Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.Lyrische Gedichte Jch sehe sie, und Morgen-Rosen schmücken Die heitre Stirn und glänzen um ihr Haupt. Wie ruhig strahlt aus ihren süssen Blicken Die reine Lust, die kein Verhängniß raubt! Durch sie wird selbst Lyäus zahm gemachet, Der hinter ihr mit einer Muse lachet. Die Freude schwingt um sie die güldnen Flügel Zu aller Zeit, auch wenn das Glück entflieht. So öde scheint kein dürrverbrannter Hügel, Wo nicht für sie noch manche Bluhme blüht: Und rings umher schwatzt unter Laub und Zweigen Ein sanfter West, und rauhe Stürme schweigen. Wie sollte dir nicht alles dienen müssen, Du, die allein die Sterblichen beglückt! Gefesselt liegt, o Göttinn! dir zu Füssen Der bleiche Gram, der schwache Seelen drückt. Du bändigest die hungrigen Begierden, Die ohne dich verderblich herrschen würden. Wie, wann der Sud sein schwarz Gefieder schüttert, Und auf der See sich als Tyrann erhebt; Der Ocean bis an den Grund erzittert, Und weißbeschäumt hoch in die Lüfte strebt: Jndem kein Stern die bange Nacht erheitert, Verirret sich das kranke Schiff und scheitert: So
Lyriſche Gedichte Jch ſehe ſie, und Morgen-Roſen ſchmuͤcken Die heitre Stirn und glaͤnzen um ihr Haupt. Wie ruhig ſtrahlt aus ihren ſuͤſſen Blicken Die reine Luſt, die kein Verhaͤngniß raubt! Durch ſie wird ſelbſt Lyaͤus zahm gemachet, Der hinter ihr mit einer Muſe lachet. Die Freude ſchwingt um ſie die guͤldnen Fluͤgel Zu aller Zeit, auch wenn das Gluͤck entflieht. So oͤde ſcheint kein duͤrrverbrannter Huͤgel, Wo nicht fuͤr ſie noch manche Bluhme bluͤht: Und rings umher ſchwatzt unter Laub und Zweigen Ein ſanfter Weſt, und rauhe Stuͤrme ſchweigen. Wie ſollte dir nicht alles dienen muͤſſen, Du, die allein die Sterblichen begluͤckt! Gefeſſelt liegt, o Goͤttinn! dir zu Fuͤſſen Der bleiche Gram, der ſchwache Seelen druͤckt. Du baͤndigeſt die hungrigen Begierden, Die ohne dich verderblich herrſchen wuͤrden. Wie, wann der Sud ſein ſchwarz Gefieder ſchuͤttert, Und auf der See ſich als Tyrann erhebt; Der Ocean bis an den Grund erzittert, Und weißbeſchaͤumt hoch in die Luͤfte ſtrebt: Jndem kein Stern die bange Nacht erheitert, Verirret ſich das kranke Schiff und ſcheitert: So
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Lyriſche Gedichte
Jch ſehe ſie, und Morgen-Roſen ſchmuͤcken
Die heitre Stirn und glaͤnzen um ihr Haupt.
Wie ruhig ſtrahlt aus ihren ſuͤſſen Blicken
Die reine Luſt, die kein Verhaͤngniß raubt!
Durch ſie wird ſelbſt Lyaͤus zahm gemachet,
Der hinter ihr mit einer Muſe lachet.
Die Freude ſchwingt um ſie die guͤldnen Fluͤgel
Zu aller Zeit, auch wenn das Gluͤck entflieht.
So oͤde ſcheint kein duͤrrverbrannter Huͤgel,
Wo nicht fuͤr ſie noch manche Bluhme bluͤht:
Und rings umher ſchwatzt unter Laub und Zweigen
Ein ſanfter Weſt, und rauhe Stuͤrme ſchweigen.
Wie ſollte dir nicht alles dienen muͤſſen,
Du, die allein die Sterblichen begluͤckt!
Gefeſſelt liegt, o Goͤttinn! dir zu Fuͤſſen
Der bleiche Gram, der ſchwache Seelen druͤckt.
Du baͤndigeſt die hungrigen Begierden,
Die ohne dich verderblich herrſchen wuͤrden.
Wie, wann der Sud ſein ſchwarz Gefieder ſchuͤttert,
Und auf der See ſich als Tyrann erhebt;
Der Ocean bis an den Grund erzittert,
Und weißbeſchaͤumt hoch in die Luͤfte ſtrebt:
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