Nürnberg. Meine Mutter war eine Rothschmieddrech¬ selmeisters Tochter. Ich war das einzige Kind, das sie gebar, weil sie ein heftiger Blutverlust im Wochen¬ bette auf immer schwächte. Mein Vater verlor seinen Vater schon im zehnten Jahre, und mußte von diesem Jahre an sich schon selbst zu ernähren suchen. Eine gute Stimme kam ihm dabei zu statten, und er wurde Chorschüler. Seine Anlage zur Musik, und deßgleichen seines jüngern Bruders, der es besonders auf dem Waldhorn zu einer ausgezeichneten Fertigkeit brachte, und den mein Vater accompagniren lehrte, führte ihn in gebildetere Gesellschaften ein, als sonst Leute seines Standes gewöhnlich kommen. Dieser Umgang und die Bildung meines Großvaters, der, ein vertrauter Freund Doppelmeiers, mit diesem die frühesten elektrischen Ex¬ perimente machte, und seinem Sohn schon eine frühe Neigung zu Wissenschaften beibrachte, ließen bei meinem Vater eine große Liebe zu Künsten und Wissenschaften entstehen, ob ihn gleich seine Dürftigkeit verhinderte, sich darin auszubilden, und die Unterstützung, die er seiner Mutter gewähren mußte, ihn in die Nothwen¬ digkeit versetzte, seines Vaters Profession, sobald seine Kräfte hinreichten, noch neben dem Singen zu treiben.
Die Musik war ihm aber das Angenehmste, was er kannte, und der Himmel hätte ihm keine größere Gnade erzeigen können, als wenn er ihm einen Sohn geschenkt hätte, der ein Virtuose geworden wäre. Es
Nuͤrnberg. Meine Mutter war eine Rothſchmieddrech¬ ſelmeiſters Tochter. Ich war das einzige Kind, das ſie gebar, weil ſie ein heftiger Blutverluſt im Wochen¬ bette auf immer ſchwaͤchte. Mein Vater verlor ſeinen Vater ſchon im zehnten Jahre, und mußte von dieſem Jahre an ſich ſchon ſelbſt zu ernaͤhren ſuchen. Eine gute Stimme kam ihm dabei zu ſtatten, und er wurde Chorſchuͤler. Seine Anlage zur Muſik, und deßgleichen ſeines juͤngern Bruders, der es beſonders auf dem Waldhorn zu einer ausgezeichneten Fertigkeit brachte, und den mein Vater accompagniren lehrte, fuͤhrte ihn in gebildetere Geſellſchaften ein, als ſonſt Leute ſeines Standes gewoͤhnlich kommen. Dieſer Umgang und die Bildung meines Großvaters, der, ein vertrauter Freund Doppelmeiers, mit dieſem die fruͤheſten elektriſchen Ex¬ perimente machte, und ſeinem Sohn ſchon eine fruͤhe Neigung zu Wiſſenſchaften beibrachte, ließen bei meinem Vater eine große Liebe zu Kuͤnſten und Wiſſenſchaften entſtehen, ob ihn gleich ſeine Duͤrftigkeit verhinderte, ſich darin auszubilden, und die Unterſtuͤtzung, die er ſeiner Mutter gewaͤhren mußte, ihn in die Nothwen¬ digkeit verſetzte, ſeines Vaters Profeſſion, ſobald ſeine Kraͤfte hinreichten, noch neben dem Singen zu treiben.
Die Muſik war ihm aber das Angenehmſte, was er kannte, und der Himmel haͤtte ihm keine groͤßere Gnade erzeigen koͤnnen, als wenn er ihm einen Sohn geſchenkt haͤtte, der ein Virtuoſe geworden waͤre. Es
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Nuͤrnberg. Meine Mutter war eine Rothſchmieddrech¬
ſelmeiſters Tochter. Ich war das einzige Kind, das
ſie gebar, weil ſie ein heftiger Blutverluſt im Wochen¬
bette auf immer ſchwaͤchte. Mein Vater verlor ſeinen
Vater ſchon im zehnten Jahre, und mußte von dieſem
Jahre an ſich ſchon ſelbſt zu ernaͤhren ſuchen. Eine
gute Stimme kam ihm dabei zu ſtatten, und er wurde
Chorſchuͤler. Seine Anlage zur Muſik, und deßgleichen
ſeines juͤngern Bruders, der es beſonders auf dem
Waldhorn zu einer ausgezeichneten Fertigkeit brachte,
und den mein Vater accompagniren lehrte, fuͤhrte ihn
in gebildetere Geſellſchaften ein, als ſonſt Leute ſeines
Standes gewoͤhnlich kommen. Dieſer Umgang und die
Bildung meines Großvaters, der, ein vertrauter Freund
Doppelmeiers, mit dieſem die fruͤheſten elektriſchen Ex¬
perimente machte, und ſeinem Sohn ſchon eine fruͤhe
Neigung zu Wiſſenſchaften beibrachte, ließen bei meinem
Vater eine große Liebe zu Kuͤnſten und Wiſſenſchaften
entſtehen, ob ihn gleich ſeine Duͤrftigkeit verhinderte,
ſich darin auszubilden, und die Unterſtuͤtzung, die er
ſeiner Mutter gewaͤhren mußte, ihn in die Nothwen¬
digkeit verſetzte, ſeines Vaters Profeſſion, ſobald ſeine
Kraͤfte hinreichten, noch neben dem Singen zu treiben.
Die Muſik war ihm aber das Angenehmſte, was
er kannte, und der Himmel haͤtte ihm keine groͤßere
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geſchenkt haͤtte, der ein Virtuoſe geworden waͤre. Es
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/226>, abgerufen am 26.11.2024.
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