4. Das System der äusseren Hautbedeckungen der Theile der Harn- und Geschlechtswerkzeuge, bei Männern die äusseren Integu- mente des Penis und Hodensackes, bei Frauen die Schaamlippen.
Dadurch, dass man diese, wie wir sehen werden, aus der Entwickelungsgeschichte von selbst sich ergebenden Abtheilungen unberücksichtigt liess, entstanden über den Ursprung der Harn- und Geschlechtsorgane die widersprechendsten Aeusserungen und Conjecturen. Vorzüglich betrafen dieselben unsere erste und zweite Gruppe. Bevor nämlich deutlich gesonderte Rudimente der hier- zugehörigen Organe sichtbar werden, finden sich nicht nur an den späterhin von diesen eingenommenen Stellen, sondern noch um Vieles über diese hinaus zwei eigenthümliche, höchst merk- würdige, symmetrische Organe, von welchen wir bald ausführlich handeln werden, und die wir unterdess vorläufig mit dem Namen der Wolffschen Körper belegen wollen. Es muss daher die Frage, aus welchen Blättern Nieren, Hoden und Eierstöcke entspringen, auf der Entscheidung der Frage basirt werden, welchem Blatte die Wolffschen Körper wohl angehören. v. Bär liess sie, wie später noch angeführt werden soll, aus einem Blutgefässe entstehen, und Rathke sowohl, als vorzüglich Burdach (Physiol. II. S. 562.) äu- sserten die Vermuthung, dass sie wahrscheinlich dem Gefässblatte angehören, während Joh. Müller (Bildungsgeschichte der Genitalien. 1830. 4. S. 45.) es sogar für möglich hielt, dass sie aus dem Schleim- blatte entspringen. Die Wichtigkeit der Frage regte mich zu wiederholten Beobachtungen an und diese führten mich auf diese Weise zu einem neuen Wege der Untersuchung, der sicher noch Vieles aufhellen und manche Zweifel zu heben im Stande seyn wird. Es ist nämlich das vielfach schon erwähnte kohlensauere Kali, welches hier auf eine besondere Art sich auszeichnet. Embryonen jeden noch so zarten Alters erhärten in demselben, ohne dass, wenn sie nur ganz frisch und unverletzt in eine mit Kali carbon. gesättigte Flüssigkeit gethan werden, selbst ihre grösseren Blutgefässstämme dem Auge entschwinden. Sie bleiben zum Theil so roth, wie im frischen Zustande. Nur mit Flüssig- keit gefüllte Höhlungen, wie vor Allem die Gehirnblasen, fallen zusammen. Dieses ist der einzige, im Ganzen sehr unbedeutende Nachtheil dieser Behandlung. Allein durch sie ist man in den Stand gesetzt, feine Querschnitte von zarten Früchten zu machen, in welchen die drei Blätter noch einzeln gesehen und von ein-
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Geschlechts- und Harnorgane.
4. Das System der äuſseren Hautbedeckungen der Theile der Harn- und Geschlechtswerkzeuge, bei Männern die äuſseren Integu- mente des Penis und Hodensackes, bei Frauen die Schaamlippen.
Dadurch, daſs man diese, wie wir sehen werden, aus der Entwickelungsgeschichte von selbst sich ergebenden Abtheilungen unberücksichtigt lieſs, entstanden über den Ursprung der Harn- und Geschlechtsorgane die widersprechendsten Aeuſserungen und Conjecturen. Vorzüglich betrafen dieselben unsere erste und zweite Gruppe. Bevor nämlich deutlich gesonderte Rudimente der hier- zugehörigen Organe sichtbar werden, finden sich nicht nur an den späterhin von diesen eingenommenen Stellen, sondern noch um Vieles über diese hinaus zwei eigenthümliche, höchst merk- würdige, symmetrische Organe, von welchen wir bald ausführlich handeln werden, und die wir unterdeſs vorläufig mit dem Namen der Wolffschen Körper belegen wollen. Es muſs daher die Frage, aus welchen Blättern Nieren, Hoden und Eierstöcke entspringen, auf der Entscheidung der Frage basirt werden, welchem Blatte die Wolffschen Körper wohl angehören. v. Bär lieſs sie, wie später noch angeführt werden soll, aus einem Blutgefäſse entstehen, und Rathke sowohl, als vorzüglich Burdach (Physiol. II. S. 562.) äu- ſserten die Vermuthung, daſs sie wahrscheinlich dem Gefäſsblatte angehören, während Joh. Müller (Bildungsgeschichte der Genitalien. 1830. 4. S. 45.) es sogar für möglich hielt, daſs sie aus dem Schleim- blatte entspringen. Die Wichtigkeit der Frage regte mich zu wiederholten Beobachtungen an und diese führten mich auf diese Weise zu einem neuen Wege der Untersuchung, der sicher noch Vieles aufhellen und manche Zweifel zu heben im Stande seyn wird. Es ist nämlich das vielfach schon erwähnte kohlensauere Kali, welches hier auf eine besondere Art sich auszeichnet. Embryonen jeden noch so zarten Alters erhärten in demselben, ohne daſs, wenn sie nur ganz frisch und unverletzt in eine mit Kali carbon. gesättigte Flüssigkeit gethan werden, selbst ihre gröſseren Blutgefäſsstämme dem Auge entschwinden. Sie bleiben zum Theil so roth, wie im frischen Zustande. Nur mit Flüssig- keit gefüllte Höhlungen, wie vor Allem die Gehirnblasen, fallen zusammen. Dieses ist der einzige, im Ganzen sehr unbedeutende Nachtheil dieser Behandlung. Allein durch sie ist man in den Stand gesetzt, feine Querschnitte von zarten Früchten zu machen, in welchen die drei Blätter noch einzeln gesehen und von ein-
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Geschlechts- und Harnorgane.
4. Das System der äuſseren Hautbedeckungen der Theile der
Harn- und Geschlechtswerkzeuge, bei Männern die äuſseren Integu-
mente des Penis und Hodensackes, bei Frauen die Schaamlippen.
Dadurch, daſs man diese, wie wir sehen werden, aus der
Entwickelungsgeschichte von selbst sich ergebenden Abtheilungen
unberücksichtigt lieſs, entstanden über den Ursprung der Harn-
und Geschlechtsorgane die widersprechendsten Aeuſserungen und
Conjecturen. Vorzüglich betrafen dieselben unsere erste und zweite
Gruppe. Bevor nämlich deutlich gesonderte Rudimente der hier-
zugehörigen Organe sichtbar werden, finden sich nicht nur an
den späterhin von diesen eingenommenen Stellen, sondern noch
um Vieles über diese hinaus zwei eigenthümliche, höchst merk-
würdige, symmetrische Organe, von welchen wir bald ausführlich
handeln werden, und die wir unterdeſs vorläufig mit dem Namen
der Wolffschen Körper belegen wollen. Es muſs daher die Frage,
aus welchen Blättern Nieren, Hoden und Eierstöcke entspringen,
auf der Entscheidung der Frage basirt werden, welchem Blatte die
Wolffschen Körper wohl angehören. v. Bär lieſs sie, wie später
noch angeführt werden soll, aus einem Blutgefäſse entstehen, und
Rathke sowohl, als vorzüglich Burdach (Physiol. II. S. 562.) äu-
ſserten die Vermuthung, daſs sie wahrscheinlich dem Gefäſsblatte
angehören, während Joh. Müller (Bildungsgeschichte der Genitalien.
1830. 4. S. 45.) es sogar für möglich hielt, daſs sie aus dem Schleim-
blatte entspringen. Die Wichtigkeit der Frage regte mich zu
wiederholten Beobachtungen an und diese führten mich auf diese
Weise zu einem neuen Wege der Untersuchung, der sicher noch
Vieles aufhellen und manche Zweifel zu heben im Stande seyn
wird. Es ist nämlich das vielfach schon erwähnte kohlensauere
Kali, welches hier auf eine besondere Art sich auszeichnet.
Embryonen jeden noch so zarten Alters erhärten in demselben,
ohne daſs, wenn sie nur ganz frisch und unverletzt in eine mit
Kali carbon. gesättigte Flüssigkeit gethan werden, selbst ihre
gröſseren Blutgefäſsstämme dem Auge entschwinden. Sie bleiben
zum Theil so roth, wie im frischen Zustande. Nur mit Flüssig-
keit gefüllte Höhlungen, wie vor Allem die Gehirnblasen, fallen
zusammen. Dieses ist der einzige, im Ganzen sehr unbedeutende
Nachtheil dieser Behandlung. Allein durch sie ist man in den
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in welchen die drei Blätter noch einzeln gesehen und von ein-
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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/381>, abgerufen am 22.11.2024.
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