triebene Wülste und Windungen, wie der grösste Theil der am grossen Gehirne in den Ventrikeln distinguirten Gebilde, oder brückenartige Fortsätze, welche entweder das ganze Leben hin- durch oder nur während eines Theiles desselben wahre Commis- suren bilden. Eine wissenschaftliche Morphologie des Gehirnes muss durchaus diese nur durch die Entwickelungsgeschichte aufzuhellenden Punkte ins Auge fassen, um nicht bloss ein Aggre- gat von mannigfachen, zufälligen Theilen, sondern ein lebendiges Ganze des Hirnbaues darzustellen.
Die Masse der sensiblen Substanz ist zuerst ganz und gar flüssig und durchsichtig und wird später an den Stellen, wo So- lidescenz der Bildung eintritt, mit Körnern vermischt, während sie in deren Umgebung noch flüssig bleibt. Diese Körner legen sich immer dichter an einander, vermehren sich also auch ihrer absoluten Zahl nach bedeutend und haben eine nicht ganz be- stimmt runde Form. Späterhin sieht man, wenn man die frische Hirnmasse zwischen zwei Glasplatten leise presst, gewisse unbe- stimmte Fäden, die aus den genannten Kügelchen auf dieselbe Weise zusammengesetzt sind, wie die frühesten Muskelfäden (s. unten). Man muss aber diese undeutlicheren und weniger selbst- ständigen, transitorischen Fäden wohl von den varicösen Fäden des Rückenmarkes unterscheiden, welche zu Ende des vorigen Jahr- hunderts Fontana (Viperngift. 1787. 4. tab. 4. fig. 11.) abgebildet und in neuester Zeit Ehrenberg (Poggendorfss Annalen. 1833. No. 7. S. 449. fg.), Krause (ebendaselbst 1834. No. 8.) und wir selbst (Joh. Müllers Arch. Bd. I. S. 401 -- 409.) näher beschrie- ben haben. Denn diese letzteren Gebilde erscheinen nach mei- nen Untersuchungen sehr spät, kurz vor oder nach der Geburt. Während des allergrössten Theils des Fötallebens fehlen sie gänz- lich und man sieht nur jene körnige Masse und die undeutlichen, durch sie und die verbindende Gallerte gebildeten Fäden. Des- senungeachtet giebt sich der Unterschied von grauer und weisser Substanz deutlich genug frühzeitig zu erkennen; ja man kann beide schon an ihren verschiedenen Körnchen oder Körperchen von ein- ander unterscheiden, ehe die Farbendifferenz bestimmter hervortritt, wie ich an Früchten des Schweines besonders gefunden habe. Doch darf die Nervensubstanz zu solchen Untersuchungen nicht frü- her in Weingeist aufbewahrt gewesen seyn. In dem Menschen habe ich die Differenz in frischen Hirnen aus dem dritten Monate so
Nervensubstanz.
triebene Wülste und Windungen, wie der gröſste Theil der am groſsen Gehirne in den Ventrikeln distinguirten Gebilde, oder brückenartige Fortsätze, welche entweder das ganze Leben hin- durch oder nur während eines Theiles desselben wahre Commis- suren bilden. Eine wissenschaftliche Morphologie des Gehirnes muſs durchaus diese nur durch die Entwickelungsgeschichte aufzuhellenden Punkte ins Auge fassen, um nicht bloſs ein Aggre- gat von mannigfachen, zufälligen Theilen, sondern ein lebendiges Ganze des Hirnbaues darzustellen.
Die Masse der sensiblen Substanz ist zuerst ganz und gar flüssig und durchsichtig und wird später an den Stellen, wo So- lidescenz der Bildung eintritt, mit Körnern vermischt, während sie in deren Umgebung noch flüssig bleibt. Diese Körner legen sich immer dichter an einander, vermehren sich also auch ihrer absoluten Zahl nach bedeutend und haben eine nicht ganz be- stimmt runde Form. Späterhin sieht man, wenn man die frische Hirnmasse zwischen zwei Glasplatten leise preſst, gewisse unbe- stimmte Fäden, die aus den genannten Kügelchen auf dieselbe Weise zusammengesetzt sind, wie die frühesten Muskelfäden (s. unten). Man muſs aber diese undeutlicheren und weniger selbst- ständigen, transitorischen Fäden wohl von den varicösen Fäden des Rückenmarkes unterscheiden, welche zu Ende des vorigen Jahr- hunderts Fontana (Viperngift. 1787. 4. tab. 4. fig. 11.) abgebildet und in neuester Zeit Ehrenberg (Poggendorfſs Annalen. 1833. No. 7. S. 449. fg.), Krause (ebendaselbst 1834. No. 8.) und wir selbst (Joh. Müllers Arch. Bd. I. S. 401 — 409.) näher beschrie- ben haben. Denn diese letzteren Gebilde erscheinen nach mei- nen Untersuchungen sehr spät, kurz vor oder nach der Geburt. Während des allergröſsten Theils des Fötallebens fehlen sie gänz- lich und man sieht nur jene körnige Masse und die undeutlichen, durch sie und die verbindende Gallerte gebildeten Fäden. Des- senungeachtet giebt sich der Unterschied von grauer und weiſser Substanz deutlich genug frühzeitig zu erkennen; ja man kann beide schon an ihren verschiedenen Körnchen oder Körperchen von ein- ander unterscheiden, ehe die Farbendifferenz bestimmter hervortritt, wie ich an Früchten des Schweines besonders gefunden habe. Doch darf die Nervensubstanz zu solchen Untersuchungen nicht frü- her in Weingeist aufbewahrt gewesen seyn. In dem Menschen habe ich die Differenz in frischen Hirnen aus dem dritten Monate so
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[183/0211]
Nervensubstanz.
triebene Wülste und Windungen, wie der gröſste Theil der am
groſsen Gehirne in den Ventrikeln distinguirten Gebilde, oder
brückenartige Fortsätze, welche entweder das ganze Leben hin-
durch oder nur während eines Theiles desselben wahre Commis-
suren bilden. Eine wissenschaftliche Morphologie des Gehirnes
muſs durchaus diese nur durch die Entwickelungsgeschichte
aufzuhellenden Punkte ins Auge fassen, um nicht bloſs ein Aggre-
gat von mannigfachen, zufälligen Theilen, sondern ein lebendiges
Ganze des Hirnbaues darzustellen.
Die Masse der sensiblen Substanz ist zuerst ganz und gar
flüssig und durchsichtig und wird später an den Stellen, wo So-
lidescenz der Bildung eintritt, mit Körnern vermischt, während
sie in deren Umgebung noch flüssig bleibt. Diese Körner legen
sich immer dichter an einander, vermehren sich also auch ihrer
absoluten Zahl nach bedeutend und haben eine nicht ganz be-
stimmt runde Form. Späterhin sieht man, wenn man die frische
Hirnmasse zwischen zwei Glasplatten leise preſst, gewisse unbe-
stimmte Fäden, die aus den genannten Kügelchen auf dieselbe
Weise zusammengesetzt sind, wie die frühesten Muskelfäden (s.
unten). Man muſs aber diese undeutlicheren und weniger selbst-
ständigen, transitorischen Fäden wohl von den varicösen Fäden des
Rückenmarkes unterscheiden, welche zu Ende des vorigen Jahr-
hunderts Fontana (Viperngift. 1787. 4. tab. 4. fig. 11.) abgebildet
und in neuester Zeit Ehrenberg (Poggendorfſs Annalen. 1833.
No. 7. S. 449. fg.), Krause (ebendaselbst 1834. No. 8.) und wir
selbst (Joh. Müllers Arch. Bd. I. S. 401 — 409.) näher beschrie-
ben haben. Denn diese letzteren Gebilde erscheinen nach mei-
nen Untersuchungen sehr spät, kurz vor oder nach der Geburt.
Während des allergröſsten Theils des Fötallebens fehlen sie gänz-
lich und man sieht nur jene körnige Masse und die undeutlichen,
durch sie und die verbindende Gallerte gebildeten Fäden. Des-
senungeachtet giebt sich der Unterschied von grauer und weiſser
Substanz deutlich genug frühzeitig zu erkennen; ja man kann beide
schon an ihren verschiedenen Körnchen oder Körperchen von ein-
ander unterscheiden, ehe die Farbendifferenz bestimmter hervortritt,
wie ich an Früchten des Schweines besonders gefunden habe.
Doch darf die Nervensubstanz zu solchen Untersuchungen nicht frü-
her in Weingeist aufbewahrt gewesen seyn. In dem Menschen habe
ich die Differenz in frischen Hirnen aus dem dritten Monate so
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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/211>, abgerufen am 24.11.2024.
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