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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Entstehung des Blutes und der Blutgefässe.
Fruchthofe, wo neben dem Blutstrome zwei zarte durchsichtige
Streifen, an denen ich keine Spur von Kügelchen wahrnehmen
konnte, sichtbar sind. Die sogenannten Rinnen und die Wan-
dungen derselben d. h. die Erhebungsseiten der von dem Schleim-
blatte und der Dotterschicht gebildeten Aufwulstungen sind also
von den wahren späteren Gefässwänden durchaus geschieden und
begrenzen nur die Flüssigkeit, aus der sich Blut- und Gefässwan-
dung erst herausbilden. Dieses ist die schlichte Darstellung vie-
ler von uns und mit möglichster Umsicht und Ruhe angestellter
Beobachtungen, wobei vorzüglich Applanativ-Oculare besondere
Dienste leisteten. Es folgt aber nothwendig aus dieser Darstel-
lung, dass wir die Annahme wandungsloser Gefässe durchaus ver-
werfen müssen. Bekanntlich hat der treffliche Döllinger nebst
mehreren aus seiner Schule hervorgegangenen ausgezeichneten
Naturforschern das Gegentheil behauptet und dieser Voraussetzung
gemäss auch die Genese der Capillargefässe beschrieben. Wir
haben schon oben berichtet, dass er vorzüglich zwei neue Wege
der Blut- und Gefässbildung beschreibt, indem I. ein oder meh-
rere Blutkörner in dem Thierschleime sich einen Weg bahnen,
bald ihnen mehrere nachfolgen und so neue Stämmchen sich bil-
den. Allein dass hier ein Irrthum obwalte, erhellt aus folgenden
Gründen. a. Denn es wird die Wandungslosigkeit der kleinsten
Gefässe und Gefässnetze nothwendig vorausgesetzt und behauptet,
diese seyen blosse Lücken des Thierschleimes. Zu der Reihe von
Gegengründen, welche in neuester Zeit Burdach (Physiol. IV. S.
193.). E. H. Weber (Hildebr. Anat. III. S. 35.), Joh. Müller (bei
Burdach IV. S. 197. und in s. Physiol. I. S. 206.) und R. Wag-
ner (l. c. S. 68. 69.) angeführt haben, müssen wir ausser dem
Obigen noch folgendes hinzufügen: Liessen wir ein Stückchen
gut injicirter Dünndarmschleimhaut eine lange Zeit maceriren,
so blieb zuletzt die Conformation des einer jeden Zotte entspre-
chenden feinsten Blutgefässnetzes frei und ohne alle verbindende
Membran zurück, also das vollkommenste Analogon der Windisch-
mann'schen Erfahrung. Ausserdem sahen wir nie, so oft wir auch
den Blutumlauf in lebenden Thieren beobachteten, selbst in den
Insektenlarven, auf die wir bald zurückkommen werden, etwas,
das bei genauer Betrachtung auf gefässlose Wandungen im
Mindesten schliessen liesse. Wenn man auch bedenkt, wie
leicht durchsichtige, körnerlose Häute, dem blossen, und auch

Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
Fruchthofe, wo neben dem Blutstrome zwei zarte durchsichtige
Streifen, an denen ich keine Spur von Kügelchen wahrnehmen
konnte, sichtbar sind. Die sogenannten Rinnen und die Wan-
dungen derselben d. h. die Erhebungsseiten der von dem Schleim-
blatte und der Dotterschicht gebildeten Aufwulstungen sind also
von den wahren späteren Gefäſswänden durchaus geschieden und
begrenzen nur die Flüssigkeit, aus der sich Blut- und Gefäſswan-
dung erst herausbilden. Dieses ist die schlichte Darstellung vie-
ler von uns und mit möglichster Umsicht und Ruhe angestellter
Beobachtungen, wobei vorzüglich Applanativ-Oculare besondere
Dienste leisteten. Es folgt aber nothwendig aus dieser Darstel-
lung, daſs wir die Annahme wandungsloser Gefäſse durchaus ver-
werfen müssen. Bekanntlich hat der treffliche Döllinger nebst
mehreren aus seiner Schule hervorgegangenen ausgezeichneten
Naturforschern das Gegentheil behauptet und dieser Voraussetzung
gemäſs auch die Genese der Capillargefäſse beschrieben. Wir
haben schon oben berichtet, daſs er vorzüglich zwei neue Wege
der Blut- und Gefäſsbildung beschreibt, indem I. ein oder meh-
rere Blutkörner in dem Thierschleime sich einen Weg bahnen,
bald ihnen mehrere nachfolgen und so neue Stämmchen sich bil-
den. Allein daſs hier ein Irrthum obwalte, erhellt aus folgenden
Gründen. a. Denn es wird die Wandungslosigkeit der kleinsten
Gefäſse und Gefäſsnetze nothwendig vorausgesetzt und behauptet,
diese seyen bloſse Lücken des Thierschleimes. Zu der Reihe von
Gegengründen, welche in neuester Zeit Burdach (Physiol. IV. S.
193.). E. H. Weber (Hildebr. Anat. III. S. 35.), Joh. Müller (bei
Burdach IV. S. 197. und in s. Physiol. I. S. 206.) und R. Wag-
ner (l. c. S. 68. 69.) angeführt haben, müssen wir auſser dem
Obigen noch folgendes hinzufügen: Lieſsen wir ein Stückchen
gut injicirter Dünndarmschleimhaut eine lange Zeit maceriren,
so blieb zuletzt die Conformation des einer jeden Zotte entspre-
chenden feinsten Blutgefäſsnetzes frei und ohne alle verbindende
Membran zurück, also das vollkommenste Analogon der Windisch-
mann’schen Erfahrung. Auſserdem sahen wir nie, so oft wir auch
den Blutumlauf in lebenden Thieren beobachteten, selbst in den
Insektenlarven, auf die wir bald zurückkommen werden, etwas,
das bei genauer Betrachtung auf gefäſslose Wandungen im
Mindesten schlieſsen lieſse. Wenn man auch bedenkt, wie
leicht durchsichtige, körnerlose Häute, dem bloſsen, und auch

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[299/0327] Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse. Fruchthofe, wo neben dem Blutstrome zwei zarte durchsichtige Streifen, an denen ich keine Spur von Kügelchen wahrnehmen konnte, sichtbar sind. Die sogenannten Rinnen und die Wan- dungen derselben d. h. die Erhebungsseiten der von dem Schleim- blatte und der Dotterschicht gebildeten Aufwulstungen sind also von den wahren späteren Gefäſswänden durchaus geschieden und begrenzen nur die Flüssigkeit, aus der sich Blut- und Gefäſswan- dung erst herausbilden. Dieses ist die schlichte Darstellung vie- ler von uns und mit möglichster Umsicht und Ruhe angestellter Beobachtungen, wobei vorzüglich Applanativ-Oculare besondere Dienste leisteten. Es folgt aber nothwendig aus dieser Darstel- lung, daſs wir die Annahme wandungsloser Gefäſse durchaus ver- werfen müssen. Bekanntlich hat der treffliche Döllinger nebst mehreren aus seiner Schule hervorgegangenen ausgezeichneten Naturforschern das Gegentheil behauptet und dieser Voraussetzung gemäſs auch die Genese der Capillargefäſse beschrieben. Wir haben schon oben berichtet, daſs er vorzüglich zwei neue Wege der Blut- und Gefäſsbildung beschreibt, indem I. ein oder meh- rere Blutkörner in dem Thierschleime sich einen Weg bahnen, bald ihnen mehrere nachfolgen und so neue Stämmchen sich bil- den. Allein daſs hier ein Irrthum obwalte, erhellt aus folgenden Gründen. a. Denn es wird die Wandungslosigkeit der kleinsten Gefäſse und Gefäſsnetze nothwendig vorausgesetzt und behauptet, diese seyen bloſse Lücken des Thierschleimes. Zu der Reihe von Gegengründen, welche in neuester Zeit Burdach (Physiol. IV. S. 193.). E. H. Weber (Hildebr. Anat. III. S. 35.), Joh. Müller (bei Burdach IV. S. 197. und in s. Physiol. I. S. 206.) und R. Wag- ner (l. c. S. 68. 69.) angeführt haben, müssen wir auſser dem Obigen noch folgendes hinzufügen: Lieſsen wir ein Stückchen gut injicirter Dünndarmschleimhaut eine lange Zeit maceriren, so blieb zuletzt die Conformation des einer jeden Zotte entspre- chenden feinsten Blutgefäſsnetzes frei und ohne alle verbindende Membran zurück, also das vollkommenste Analogon der Windisch- mann’schen Erfahrung. Auſserdem sahen wir nie, so oft wir auch den Blutumlauf in lebenden Thieren beobachteten, selbst in den Insektenlarven, auf die wir bald zurückkommen werden, etwas, das bei genauer Betrachtung auf gefäſslose Wandungen im Mindesten schlieſsen lieſse. Wenn man auch bedenkt, wie leicht durchsichtige, körnerlose Häute, dem bloſsen, und auch

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/327>, abgerufen am 22.11.2024.