mit allem Eifer, der Kerkermeister half suchen, allein vergebens, sie waren entwandt, vertauscht oder in einen Winkel gestellt, genug, nicht zu finden. Voll Verdruß, nach vielem Bemühen, sagte Schlabrendorf endlich zu dem Kerkermeister: "Nun, ohne Stiefel kann ich doch nicht fort, das sehen Sie ein. Wissen Sie was, -- setzte er mit harmloser Treuherzigkeit hinzu, -- nehmen Sie mich morgen statt heute, es kömmt ja auf den einen Tag nicht an!" Der Kerkermeister fand den Vorschlag richtig: ein andrer Gewinn, als der klägliche eines Aufschubs von vierundzwanzig Stunden, fiel dabei Niemanden ein. Der Karren, dessen Ladung durch Einen Kopf mehr oder minder nicht merklich verändert erschien, fuhr mit seinen Schlachtofern ab, und Schla¬ brendorf blieb zurück. Am andern Morgen erneute sich die Abholung; der Versäumte, jetzt mit Stiefeln ver¬ sehen, war, gleich den Gerufenen dieses Tages, ganz bereit zur traurigen Fahrt, aber sieh da! sein Name kam nicht vor; auch den dritten und vierten Tag nicht, und überhaupt nicht! Sehr natürlich, er war mit der Liste des ersten Tages abgethan für immer; wer konnte so genau nachzählen? Man nahm den Gerufenen als ab¬ geliefert und als guillotinirt an, die Versäumniß küm¬ merte Niemanden, für jeden folgenden Tag hatte man schon andern Vorrath genug! Der Kerkermeister war kein böser Mensch, er wollte nicht grade den Angeber machen, aber eben so wenig hätte er den Gefangenen
mit allem Eifer, der Kerkermeiſter half ſuchen, allein vergebens, ſie waren entwandt, vertauſcht oder in einen Winkel geſtellt, genug, nicht zu finden. Voll Verdruß, nach vielem Bemuͤhen, ſagte Schlabrendorf endlich zu dem Kerkermeiſter: „Nun, ohne Stiefel kann ich doch nicht fort, das ſehen Sie ein. Wiſſen Sie was, — ſetzte er mit harmloſer Treuherzigkeit hinzu, — nehmen Sie mich morgen ſtatt heute, es koͤmmt ja auf den einen Tag nicht an!‟ Der Kerkermeiſter fand den Vorſchlag richtig: ein andrer Gewinn, als der klaͤgliche eines Aufſchubs von vierundzwanzig Stunden, fiel dabei Niemanden ein. Der Karren, deſſen Ladung durch Einen Kopf mehr oder minder nicht merklich veraͤndert erſchien, fuhr mit ſeinen Schlachtofern ab, und Schla¬ brendorf blieb zuruͤck. Am andern Morgen erneute ſich die Abholung; der Verſaͤumte, jetzt mit Stiefeln ver¬ ſehen, war, gleich den Gerufenen dieſes Tages, ganz bereit zur traurigen Fahrt, aber ſieh da! ſein Name kam nicht vor; auch den dritten und vierten Tag nicht, und uͤberhaupt nicht! Sehr natuͤrlich, er war mit der Liſte des erſten Tages abgethan fuͤr immer; wer konnte ſo genau nachzaͤhlen? Man nahm den Gerufenen als ab¬ geliefert und als guillotinirt an, die Verſaͤumniß kuͤm¬ merte Niemanden, fuͤr jeden folgenden Tag hatte man ſchon andern Vorrath genug! Der Kerkermeiſter war kein boͤſer Menſch, er wollte nicht grade den Angeber machen, aber eben ſo wenig haͤtte er den Gefangenen
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mit allem Eifer, der Kerkermeiſter half ſuchen, allein
vergebens, ſie waren entwandt, vertauſcht oder in einen
Winkel geſtellt, genug, nicht zu finden. Voll Verdruß,
nach vielem Bemuͤhen, ſagte Schlabrendorf endlich zu
dem Kerkermeiſter: „Nun, ohne Stiefel kann ich doch
nicht fort, das ſehen Sie ein. Wiſſen Sie was, —
ſetzte er mit harmloſer Treuherzigkeit hinzu, — nehmen
Sie mich morgen ſtatt heute, es koͤmmt ja auf den
einen Tag nicht an!‟ Der Kerkermeiſter fand den
Vorſchlag richtig: ein andrer Gewinn, als der klaͤgliche
eines Aufſchubs von vierundzwanzig Stunden, fiel dabei
Niemanden ein. Der Karren, deſſen Ladung durch
Einen Kopf mehr oder minder nicht merklich veraͤndert
erſchien, fuhr mit ſeinen Schlachtofern ab, und Schla¬
brendorf blieb zuruͤck. Am andern Morgen erneute ſich
die Abholung; der Verſaͤumte, jetzt mit Stiefeln ver¬
ſehen, war, gleich den Gerufenen dieſes Tages, ganz
bereit zur traurigen Fahrt, aber ſieh da! ſein Name kam
nicht vor; auch den dritten und vierten Tag nicht, und
uͤberhaupt nicht! Sehr natuͤrlich, er war mit der Liſte
des erſten Tages abgethan fuͤr immer; wer konnte ſo
genau nachzaͤhlen? Man nahm den Gerufenen als ab¬
geliefert und als guillotinirt an, die Verſaͤumniß kuͤm¬
merte Niemanden, fuͤr jeden folgenden Tag hatte man
ſchon andern Vorrath genug! Der Kerkermeiſter war
kein boͤſer Menſch, er wollte nicht grade den Angeber
machen, aber eben ſo wenig haͤtte er den Gefangenen
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/162>, abgerufen am 24.11.2024.
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