ziemlich schnell, und mit Hülfe einiger Bücher, die ich hatte, übte ich dem mündlichen Unterricht so weit zu¬ vor, daß ich, bis ich in der Schule, wo der Unterricht mir dadurch verdrießlich gemacht wurde, daß ich die berechneten Exempel in ein Buch, welches der Bürger¬ meister hieß, sauber einschreiben sollte, zum zehnten Theil des Rechenbuches kam, schon das ganze Buch zu Hause durchgerechnet hatte.
So weit meine Erinnerungen auch in meine früheste Jugend zurückgehen, so erinnere ich mich doch nicht, daß ich zählen lernte; es ist mir, als hätte ich es von jeher gekonnt. Eben so wenig kann ich mich erinnern, wann ich das Sprechen von sich selbst in der dritten Person, welches den Kindern so eigen ist, mit dem Ich vertauschte. Wahrscheinlich folgt das Zählen bei dem Kinde erst auf das Ich; denn ehe es sich als Einheit nicht bloß fühlt, sondern sich, im Gegensatze mit allen Andern, auch so denkt, hat es kein festes Schema von Eins; es sieht wohl einzelne Sachen, aber es ordnet sie nicht nach dem abstrakten Begriffe von Eins. Es kann, bei dem Zählen, der Begriff von der Möglichkeit der Fähigkeit, es wirklich zu vollbringen, nicht voraus¬ gehen, und daher kein Bewußtsein des Nichtkönnens stattfinden.
Eine Begebenheit hatte in meiner frühen Jugend sehr großen Einfluß auf meinen Karakter -- der nord¬ amerikanische Krieg. Mein Vater las die Zeitungen
ziemlich ſchnell, und mit Huͤlfe einiger Buͤcher, die ich hatte, uͤbte ich dem muͤndlichen Unterricht ſo weit zu¬ vor, daß ich, bis ich in der Schule, wo der Unterricht mir dadurch verdrießlich gemacht wurde, daß ich die berechneten Exempel in ein Buch, welches der Buͤrger¬ meiſter hieß, ſauber einſchreiben ſollte, zum zehnten Theil des Rechenbuches kam, ſchon das ganze Buch zu Hauſe durchgerechnet hatte.
So weit meine Erinnerungen auch in meine fruͤheſte Jugend zuruͤckgehen, ſo erinnere ich mich doch nicht, daß ich zaͤhlen lernte; es iſt mir, als haͤtte ich es von jeher gekonnt. Eben ſo wenig kann ich mich erinnern, wann ich das Sprechen von ſich ſelbſt in der dritten Perſon, welches den Kindern ſo eigen iſt, mit dem Ich vertauſchte. Wahrſcheinlich folgt das Zaͤhlen bei dem Kinde erſt auf das Ich; denn ehe es ſich als Einheit nicht bloß fuͤhlt, ſondern ſich, im Gegenſatze mit allen Andern, auch ſo denkt, hat es kein feſtes Schema von Eins; es ſieht wohl einzelne Sachen, aber es ordnet ſie nicht nach dem abſtrakten Begriffe von Eins. Es kann, bei dem Zaͤhlen, der Begriff von der Moͤglichkeit der Faͤhigkeit, es wirklich zu vollbringen, nicht voraus¬ gehen, und daher kein Bewußtſein des Nichtkoͤnnens ſtattfinden.
Eine Begebenheit hatte in meiner fruͤhen Jugend ſehr großen Einfluß auf meinen Karakter — der nord¬ amerikaniſche Krieg. Mein Vater las die Zeitungen
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ziemlich ſchnell, und mit Huͤlfe einiger Buͤcher, die ich
hatte, uͤbte ich dem muͤndlichen Unterricht ſo weit zu¬
vor, daß ich, bis ich in der Schule, wo der Unterricht
mir dadurch verdrießlich gemacht wurde, daß ich die
berechneten Exempel in ein Buch, welches der Buͤrger¬
meiſter hieß, ſauber einſchreiben ſollte, zum zehnten
Theil des Rechenbuches kam, ſchon das ganze Buch zu
Hauſe durchgerechnet hatte.
So weit meine Erinnerungen auch in meine fruͤheſte
Jugend zuruͤckgehen, ſo erinnere ich mich doch nicht,
daß ich zaͤhlen lernte; es iſt mir, als haͤtte ich es von
jeher gekonnt. Eben ſo wenig kann ich mich erinnern,
wann ich das Sprechen von ſich ſelbſt in der dritten
Perſon, welches den Kindern ſo eigen iſt, mit dem Ich
vertauſchte. Wahrſcheinlich folgt das Zaͤhlen bei dem
Kinde erſt auf das Ich; denn ehe es ſich als Einheit
nicht bloß fuͤhlt, ſondern ſich, im Gegenſatze mit allen
Andern, auch ſo denkt, hat es kein feſtes Schema von
Eins; es ſieht wohl einzelne Sachen, aber es ordnet
ſie nicht nach dem abſtrakten Begriffe von Eins. Es
kann, bei dem Zaͤhlen, der Begriff von der Moͤglichkeit
der Faͤhigkeit, es wirklich zu vollbringen, nicht voraus¬
gehen, und daher kein Bewußtſein des Nichtkoͤnnens
ſtattfinden.
Eine Begebenheit hatte in meiner fruͤhen Jugend
ſehr großen Einfluß auf meinen Karakter — der nord¬
amerikaniſche Krieg. Mein Vater las die Zeitungen
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/235>, abgerufen am 25.11.2024.
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