fesselt hat. Seine, nicht eben hackele, Sinnlichkeit zu reizen und zu beschäftigen, hielt nicht schwer. Zu sei¬ nen Idealen gehörte eine kinderreiche Ehe. Ihm wäre sie ein wahrer Segen gewesen. Bei meinem ersten Aufenthalte in Paris lernte er durch mich eine junge, sehr anziehende Schottländerin kennen, Miß Christie, die, vor einiger Zeit noch, glücklich verheirathet zu Inverneß lebte. Mit ihr versprach er sich. Die Pässe lagen bereit, sie, ihrem Bruder und ihre Schwägerin nach der Schweiz zu begleiten, um dort die Ehe zu schließen, als Schlabrendorf verhaftet ward. Durch seine Gefangenschaft und ihre nothgedrungene Abreise aus Frankreich zerschlug sich die Sache. Dieses Mi߬ geschick scheint ihm nicht sonderlich zu Herzen gegangen zu sein. Persönliche Anhänglichkeiten waren bei ihm nie sehr stark. Destomehr besaß er allgemeines Wohl¬ wollen. Er sahe mich gern, er schätzte mich und be¬ zeigte Achtung für meine Ansichten und Urtheile; auch war er zu jeder Gefälligkeit geneigt, die ich hätte ver¬ langen können. Allein ich konnte wegbleiben, ihn un¬ besucht lassen, so lang ich wollte, ohne daß er es be¬ merkte. Unser hauptsächlicher Verkehr bestand in Con¬ versation. Ich brauche Ihnen seinen Umgang nicht zu schildern. Nachsicht und Verträglichkeit, offener, für jede mögliche Situation empfänglicher Sinn, Theil¬ nahme und Mittheilung aus einer reichmöblirten Denk¬ kraft machten Schlabrendorf zu dem anmuthigsten und
feſſelt hat. Seine, nicht eben hackele, Sinnlichkeit zu reizen und zu beſchaͤftigen, hielt nicht ſchwer. Zu ſei¬ nen Idealen gehoͤrte eine kinderreiche Ehe. Ihm waͤre ſie ein wahrer Segen geweſen. Bei meinem erſten Aufenthalte in Paris lernte er durch mich eine junge, ſehr anziehende Schottlaͤnderin kennen, Miß Chriſtie, die, vor einiger Zeit noch, gluͤcklich verheirathet zu Inverneß lebte. Mit ihr verſprach er ſich. Die Paͤſſe lagen bereit, ſie, ihrem Bruder und ihre Schwaͤgerin nach der Schweiz zu begleiten, um dort die Ehe zu ſchließen, als Schlabrendorf verhaftet ward. Durch ſeine Gefangenſchaft und ihre nothgedrungene Abreiſe aus Frankreich zerſchlug ſich die Sache. Dieſes Mi߬ geſchick ſcheint ihm nicht ſonderlich zu Herzen gegangen zu ſein. Perſoͤnliche Anhaͤnglichkeiten waren bei ihm nie ſehr ſtark. Deſtomehr beſaß er allgemeines Wohl¬ wollen. Er ſahe mich gern, er ſchaͤtzte mich und be¬ zeigte Achtung fuͤr meine Anſichten und Urtheile; auch war er zu jeder Gefaͤlligkeit geneigt, die ich haͤtte ver¬ langen koͤnnen. Allein ich konnte wegbleiben, ihn un¬ beſucht laſſen, ſo lang ich wollte, ohne daß er es be¬ merkte. Unſer hauptſaͤchlicher Verkehr beſtand in Con¬ verſation. Ich brauche Ihnen ſeinen Umgang nicht zu ſchildern. Nachſicht und Vertraͤglichkeit, offener, fuͤr jede moͤgliche Situation empfaͤnglicher Sinn, Theil¬ nahme und Mittheilung aus einer reichmoͤblirten Denk¬ kraft machten Schlabrendorf zu dem anmuthigſten und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0181"n="167"/>
feſſelt hat. Seine, nicht eben hackele, Sinnlichkeit zu<lb/>
reizen und zu beſchaͤftigen, hielt nicht ſchwer. Zu ſei¬<lb/>
nen Idealen gehoͤrte eine kinderreiche Ehe. Ihm waͤre<lb/>ſie ein wahrer Segen geweſen. Bei meinem erſten<lb/>
Aufenthalte in Paris lernte er durch mich eine junge,<lb/>ſehr anziehende Schottlaͤnderin kennen, Miß Chriſtie,<lb/>
die, vor einiger Zeit noch, gluͤcklich verheirathet zu<lb/>
Inverneß lebte. Mit ihr verſprach er ſich. Die Paͤſſe<lb/>
lagen bereit, ſie, ihrem Bruder und ihre Schwaͤgerin<lb/>
nach der Schweiz zu begleiten, um dort die Ehe zu<lb/>ſchließen, als Schlabrendorf verhaftet ward. Durch<lb/>ſeine Gefangenſchaft und ihre nothgedrungene Abreiſe<lb/>
aus Frankreich zerſchlug ſich die Sache. Dieſes Mi߬<lb/>
geſchick ſcheint ihm nicht ſonderlich zu Herzen gegangen<lb/>
zu ſein. Perſoͤnliche Anhaͤnglichkeiten waren bei ihm<lb/>
nie ſehr ſtark. Deſtomehr beſaß er allgemeines Wohl¬<lb/>
wollen. Er ſahe mich gern, er ſchaͤtzte mich und be¬<lb/>
zeigte Achtung fuͤr meine Anſichten und Urtheile; auch<lb/>
war er zu jeder Gefaͤlligkeit geneigt, die ich haͤtte ver¬<lb/>
langen koͤnnen. Allein ich konnte wegbleiben, ihn un¬<lb/>
beſucht laſſen, ſo lang ich wollte, ohne daß er es be¬<lb/>
merkte. Unſer hauptſaͤchlicher Verkehr beſtand in Con¬<lb/>
verſation. Ich brauche Ihnen ſeinen Umgang nicht zu<lb/>ſchildern. Nachſicht und Vertraͤglichkeit, offener, fuͤr<lb/>
jede moͤgliche Situation empfaͤnglicher Sinn, Theil¬<lb/>
nahme und Mittheilung aus einer reichmoͤblirten Denk¬<lb/>
kraft machten Schlabrendorf zu dem anmuthigſten und<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[167/0181]
feſſelt hat. Seine, nicht eben hackele, Sinnlichkeit zu
reizen und zu beſchaͤftigen, hielt nicht ſchwer. Zu ſei¬
nen Idealen gehoͤrte eine kinderreiche Ehe. Ihm waͤre
ſie ein wahrer Segen geweſen. Bei meinem erſten
Aufenthalte in Paris lernte er durch mich eine junge,
ſehr anziehende Schottlaͤnderin kennen, Miß Chriſtie,
die, vor einiger Zeit noch, gluͤcklich verheirathet zu
Inverneß lebte. Mit ihr verſprach er ſich. Die Paͤſſe
lagen bereit, ſie, ihrem Bruder und ihre Schwaͤgerin
nach der Schweiz zu begleiten, um dort die Ehe zu
ſchließen, als Schlabrendorf verhaftet ward. Durch
ſeine Gefangenſchaft und ihre nothgedrungene Abreiſe
aus Frankreich zerſchlug ſich die Sache. Dieſes Mi߬
geſchick ſcheint ihm nicht ſonderlich zu Herzen gegangen
zu ſein. Perſoͤnliche Anhaͤnglichkeiten waren bei ihm
nie ſehr ſtark. Deſtomehr beſaß er allgemeines Wohl¬
wollen. Er ſahe mich gern, er ſchaͤtzte mich und be¬
zeigte Achtung fuͤr meine Anſichten und Urtheile; auch
war er zu jeder Gefaͤlligkeit geneigt, die ich haͤtte ver¬
langen koͤnnen. Allein ich konnte wegbleiben, ihn un¬
beſucht laſſen, ſo lang ich wollte, ohne daß er es be¬
merkte. Unſer hauptſaͤchlicher Verkehr beſtand in Con¬
verſation. Ich brauche Ihnen ſeinen Umgang nicht zu
ſchildern. Nachſicht und Vertraͤglichkeit, offener, fuͤr
jede moͤgliche Situation empfaͤnglicher Sinn, Theil¬
nahme und Mittheilung aus einer reichmoͤblirten Denk¬
kraft machten Schlabrendorf zu dem anmuthigſten und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/181>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.