Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

den Urtheils und richtiger Einsicht wiedergab. Alles
was den Verkehr, die Gewerbe, die Sitten und Kennt¬
nisse des untern Volkes betraf, hatte für ihn den grö߬
ten Reiz. In dieser Hinsicht dürfte er wohl mit Frank¬
lin verglichen werden, dem er auch in religiöser Denkart
und Empfindungsweise ähnlich war. Bemerkenswerth
ist es, daß der Kirchenglaube, die Mystik, der Mag¬
netismus, und was er sonst verneinte, dennoch große
Wirkung auf ihn hatte. Die geistlichen Sprüche des
Angelus Silesius entzückten ihn, und er sagte deren
viele auswendig, in welchen er oft nur einen solchen
Inhalt zu finden glaubte, der seinen eignen Meinungen
zustimmte; aber diese, wie schroff sie auch häufig er¬
schienen, vereinten sich in ihm mit den frömmsten, kind¬
lichsten Ueberzeugungen, die er in bewegten Stimmungen
gern und innig aussprach.


Zwischenworte zur Briefsammlung.
l.

Briefe des siebenzehnjährigen Jünglings Erhard an
seinen Freund Osterhausen, der schon auf der nahen
Universität studirt, eröffnen die Reihe. Sie sind um
so merkwürdiger, als der Schreiber damals dem äußeren
Stande nach nichts weiter als ein junger Handwerker
ist, der vor allem seine Arbeit thut, daneben aber in

den Urtheils und richtiger Einſicht wiedergab. Alles
was den Verkehr, die Gewerbe, die Sitten und Kennt¬
niſſe des untern Volkes betraf, hatte fuͤr ihn den groͤ߬
ten Reiz. In dieſer Hinſicht duͤrfte er wohl mit Frank¬
lin verglichen werden, dem er auch in religioͤſer Denkart
und Empfindungsweiſe aͤhnlich war. Bemerkenswerth
iſt es, daß der Kirchenglaube, die Myſtik, der Mag¬
netismus, und was er ſonſt verneinte, dennoch große
Wirkung auf ihn hatte. Die geiſtlichen Spruͤche des
Angelus Sileſius entzuͤckten ihn, und er ſagte deren
viele auswendig, in welchen er oft nur einen ſolchen
Inhalt zu finden glaubte, der ſeinen eignen Meinungen
zuſtimmte; aber dieſe, wie ſchroff ſie auch haͤufig er¬
ſchienen, vereinten ſich in ihm mit den froͤmmſten, kind¬
lichſten Ueberzeugungen, die er in bewegten Stimmungen
gern und innig ausſprach.


Zwiſchenworte zur Briefſammlung.
l.

Briefe des ſiebenzehnjaͤhrigen Juͤnglings Erhard an
ſeinen Freund Oſterhauſen, der ſchon auf der nahen
Univerſitaͤt ſtudirt, eroͤffnen die Reihe. Sie ſind um
ſo merkwuͤrdiger, als der Schreiber damals dem aͤußeren
Stande nach nichts weiter als ein junger Handwerker
iſt, der vor allem ſeine Arbeit thut, daneben aber in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0292" n="278"/>
den Urtheils und richtiger Ein&#x017F;icht wiedergab. Alles<lb/>
was den Verkehr, die Gewerbe, die Sitten und Kennt¬<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e des untern Volkes betraf, hatte fu&#x0364;r ihn den gro&#x0364;߬<lb/>
ten Reiz. In die&#x017F;er Hin&#x017F;icht du&#x0364;rfte er wohl mit Frank¬<lb/>
lin verglichen werden, dem er auch in religio&#x0364;&#x017F;er Denkart<lb/>
und Empfindungswei&#x017F;e a&#x0364;hnlich war. Bemerkenswerth<lb/>
i&#x017F;t es, daß der Kirchenglaube, die My&#x017F;tik, der Mag¬<lb/>
netismus, und was er &#x017F;on&#x017F;t verneinte, dennoch große<lb/>
Wirkung auf ihn hatte. Die gei&#x017F;tlichen Spru&#x0364;che des<lb/>
Angelus Sile&#x017F;ius entzu&#x0364;ckten ihn, und er &#x017F;agte deren<lb/>
viele auswendig, in welchen er oft nur einen &#x017F;olchen<lb/>
Inhalt zu finden glaubte, der &#x017F;einen eignen Meinungen<lb/>
zu&#x017F;timmte; aber die&#x017F;e, wie &#x017F;chroff &#x017F;ie auch ha&#x0364;ufig er¬<lb/>
&#x017F;chienen, vereinten &#x017F;ich in ihm mit den fro&#x0364;mm&#x017F;ten, kind¬<lb/>
lich&#x017F;ten Ueberzeugungen, die er in bewegten Stimmungen<lb/>
gern und innig aus&#x017F;prach.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#g">Zwi&#x017F;chenworte zur Brief&#x017F;ammlung.</hi><lb/>
            </head>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">l.</hi><lb/>
              </head>
              <p>Briefe des &#x017F;iebenzehnja&#x0364;hrigen Ju&#x0364;nglings Erhard an<lb/>
&#x017F;einen Freund O&#x017F;terhau&#x017F;en, der &#x017F;chon auf der nahen<lb/>
Univer&#x017F;ita&#x0364;t &#x017F;tudirt, ero&#x0364;ffnen die Reihe. Sie &#x017F;ind um<lb/>
&#x017F;o merkwu&#x0364;rdiger, als der Schreiber damals dem a&#x0364;ußeren<lb/>
Stande nach nichts weiter als ein junger Handwerker<lb/>
i&#x017F;t, der vor allem &#x017F;eine Arbeit thut, daneben aber in<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0292] den Urtheils und richtiger Einſicht wiedergab. Alles was den Verkehr, die Gewerbe, die Sitten und Kennt¬ niſſe des untern Volkes betraf, hatte fuͤr ihn den groͤ߬ ten Reiz. In dieſer Hinſicht duͤrfte er wohl mit Frank¬ lin verglichen werden, dem er auch in religioͤſer Denkart und Empfindungsweiſe aͤhnlich war. Bemerkenswerth iſt es, daß der Kirchenglaube, die Myſtik, der Mag¬ netismus, und was er ſonſt verneinte, dennoch große Wirkung auf ihn hatte. Die geiſtlichen Spruͤche des Angelus Sileſius entzuͤckten ihn, und er ſagte deren viele auswendig, in welchen er oft nur einen ſolchen Inhalt zu finden glaubte, der ſeinen eignen Meinungen zuſtimmte; aber dieſe, wie ſchroff ſie auch haͤufig er¬ ſchienen, vereinten ſich in ihm mit den froͤmmſten, kind¬ lichſten Ueberzeugungen, die er in bewegten Stimmungen gern und innig ausſprach. Zwiſchenworte zur Briefſammlung. l. Briefe des ſiebenzehnjaͤhrigen Juͤnglings Erhard an ſeinen Freund Oſterhauſen, der ſchon auf der nahen Univerſitaͤt ſtudirt, eroͤffnen die Reihe. Sie ſind um ſo merkwuͤrdiger, als der Schreiber damals dem aͤußeren Stande nach nichts weiter als ein junger Handwerker iſt, der vor allem ſeine Arbeit thut, daneben aber in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/292
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/292>, abgerufen am 23.11.2024.