Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
und er schwindet entweder lange vor Beendigung des Fruchtle- bens gänzlich oder wird zuletzt in den Leib des Embryo aufge- nommen. Bei einem Theile der Wirbellosen wenigstens scheint er unmittelbar in die Körpermetamorphose einzugehen, welchen Punkt jedoch noch künftige Erfahrungen näher erläutern müssen. Wenigstens ist aber der Gegensatz zwischen ihm und der Keim- haut durchaus nicht so bestimmt und in der Bildung fixirt.
6. Wir haben es in dem zweiten Abschnitte gesehen, dass in der Keimhaut der Wirbelthiere ein oberes und ein unteres Rohr entstehe, welche beide von der Mittellinie ausgehen. Das obere hat seine Schlusslinie nach der Rücken-, das un- tere nach der Bauchseite zu. v. Bär nannte daher diese Art der Entwickelung eine Evolutio bigemina. Bei den Wirbelthie- ren findet sich nur ein einfaches Rohr, welches von der unterhalb des Dotters liegenden Mittellinie ausgehend diesen umfasst und über ihm an der Rückenseite sich schliesst. v. Bär nennt dieses daher Evolutio gemina. -- Dieses Verhältniss könnte vielleicht vollständiger noch auf folgende Art aufgefasst werden. In der Klasse der Wirbelthiere giebt es drei röhrige Gebilde: 1. Das begrenzende und umschliessende Hautrohr, welches 2. das obere Centralrohr und 3. das untere Centralrohr umfasst. Aus dem oberen entstehen die mehr animalen, aus dem unteren die mehr vegetativen Organe. Die Extremitäten wachsen aus der Mittel- linie zwischen beiden hervor und drängen den früher über ihnen liegenden Theil des Hautrohres vor sich her, so dass dieses auch sie, wie den übrigen Körper, einhüllt. Ihre Eutstehung gehört aber hier im weitesten Sinne des Wortes zu den Hervorstülpungs-, zu den Verdickungsbildungen. Nicht so bei den Wirbellosen. Hier findet sich nur eine einfache Umschlagung, welche zwei Röhren (der Idee nach) concentrisch in sich enthält. Das innere Rohr ist Höhlung des Schleimblattes, welche den Dotter in sich aufnimmt. Das äussere Rohr tritt in die Bedeutung des Haut- rohres, ist aber hier nicht blosse Umschliessung, sondern enthält die vorzüglich animalen Organe. Ja das Verhältniss kann sogar eini- ges Licht auf die Natur der beiden Thierabtheilungen überhaupt wer- fen. Abstrahiren wir nämlich von dem unteren, grösstentheils dem Schleimblatte angehörenden Centralrohre, wie dieses auch bei dem inneren Rohre der Wirbellosen der Fall ist, so haben wir das obere Centralrohr als ein Gebilde, aus welchem die sensiblen Cen-
Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
und er schwindet entweder lange vor Beendigung des Fruchtle- bens gänzlich oder wird zuletzt in den Leib des Embryo aufge- nommen. Bei einem Theile der Wirbellosen wenigstens scheint er unmittelbar in die Körpermetamorphose einzugehen, welchen Punkt jedoch noch künftige Erfahrungen näher erläutern müssen. Wenigstens ist aber der Gegensatz zwischen ihm und der Keim- haut durchaus nicht so bestimmt und in der Bildung fixirt.
6. Wir haben es in dem zweiten Abschnitte gesehen, daſs in der Keimhaut der Wirbelthiere ein oberes und ein unteres Rohr entstehe, welche beide von der Mittellinie ausgehen. Das obere hat seine Schluſslinie nach der Rücken-, das un- tere nach der Bauchseite zu. v. Bär nannte daher diese Art der Entwickelung eine Evolutio bigemina. Bei den Wirbelthie- ren findet sich nur ein einfaches Rohr, welches von der unterhalb des Dotters liegenden Mittellinie ausgehend diesen umfaſst und über ihm an der Rückenseite sich schlieſst. v. Bär nennt dieses daher Evolutio gemina. — Dieses Verhältniſs könnte vielleicht vollständiger noch auf folgende Art aufgefaſst werden. In der Klasse der Wirbelthiere giebt es drei röhrige Gebilde: 1. Das begrenzende und umschlieſsende Hautrohr, welches 2. das obere Centralrohr und 3. das untere Centralrohr umfaſst. Aus dem oberen entstehen die mehr animalen, aus dem unteren die mehr vegetativen Organe. Die Extremitäten wachsen aus der Mittel- linie zwischen beiden hervor und drängen den früher über ihnen liegenden Theil des Hautrohres vor sich her, so daſs dieses auch sie, wie den übrigen Körper, einhüllt. Ihre Eutstehung gehört aber hier im weitesten Sinne des Wortes zu den Hervorstülpungs-, zu den Verdickungsbildungen. Nicht so bei den Wirbellosen. Hier findet sich nur eine einfache Umschlagung, welche zwei Röhren (der Idee nach) concentrisch in sich enthält. Das innere Rohr ist Höhlung des Schleimblattes, welche den Dotter in sich aufnimmt. Das äuſsere Rohr tritt in die Bedeutung des Haut- rohres, ist aber hier nicht bloſse Umschlieſsung, sondern enthält die vorzüglich animalen Organe. Ja das Verhältniſs kann sogar eini- ges Licht auf die Natur der beiden Thierabtheilungen überhaupt wer- fen. Abstrahiren wir nämlich von dem unteren, gröſstentheils dem Schleimblatte angehörenden Centralrohre, wie dieses auch bei dem inneren Rohre der Wirbellosen der Fall ist, so haben wir das obere Centralrohr als ein Gebilde, aus welchem die sensiblen Cen-
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Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
und er schwindet entweder lange vor Beendigung des Fruchtle-
bens gänzlich oder wird zuletzt in den Leib des Embryo aufge-
nommen. Bei einem Theile der Wirbellosen wenigstens scheint
er unmittelbar in die Körpermetamorphose einzugehen, welchen
Punkt jedoch noch künftige Erfahrungen näher erläutern müssen.
Wenigstens ist aber der Gegensatz zwischen ihm und der Keim-
haut durchaus nicht so bestimmt und in der Bildung fixirt.
6. Wir haben es in dem zweiten Abschnitte gesehen, daſs
in der Keimhaut der Wirbelthiere ein oberes und ein unteres
Rohr entstehe, welche beide von der Mittellinie ausgehen.
Das obere hat seine Schluſslinie nach der Rücken-, das un-
tere nach der Bauchseite zu. v. Bär nannte daher diese Art
der Entwickelung eine Evolutio bigemina. Bei den Wirbelthie-
ren findet sich nur ein einfaches Rohr, welches von der unterhalb
des Dotters liegenden Mittellinie ausgehend diesen umfaſst und
über ihm an der Rückenseite sich schlieſst. v. Bär nennt dieses
daher Evolutio gemina. — Dieses Verhältniſs könnte vielleicht
vollständiger noch auf folgende Art aufgefaſst werden. In der
Klasse der Wirbelthiere giebt es drei röhrige Gebilde: 1. Das
begrenzende und umschlieſsende Hautrohr, welches 2. das obere
Centralrohr und 3. das untere Centralrohr umfaſst. Aus dem
oberen entstehen die mehr animalen, aus dem unteren die mehr
vegetativen Organe. Die Extremitäten wachsen aus der Mittel-
linie zwischen beiden hervor und drängen den früher über ihnen
liegenden Theil des Hautrohres vor sich her, so daſs dieses auch
sie, wie den übrigen Körper, einhüllt. Ihre Eutstehung gehört
aber hier im weitesten Sinne des Wortes zu den Hervorstülpungs-,
zu den Verdickungsbildungen. Nicht so bei den Wirbellosen.
Hier findet sich nur eine einfache Umschlagung, welche zwei
Röhren (der Idee nach) concentrisch in sich enthält. Das innere
Rohr ist Höhlung des Schleimblattes, welche den Dotter in sich
aufnimmt. Das äuſsere Rohr tritt in die Bedeutung des Haut-
rohres, ist aber hier nicht bloſse Umschlieſsung, sondern enthält
die vorzüglich animalen Organe. Ja das Verhältniſs kann sogar eini-
ges Licht auf die Natur der beiden Thierabtheilungen überhaupt wer-
fen. Abstrahiren wir nämlich von dem unteren, gröſstentheils dem
Schleimblatte angehörenden Centralrohre, wie dieses auch bei dem
inneren Rohre der Wirbellosen der Fall ist, so haben wir das
obere Centralrohr als ein Gebilde, aus welchem die sensiblen Cen-
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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/632>, abgerufen am 23.11.2024.
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