Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.Vorrede. er sich so zu diesem eben so schwierigen, als genussreichenFelde Bahn gebrochen, musste es sich ihm fast von selbst ergeben, dass, wenn einerseits die Entwickelung der Organe durch den glücklichen Fleiss vieler Gelehrten ziemlich aufge- hellt worden, die der Gewebe nicht nur stiefmütterlich be- handelt, sondern so gut, als gar nicht bearbeitet sey. Da- durch, dass Heusingers System der Histiologie *) unvollendet blieb, war auch die Hoffnung geschwunden, dass wir von diesem geachteten Naturforscher eine Histiogenie erhalten würden. Mit Ausnahme der Entwickelungsgeschichte der Blutflüssigkeit und der Blutkörperchen, welche jedoch eben- falls mangelhaft bearbeitet worden, fanden sich nur sehr wenige Data, die zu einer wissenschaftlichen Darstellung benutzt werden konnten. Es war daher für das jugendliche Gemüth des Vf. die Idee lockend genug, so ein neues Feld physiologischer Wissenschaft, die Histiogenie, zu schaffen. Aber bald zeigte sich der Schwierigkeiten grosse Fülle. Denn wenn es schon einen Aufwand von mehr, als mittel- mässigen Kräften erfordert, um die Entwickelung der Organe zu verfolgen, so stösst man nicht selten bei der Beobachtung der Gewebeentwickelung auf Dinge, welche die Grenzen unserer Sinne weit hinter sich lassen. Zuvörderst muss man hier durchaus an frischen Präparaten arbeiten, oder solche Untersuchungen wenigstens der Beobachtung an Früchten, die in Weingeist aufbewahrt worden, vorausschicken; dann ist es unerlässlich, eben so starke, als klare Vergrösserungen anzuwenden, da die schwachen, welche bei der Entwicke- lung der Organe so gute Dienste leisten, hier gar nicht zu *) Der Ausdruck Histologie, der bisher allgemein gebraucht wurde,
ist unrichtig. Istos heisst der Webestuhl und kommt nur bei Dichtern (iston uphainein Homer) und späteren Prosaisten und auch hier sehr sel- ten, in der Bedeutung von Gewebe vor. Das Letztere heisst richtiger istion. Vorrede. er sich so zu diesem eben so schwierigen, als genuſsreichenFelde Bahn gebrochen, muſste es sich ihm fast von selbst ergeben, daſs, wenn einerseits die Entwickelung der Organe durch den glücklichen Fleiſs vieler Gelehrten ziemlich aufge- hellt worden, die der Gewebe nicht nur stiefmütterlich be- handelt, sondern so gut, als gar nicht bearbeitet sey. Da- durch, daſs Heusingers System der Histiologie *) unvollendet blieb, war auch die Hoffnung geschwunden, daſs wir von diesem geachteten Naturforscher eine Histiogenie erhalten würden. Mit Ausnahme der Entwickelungsgeschichte der Blutflüssigkeit und der Blutkörperchen, welche jedoch eben- falls mangelhaft bearbeitet worden, fanden sich nur sehr wenige Data, die zu einer wissenschaftlichen Darstellung benutzt werden konnten. Es war daher für das jugendliche Gemüth des Vf. die Idee lockend genug, so ein neues Feld physiologischer Wissenschaft, die Histiogenie, zu schaffen. Aber bald zeigte sich der Schwierigkeiten groſse Fülle. Denn wenn es schon einen Aufwand von mehr, als mittel- mäſsigen Kräften erfordert, um die Entwickelung der Organe zu verfolgen, so stöſst man nicht selten bei der Beobachtung der Gewebeentwickelung auf Dinge, welche die Grenzen unserer Sinne weit hinter sich lassen. Zuvörderst muſs man hier durchaus an frischen Präparaten arbeiten, oder solche Untersuchungen wenigstens der Beobachtung an Früchten, die in Weingeist aufbewahrt worden, vorausschicken; dann ist es unerläſslich, eben so starke, als klare Vergröſserungen anzuwenden, da die schwachen, welche bei der Entwicke- lung der Organe so gute Dienste leisten, hier gar nicht zu *) Der Ausdruck Histologie, der bisher allgemein gebraucht wurde,
ist unrichtig. Ἱστός heiſst der Webestuhl und kommt nur bei Dichtern (ἱστόν ὑφαίνειν Homer) und späteren Prosaisten und auch hier sehr sel- ten, in der Bedeutung von Gewebe vor. Das Letztere heiſst richtiger ἱστίον. <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0012" n="VI"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</fw><lb/> er sich so zu diesem eben so schwierigen, als genuſsreichen<lb/> Felde Bahn gebrochen, muſste es sich ihm fast von selbst<lb/> ergeben, daſs, wenn einerseits die Entwickelung der Organe<lb/> durch den glücklichen Fleiſs vieler Gelehrten ziemlich aufge-<lb/> hellt worden, die der Gewebe nicht nur stiefmütterlich be-<lb/> handelt, sondern so gut, als gar nicht bearbeitet sey. Da-<lb/> durch, daſs Heusingers System der Histiologie <note place="foot" n="*)">Der Ausdruck Histologie, der bisher allgemein gebraucht wurde,<lb/> ist unrichtig. <foreign xml:lang="ell">Ἱστός</foreign> heiſst der Webestuhl und kommt nur bei Dichtern<lb/> (<foreign xml:lang="ell">ἱστόν ὑφαίνειν</foreign> Homer) und späteren Prosaisten und auch hier sehr sel-<lb/> ten, in der Bedeutung von Gewebe vor. Das Letztere heiſst richtiger<lb/><foreign xml:lang="ell">ἱστίον</foreign>.</note> unvollendet<lb/> blieb, war auch die Hoffnung geschwunden, daſs wir von<lb/> diesem geachteten Naturforscher eine Histiogenie erhalten<lb/> würden. Mit Ausnahme der Entwickelungsgeschichte der<lb/> Blutflüssigkeit und der Blutkörperchen, welche jedoch eben-<lb/> falls mangelhaft bearbeitet worden, fanden sich nur sehr<lb/> wenige Data, die zu einer wissenschaftlichen Darstellung<lb/> benutzt werden konnten. Es war daher für das jugendliche<lb/> Gemüth des Vf. die Idee lockend genug, so ein neues Feld<lb/> physiologischer Wissenschaft, die Histiogenie, zu schaffen.<lb/> Aber bald zeigte sich der Schwierigkeiten groſse Fülle.<lb/> Denn wenn es schon einen Aufwand von mehr, als mittel-<lb/> mäſsigen Kräften erfordert, um die Entwickelung der Organe<lb/> zu verfolgen, so stöſst man nicht selten bei der Beobachtung<lb/> der Gewebeentwickelung auf Dinge, welche die Grenzen<lb/> unserer Sinne weit hinter sich lassen. Zuvörderst muſs man<lb/> hier durchaus an frischen Präparaten arbeiten, oder solche<lb/> Untersuchungen wenigstens der Beobachtung an Früchten,<lb/> die in Weingeist aufbewahrt worden, vorausschicken; dann<lb/> ist es unerläſslich, eben so starke, als klare Vergröſserungen<lb/> anzuwenden, da die schwachen, welche bei der Entwicke-<lb/> lung der Organe so gute Dienste leisten, hier gar nicht zu<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [VI/0012]
Vorrede.
er sich so zu diesem eben so schwierigen, als genuſsreichen
Felde Bahn gebrochen, muſste es sich ihm fast von selbst
ergeben, daſs, wenn einerseits die Entwickelung der Organe
durch den glücklichen Fleiſs vieler Gelehrten ziemlich aufge-
hellt worden, die der Gewebe nicht nur stiefmütterlich be-
handelt, sondern so gut, als gar nicht bearbeitet sey. Da-
durch, daſs Heusingers System der Histiologie *) unvollendet
blieb, war auch die Hoffnung geschwunden, daſs wir von
diesem geachteten Naturforscher eine Histiogenie erhalten
würden. Mit Ausnahme der Entwickelungsgeschichte der
Blutflüssigkeit und der Blutkörperchen, welche jedoch eben-
falls mangelhaft bearbeitet worden, fanden sich nur sehr
wenige Data, die zu einer wissenschaftlichen Darstellung
benutzt werden konnten. Es war daher für das jugendliche
Gemüth des Vf. die Idee lockend genug, so ein neues Feld
physiologischer Wissenschaft, die Histiogenie, zu schaffen.
Aber bald zeigte sich der Schwierigkeiten groſse Fülle.
Denn wenn es schon einen Aufwand von mehr, als mittel-
mäſsigen Kräften erfordert, um die Entwickelung der Organe
zu verfolgen, so stöſst man nicht selten bei der Beobachtung
der Gewebeentwickelung auf Dinge, welche die Grenzen
unserer Sinne weit hinter sich lassen. Zuvörderst muſs man
hier durchaus an frischen Präparaten arbeiten, oder solche
Untersuchungen wenigstens der Beobachtung an Früchten,
die in Weingeist aufbewahrt worden, vorausschicken; dann
ist es unerläſslich, eben so starke, als klare Vergröſserungen
anzuwenden, da die schwachen, welche bei der Entwicke-
lung der Organe so gute Dienste leisten, hier gar nicht zu
*) Der Ausdruck Histologie, der bisher allgemein gebraucht wurde,
ist unrichtig. Ἱστός heiſst der Webestuhl und kommt nur bei Dichtern
(ἱστόν ὑφαίνειν Homer) und späteren Prosaisten und auch hier sehr sel-
ten, in der Bedeutung von Gewebe vor. Das Letztere heiſst richtiger
ἱστίον.
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