Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Glück nennt, erwarte ich wenig, so lange diese Richtung der
Zeiten fortdauert; vielleicht sieht das fernste Ziel meines Lebens
das nicht im geringsten erfüllt, wonach ich strebe; aber meine
späteste Zukunft wird dennoch für meinen Blick erhellt, wenn
ich mir denke, ich könne in hohem Alter, nach überstandenen
Kämpfen und im Schmerz über ihr Mißlingen, still und fest so
dastehn, wie ich Sie, Verehrungswürdiger, gesehn habe! Es ist
mir, falls ich lange lebe, ein tröstliches Bild hoch aufgestellt
ich wünsche dann so zu sein, wie ich Sie, und wie ich Meyern
jetzt sehe, die mir verständlichere Lebensbilder sind, als die Muster
der Vorwelt, von denen auch nur die auf uns gekommen sind,
die in früherem oder späterem Erfolg die Kraft und Frucht
ihres politischen Wollens zu zeigen vermocht! -- Ich machte mir
schon oft zum Vorwurf, Ihnen damals von diesem Meyern nicht
gesprochen zu haben, und ich will es jetzt thun, um mich zugleich
zu rechtfertigen, daß ich ihn neben Sie gestellt habe, obgleich
seine Weise und besonders die Lebensbahn, die er durchgangen,
von der Ihrigen ganz verschieden ist, und nur in der politischen
Tugend, die ich nirgends größer gesehn, will ich die Einheit ge¬
funden haben! Ich machte seine Bekanntschaft vorigen Winter
in Prag, und es traf sich glücklicherweise, daß er einige Monat
hindurch mit mir dasselbe Zimmer bewohnte. Er war beim Aus¬
bruche des letzten Kriegs in österreichische Dienste getreten, und
Hauptmann bei der Landwehr geworden. Von seinen früheren
Verhältnissen habe ich nur wenig, und durch ihn selbst, unge¬
achtet wir ziemlich vertraut waren, beinahe nichts erfahren,
weil seine Persönlichkeit überall hinter die Sachen zurücktrat,
und er sich selbst nie bedachte, sondern nur die Dinge, die er
gesehn, und die Gedanken, die er gefaßt, bei seinen Gesprächen
vor Augen hatte. Dazu stimmte auch sein äußeres Leben, das
nach Selbstwahl in jeder Art enthaltsam, streng und hart ist;

Glück nennt, erwarte ich wenig, ſo lange dieſe Richtung der
Zeiten fortdauert; vielleicht ſieht das fernſte Ziel meines Lebens
das nicht im geringſten erfüllt, wonach ich ſtrebe; aber meine
ſpäteſte Zukunft wird dennoch für meinen Blick erhellt, wenn
ich mir denke, ich könne in hohem Alter, nach überſtandenen
Kämpfen und im Schmerz über ihr Mißlingen, ſtill und feſt ſo
daſtehn, wie ich Sie, Verehrungswürdiger, geſehn habe! Es iſt
mir, falls ich lange lebe, ein tröſtliches Bild hoch aufgeſtellt
ich wünſche dann ſo zu ſein, wie ich Sie, und wie ich Meyern
jetzt ſehe, die mir verſtändlichere Lebensbilder ſind, als die Muſter
der Vorwelt, von denen auch nur die auf uns gekommen ſind,
die in früherem oder ſpäterem Erfolg die Kraft und Frucht
ihres politiſchen Wollens zu zeigen vermocht! — Ich machte mir
ſchon oft zum Vorwurf, Ihnen damals von dieſem Meyern nicht
geſprochen zu haben, und ich will es jetzt thun, um mich zugleich
zu rechtfertigen, daß ich ihn neben Sie geſtellt habe, obgleich
ſeine Weiſe und beſonders die Lebensbahn, die er durchgangen,
von der Ihrigen ganz verſchieden iſt, und nur in der politiſchen
Tugend, die ich nirgends größer geſehn, will ich die Einheit ge¬
funden haben! Ich machte ſeine Bekanntſchaft vorigen Winter
in Prag, und es traf ſich glücklicherweiſe, daß er einige Monat
hindurch mit mir daſſelbe Zimmer bewohnte. Er war beim Aus¬
bruche des letzten Kriegs in öſterreichiſche Dienſte getreten, und
Hauptmann bei der Landwehr geworden. Von ſeinen früheren
Verhältniſſen habe ich nur wenig, und durch ihn ſelbſt, unge¬
achtet wir ziemlich vertraut waren, beinahe nichts erfahren,
weil ſeine Perſönlichkeit überall hinter die Sachen zurücktrat,
und er ſich ſelbſt nie bedachte, ſondern nur die Dinge, die er
geſehn, und die Gedanken, die er gefaßt, bei ſeinen Geſprächen
vor Augen hatte. Dazu ſtimmte auch ſein äußeres Leben, das
nach Selbſtwahl in jeder Art enthaltſam, ſtreng und hart iſt;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <floatingText>
            <body>
              <div type="letter">
                <p><pb facs="#f0320" n="306"/>
Glück nennt, erwarte ich wenig, &#x017F;o lange die&#x017F;e Richtung der<lb/>
Zeiten fortdauert; vielleicht &#x017F;ieht das fern&#x017F;te Ziel meines Lebens<lb/>
das nicht im gering&#x017F;ten erfüllt, wonach ich &#x017F;trebe; aber meine<lb/>
&#x017F;päte&#x017F;te Zukunft wird dennoch für meinen Blick erhellt, wenn<lb/>
ich mir denke, ich könne in hohem Alter, nach über&#x017F;tandenen<lb/>
Kämpfen und im Schmerz über ihr Mißlingen, &#x017F;till und fe&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
da&#x017F;tehn, wie ich Sie, Verehrungswürdiger, ge&#x017F;ehn habe! Es i&#x017F;t<lb/>
mir, falls ich lange lebe, ein trö&#x017F;tliches Bild hoch aufge&#x017F;tellt<lb/>
ich wün&#x017F;che dann &#x017F;o zu &#x017F;ein, wie ich Sie, und wie ich Meyern<lb/>
jetzt &#x017F;ehe, die mir ver&#x017F;tändlichere Lebensbilder &#x017F;ind, als die Mu&#x017F;ter<lb/>
der Vorwelt, von denen auch nur die auf uns gekommen &#x017F;ind,<lb/>
die in früherem oder &#x017F;päterem Erfolg die Kraft und Frucht<lb/>
ihres politi&#x017F;chen Wollens zu zeigen vermocht! &#x2014; Ich machte mir<lb/>
&#x017F;chon oft zum Vorwurf, Ihnen damals von die&#x017F;em Meyern nicht<lb/>
ge&#x017F;prochen zu haben, und ich will es jetzt thun, um mich zugleich<lb/>
zu rechtfertigen, daß ich ihn neben Sie ge&#x017F;tellt habe, obgleich<lb/>
&#x017F;eine Wei&#x017F;e und be&#x017F;onders die Lebensbahn, die er durchgangen,<lb/>
von der Ihrigen ganz ver&#x017F;chieden i&#x017F;t, und nur in der politi&#x017F;chen<lb/>
Tugend, die ich nirgends größer ge&#x017F;ehn, will ich die Einheit ge¬<lb/>
funden haben! Ich machte &#x017F;eine Bekannt&#x017F;chaft vorigen Winter<lb/>
in Prag, und es traf &#x017F;ich glücklicherwei&#x017F;e, daß er einige Monat<lb/>
hindurch mit mir da&#x017F;&#x017F;elbe Zimmer bewohnte. Er war beim Aus¬<lb/>
bruche des letzten Kriegs in ö&#x017F;terreichi&#x017F;che Dien&#x017F;te getreten, und<lb/>
Hauptmann bei der Landwehr geworden. Von &#x017F;einen früheren<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;en habe ich nur wenig, und durch ihn &#x017F;elb&#x017F;t, unge¬<lb/>
achtet wir ziemlich vertraut waren, beinahe nichts erfahren,<lb/>
weil &#x017F;eine Per&#x017F;önlichkeit überall hinter die Sachen zurücktrat,<lb/>
und er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nie bedachte, &#x017F;ondern nur die Dinge, die er<lb/>
ge&#x017F;ehn, und die Gedanken, die er gefaßt, bei &#x017F;einen Ge&#x017F;prächen<lb/>
vor Augen hatte. Dazu &#x017F;timmte auch &#x017F;ein äußeres Leben, das<lb/>
nach Selb&#x017F;twahl in jeder Art enthalt&#x017F;am, &#x017F;treng und hart i&#x017F;t;<lb/></p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0320] Glück nennt, erwarte ich wenig, ſo lange dieſe Richtung der Zeiten fortdauert; vielleicht ſieht das fernſte Ziel meines Lebens das nicht im geringſten erfüllt, wonach ich ſtrebe; aber meine ſpäteſte Zukunft wird dennoch für meinen Blick erhellt, wenn ich mir denke, ich könne in hohem Alter, nach überſtandenen Kämpfen und im Schmerz über ihr Mißlingen, ſtill und feſt ſo daſtehn, wie ich Sie, Verehrungswürdiger, geſehn habe! Es iſt mir, falls ich lange lebe, ein tröſtliches Bild hoch aufgeſtellt ich wünſche dann ſo zu ſein, wie ich Sie, und wie ich Meyern jetzt ſehe, die mir verſtändlichere Lebensbilder ſind, als die Muſter der Vorwelt, von denen auch nur die auf uns gekommen ſind, die in früherem oder ſpäterem Erfolg die Kraft und Frucht ihres politiſchen Wollens zu zeigen vermocht! — Ich machte mir ſchon oft zum Vorwurf, Ihnen damals von dieſem Meyern nicht geſprochen zu haben, und ich will es jetzt thun, um mich zugleich zu rechtfertigen, daß ich ihn neben Sie geſtellt habe, obgleich ſeine Weiſe und beſonders die Lebensbahn, die er durchgangen, von der Ihrigen ganz verſchieden iſt, und nur in der politiſchen Tugend, die ich nirgends größer geſehn, will ich die Einheit ge¬ funden haben! Ich machte ſeine Bekanntſchaft vorigen Winter in Prag, und es traf ſich glücklicherweiſe, daß er einige Monat hindurch mit mir daſſelbe Zimmer bewohnte. Er war beim Aus¬ bruche des letzten Kriegs in öſterreichiſche Dienſte getreten, und Hauptmann bei der Landwehr geworden. Von ſeinen früheren Verhältniſſen habe ich nur wenig, und durch ihn ſelbſt, unge¬ achtet wir ziemlich vertraut waren, beinahe nichts erfahren, weil ſeine Perſönlichkeit überall hinter die Sachen zurücktrat, und er ſich ſelbſt nie bedachte, ſondern nur die Dinge, die er geſehn, und die Gedanken, die er gefaßt, bei ſeinen Geſprächen vor Augen hatte. Dazu ſtimmte auch ſein äußeres Leben, das nach Selbſtwahl in jeder Art enthaltſam, ſtreng und hart iſt;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/320
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/320>, abgerufen am 25.11.2024.