvoll unterjocht zu ſehn. Dieſe Geſinnung hat er feurig
und edel in einem Jugendwerke ausgeſprochen, in einem politi¬
ſchen Roman, Dya-Na-Sore genannt, einem Buche, das mehrere
Auflagen erlebt hat, und zu einem großen Rufe gelangt iſt, das
in ſeiner etwas wunderlichen Form die edelſten und tiefſten Ge¬
danken darſtellt, und das gediegene Gemüth, und den geſchicht¬
lichen Blick ſeines Verfaſſers nicht verkennen läßt. Durch dieſen
ſelbſt hätte ich aber wohl nie etwas von dieſem Buche erfahren;
er betrachtete ſich davon wie abgelöſt, und wurde verdrießlich,
wenn die Rede darauf kam. Seine ſtrenge Rechtſchaffenheit,
ſeine thätige Menſchenfreundlichkeit, ſeine Kenntniſſe und Talente,
ſein Schweigen, wo Reden unnütz geweſen wäre, und ſeine
Anſpruchloſigkeit grade in den Dingen, in welchen die Menſchen
gewöhnlich am meiſten durch Wetteifer beleidigt werden, haben
ihn ſeit langer Zeit den Großen angenehm gemacht, und bei der
ausgebreitetſten Bekanntſchaft unter ihnen genießt er überall die
größte innere Achtung, die ihn der etwa mangelnden äußeren
Auszeichnung leicht entbehren läßt. Er hat große Reiſen mit
Geſandten, Generalen und andern wichtigen Perſonen gemacht,
Deutſchland in allen Richtungen durchwandert, England und
Schottland beſucht, Ungarn und Polen geſehn, Italien in allen
ſeinen Theilen durchſtrichen, ſieben Monate auf Sicilien gelebt,
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/321>, abgerufen am 22.11.2024.
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