längere Erfahrungslauf eben gebeut, daß er in Sinn und That wirklich sei.
Lächelnd sprach darauf das Mütterchen: Begegnen sich nun meine Söhne und Enkel, in noch so weitem Kreise, zum ämsigen Geschäft, zum frohen Genuß, ei, so lieset auch der Jüngste sofort, im unverkennbar ab¬ gestuften Jahrschmuck aller Mitgesellen, was er an gei¬ stiger Bildung und Kraft sich von jedem Einzelnen versprechen dürfe.
Doch für des Tages herrschende Empfindungsweise schon von jener Altmähre sicherlich zu viel; und selbst für den gutmüthigsten unserer bartscheuen Zeitgenossen wenigstens genug. Denn Rückblicke dieser Art sind ja in der feinen Welt nur geschmacklose, widersinnige Traum¬ gesichte, aus einer unerträglich rohen Vorzeit. Wer, im klügsten der Jahrhunderte, glaubt noch an weise Bedeutsamkeit einer angeblichen Naturzierde, die, kraft altvererbter Sitte, niemand mehr aufzeigen darf! Wer von unsern Geschmackpredigern erinnert und erfreuet sich wohl noch der kunstsinnigen Vorsorge, die so bedachtsam einst am männlichen Antlitz jenen stattlichen Schleier zwar über den Sitz nahrungsgieriger Sinnlichkeit fallen ließ, nur über keinen der beseelten Züge, wo im ent¬ wildeten Menschthiere Gefühl oder Gedanken zu lesen sind!
Nein, statt solcher unfreundlichen Denkstreifereien oder Empfindungsflüge durch Altvaterwelten, die außer¬
laͤngere Erfahrungslauf eben gebeut, daß er in Sinn und That wirklich ſei.
Laͤchelnd ſprach darauf das Muͤtterchen: Begegnen ſich nun meine Soͤhne und Enkel, in noch ſo weitem Kreiſe, zum aͤmſigen Geſchaͤft, zum frohen Genuß, ei, ſo lieſet auch der Juͤngſte ſofort, im unverkennbar ab¬ geſtuften Jahrſchmuck aller Mitgeſellen, was er an gei¬ ſtiger Bildung und Kraft ſich von jedem Einzelnen verſprechen duͤrfe.
Doch fuͤr des Tages herrſchende Empfindungsweiſe ſchon von jener Altmaͤhre ſicherlich zu viel; und ſelbſt fuͤr den gutmuͤthigſten unſerer bartſcheuen Zeitgenoſſen wenigſtens genug. Denn Ruͤckblicke dieſer Art ſind ja in der feinen Welt nur geſchmackloſe, widerſinnige Traum¬ geſichte, aus einer unertraͤglich rohen Vorzeit. Wer, im kluͤgſten der Jahrhunderte, glaubt noch an weiſe Bedeutſamkeit einer angeblichen Naturzierde, die, kraft altvererbter Sitte, niemand mehr aufzeigen darf! Wer von unſern Geſchmackpredigern erinnert und erfreuet ſich wohl noch der kunſtſinnigen Vorſorge, die ſo bedachtſam einſt am maͤnnlichen Antlitz jenen ſtattlichen Schleier zwar uͤber den Sitz nahrungsgieriger Sinnlichkeit fallen ließ, nur uͤber keinen der beſeelten Zuͤge, wo im ent¬ wildeten Menſchthiere Gefuͤhl oder Gedanken zu leſen ſind!
Nein, ſtatt ſolcher unfreundlichen Denkſtreifereien oder Empfindungsfluͤge durch Altvaterwelten, die außer¬
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laͤngere Erfahrungslauf eben gebeut, daß er in Sinn
und That wirklich ſei.
Laͤchelnd ſprach darauf das Muͤtterchen: Begegnen
ſich nun meine Soͤhne und Enkel, in noch ſo weitem
Kreiſe, zum aͤmſigen Geſchaͤft, zum frohen Genuß, ei,
ſo lieſet auch der Juͤngſte ſofort, im unverkennbar ab¬
geſtuften Jahrſchmuck aller Mitgeſellen, was er an gei¬
ſtiger Bildung und Kraft ſich von jedem Einzelnen
verſprechen duͤrfe.
Doch fuͤr des Tages herrſchende Empfindungsweiſe
ſchon von jener Altmaͤhre ſicherlich zu viel; und ſelbſt
fuͤr den gutmuͤthigſten unſerer bartſcheuen Zeitgenoſſen
wenigſtens genug. Denn Ruͤckblicke dieſer Art ſind ja
in der feinen Welt nur geſchmackloſe, widerſinnige Traum¬
geſichte, aus einer unertraͤglich rohen Vorzeit. Wer,
im kluͤgſten der Jahrhunderte, glaubt noch an weiſe
Bedeutſamkeit einer angeblichen Naturzierde, die, kraft
altvererbter Sitte, niemand mehr aufzeigen darf! Wer
von unſern Geſchmackpredigern erinnert und erfreuet ſich
wohl noch der kunſtſinnigen Vorſorge, die ſo bedachtſam
einſt am maͤnnlichen Antlitz jenen ſtattlichen Schleier
zwar uͤber den Sitz nahrungsgieriger Sinnlichkeit fallen
ließ, nur uͤber keinen der beſeelten Zuͤge, wo im ent¬
wildeten Menſchthiere Gefuͤhl oder Gedanken zu leſen
ſind!
Nein, ſtatt ſolcher unfreundlichen Denkſtreifereien
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/202>, abgerufen am 24.11.2024.
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