Bemühn unzulängliche Ausdruck, ganz entschieden jener Zeit angehörig, wo der Verstand der Deutschen und ihre Empfindsamkeit aus trüber Vernachlässigung mühsam zu neuer Bildung aufrangen.
Die Art, wie hier Philosophie und Liebesneigung gleiches Schrittes in den Jünglingen sich entfalten, er¬ höht durch wechselseitige Rückstrahlen den Glanz jeder einzelnen von diesen beiden Richtungen. Wir gewinnen dabei den Vortheil, mit dem Bilde der Hauptperson auch eine weitere Umgebung derselben zu ersehen, ja mit einem Theile des bürgerlichen Lebens von einer Seite bekannt zu werden, die sich in solch ursprünglicher Gestalt selten dem Beobachter darbietet. Diese viel¬ fachen höheren Bestrebungen und diese gebildeten Ver¬ hältnisse in einer Klasse, die im Ganzen auf Bildung wenig Zeit zu verwenden und Anspruch zu machen hat, bestätigen die günstigste Vorstellung von unsrem deut¬ schen Mittelstande, der von jeher in sich die besten Eigenschaften der Nation hegte, und während einer langen Zeit fast allein bewahrte. Zugleich dürfen wir die treuherzige Sitteneinfalt dieser guten damaligen Reichsstadt preisen, in welcher ohne fremde wie ohne eigne Bedenklichkeit die reizenden Bürgermädchen mit den muntern Jünglingen harmlosen Umgang pflegen, und weder an schönen Sommerabenden einsamen Spa¬ ziergang, noch bei andrer Gelegenheit zeugenlosen Besuch scheuen, dagegen aber auch in freimüthiger Zärtlichkeit
Bemuͤhn unzulaͤngliche Ausdruck, ganz entſchieden jener Zeit angehoͤrig, wo der Verſtand der Deutſchen und ihre Empfindſamkeit aus truͤber Vernachlaͤſſigung muͤhſam zu neuer Bildung aufrangen.
Die Art, wie hier Philoſophie und Liebesneigung gleiches Schrittes in den Juͤnglingen ſich entfalten, er¬ hoͤht durch wechſelſeitige Ruͤckſtrahlen den Glanz jeder einzelnen von dieſen beiden Richtungen. Wir gewinnen dabei den Vortheil, mit dem Bilde der Hauptperſon auch eine weitere Umgebung derſelben zu erſehen, ja mit einem Theile des buͤrgerlichen Lebens von einer Seite bekannt zu werden, die ſich in ſolch urſpruͤnglicher Geſtalt ſelten dem Beobachter darbietet. Dieſe viel¬ fachen hoͤheren Beſtrebungen und dieſe gebildeten Ver¬ haͤltniſſe in einer Klaſſe, die im Ganzen auf Bildung wenig Zeit zu verwenden und Anſpruch zu machen hat, beſtaͤtigen die guͤnſtigſte Vorſtellung von unſrem deut¬ ſchen Mittelſtande, der von jeher in ſich die beſten Eigenſchaften der Nation hegte, und waͤhrend einer langen Zeit faſt allein bewahrte. Zugleich duͤrfen wir die treuherzige Sitteneinfalt dieſer guten damaligen Reichsſtadt preiſen, in welcher ohne fremde wie ohne eigne Bedenklichkeit die reizenden Buͤrgermaͤdchen mit den muntern Juͤnglingen harmloſen Umgang pflegen, und weder an ſchoͤnen Sommerabenden einſamen Spa¬ ziergang, noch bei andrer Gelegenheit zeugenloſen Beſuch ſcheuen, dagegen aber auch in freimuͤthiger Zaͤrtlichkeit
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Bemuͤhn unzulaͤngliche Ausdruck, ganz entſchieden jener
Zeit angehoͤrig, wo der Verſtand der Deutſchen und
ihre Empfindſamkeit aus truͤber Vernachlaͤſſigung muͤhſam
zu neuer Bildung aufrangen.
Die Art, wie hier Philoſophie und Liebesneigung
gleiches Schrittes in den Juͤnglingen ſich entfalten, er¬
hoͤht durch wechſelſeitige Ruͤckſtrahlen den Glanz jeder
einzelnen von dieſen beiden Richtungen. Wir gewinnen
dabei den Vortheil, mit dem Bilde der Hauptperſon
auch eine weitere Umgebung derſelben zu erſehen, ja
mit einem Theile des buͤrgerlichen Lebens von einer
Seite bekannt zu werden, die ſich in ſolch urſpruͤnglicher
Geſtalt ſelten dem Beobachter darbietet. Dieſe viel¬
fachen hoͤheren Beſtrebungen und dieſe gebildeten Ver¬
haͤltniſſe in einer Klaſſe, die im Ganzen auf Bildung
wenig Zeit zu verwenden und Anſpruch zu machen hat,
beſtaͤtigen die guͤnſtigſte Vorſtellung von unſrem deut¬
ſchen Mittelſtande, der von jeher in ſich die beſten
Eigenſchaften der Nation hegte, und waͤhrend einer
langen Zeit faſt allein bewahrte. Zugleich duͤrfen wir
die treuherzige Sitteneinfalt dieſer guten damaligen
Reichsſtadt preiſen, in welcher ohne fremde wie ohne
eigne Bedenklichkeit die reizenden Buͤrgermaͤdchen mit
den muntern Juͤnglingen harmloſen Umgang pflegen,
und weder an ſchoͤnen Sommerabenden einſamen Spa¬
ziergang, noch bei andrer Gelegenheit zeugenloſen Beſuch
ſcheuen, dagegen aber auch in freimuͤthiger Zaͤrtlichkeit
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/294>, abgerufen am 23.11.2024.
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