Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.Briefe. Mutter verlassen und einem Mann anhangen soll, auchdeswegen Männinn heißt. Wie? Orpheus hat mit sei- ner Leyer, die vermuthlich lange nicht so reizend, als die Jhrige, geklungen, seine Geliebte dem Teufel selbst ab- locken können? Und Jhre Lieder haben Jhnen nicht helfen mögen, Jhre Verlobte den Armen eines übertriebenen from- men Eigensinns zu entreissen? Dieser einige Umstand macht Jhre Erzehlung mir beynahe unglaublig. Denn was dieses anbelanget, daß Sie von einem Mädchen sich betrügen lassen, und solches für eine Göttinn gehalten, hernach aber als einen Menschen, gleich denen übrigen Kindern der verderblichen Eva, befunden haben: liebster Freund, das ist ganz begreiflich. Wer wird nicht auf diese Art betrogen. Du spieltest, Freund, mit Lieb und Schönen, Als einer der sie nicht gekannt, Bis mitten in der Lust und süsser Saiten Tönen Erfahrung peinlich dich verbrannt. So scherzt ein munters Kind mit der geliebten Katze: Der Knabe neckt sie lang, und ihre fromme Tatze Scheint Sammet, scheint ihm unbewehrt, Bis ein geschwinder Schmerz und rinnend Blut ihn lehrt, Daß auch ein artig Thierchen kratze. O Mädchen! Mädchen! flieht! umsonst ist mein Be- mühn: Wann ihr nicht flieht, ich kann nicht fliehn; Und
Briefe. Mutter verlaſſen und einem Mann anhangen ſoll, auchdeswegen Maͤnninn heißt. Wie? Orpheus hat mit ſei- ner Leyer, die vermuthlich lange nicht ſo reizend, als die Jhrige, geklungen, ſeine Geliebte dem Teufel ſelbſt ab- locken koͤnnen? Und Jhre Lieder haben Jhnen nicht helfen moͤgen, Jhre Verlobte den Armen eines uͤbertriebenen from- men Eigenſinns zu entreiſſen? Dieſer einige Umſtand macht Jhre Erzehlung mir beynahe unglaublig. Denn was dieſes anbelanget, daß Sie von einem Maͤdchen ſich betruͤgen laſſen, und ſolches fuͤr eine Goͤttinn gehalten, hernach aber als einen Menſchen, gleich denen uͤbrigen Kindern der verderblichen Eva, befunden haben: liebſter Freund, das iſt ganz begreiflich. Wer wird nicht auf dieſe Art betrogen. Du ſpielteſt, Freund, mit Lieb und Schoͤnen, Als einer der ſie nicht gekannt, Bis mitten in der Luſt und ſuͤſſer Saiten Toͤnen Erfahrung peinlich dich verbrannt. So ſcherzt ein munters Kind mit der geliebten Katze: Der Knabe neckt ſie lang, und ihre fromme Tatze Scheint Sammet, ſcheint ihm unbewehrt, Bis ein geſchwinder Schmerz und rinnend Blut ihn lehrt, Daß auch ein artig Thierchen kratze. O Maͤdchen! Maͤdchen! flieht! umſonſt iſt mein Be- muͤhn: Wann ihr nicht flieht, ich kann nicht fliehn; Und
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0237" n="223"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Briefe.</hi></fw><lb/> Mutter verlaſſen und einem Mann anhangen ſoll, auch<lb/> deswegen Maͤnninn heißt. Wie? Orpheus hat mit ſei-<lb/> ner Leyer, die vermuthlich lange nicht ſo reizend, als die<lb/> Jhrige, geklungen, ſeine Geliebte dem Teufel ſelbſt ab-<lb/> locken koͤnnen? Und Jhre Lieder haben Jhnen nicht helfen<lb/> moͤgen, Jhre Verlobte den Armen eines uͤbertriebenen from-<lb/> men Eigenſinns zu entreiſſen? Dieſer einige Umſtand macht<lb/> Jhre Erzehlung mir beynahe unglaublig. Denn was dieſes<lb/> anbelanget, daß Sie von einem Maͤdchen ſich betruͤgen<lb/> laſſen, und ſolches fuͤr eine Goͤttinn gehalten, hernach<lb/> aber als einen Menſchen, gleich denen uͤbrigen Kindern<lb/> der verderblichen Eva, befunden haben: liebſter Freund,<lb/> das iſt ganz begreiflich. Wer wird nicht auf dieſe Art<lb/> betrogen.</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Du ſpielteſt, Freund, mit Lieb und Schoͤnen,</l><lb/> <l>Als einer der ſie nicht gekannt,</l><lb/> <l>Bis mitten in der Luſt und ſuͤſſer Saiten Toͤnen</l><lb/> <l>Erfahrung peinlich dich verbrannt.</l><lb/> <l>So ſcherzt ein munters Kind mit der geliebten Katze:</l><lb/> <l>Der Knabe neckt ſie lang, und ihre fromme Tatze</l><lb/> <l>Scheint Sammet, ſcheint ihm unbewehrt,</l><lb/> <l>Bis ein geſchwinder Schmerz und rinnend Blut ihn</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">lehrt,</hi> </l><lb/> <l>Daß auch ein artig Thierchen kratze.</l><lb/> <l>O Maͤdchen! Maͤdchen! flieht! umſonſt iſt mein Be-</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">muͤhn:</hi> </l><lb/> <l>Wann ihr nicht flieht, ich kann nicht fliehn;</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [223/0237]
Briefe.
Mutter verlaſſen und einem Mann anhangen ſoll, auch
deswegen Maͤnninn heißt. Wie? Orpheus hat mit ſei-
ner Leyer, die vermuthlich lange nicht ſo reizend, als die
Jhrige, geklungen, ſeine Geliebte dem Teufel ſelbſt ab-
locken koͤnnen? Und Jhre Lieder haben Jhnen nicht helfen
moͤgen, Jhre Verlobte den Armen eines uͤbertriebenen from-
men Eigenſinns zu entreiſſen? Dieſer einige Umſtand macht
Jhre Erzehlung mir beynahe unglaublig. Denn was dieſes
anbelanget, daß Sie von einem Maͤdchen ſich betruͤgen
laſſen, und ſolches fuͤr eine Goͤttinn gehalten, hernach
aber als einen Menſchen, gleich denen uͤbrigen Kindern
der verderblichen Eva, befunden haben: liebſter Freund,
das iſt ganz begreiflich. Wer wird nicht auf dieſe Art
betrogen.
Du ſpielteſt, Freund, mit Lieb und Schoͤnen,
Als einer der ſie nicht gekannt,
Bis mitten in der Luſt und ſuͤſſer Saiten Toͤnen
Erfahrung peinlich dich verbrannt.
So ſcherzt ein munters Kind mit der geliebten Katze:
Der Knabe neckt ſie lang, und ihre fromme Tatze
Scheint Sammet, ſcheint ihm unbewehrt,
Bis ein geſchwinder Schmerz und rinnend Blut ihn
lehrt,
Daß auch ein artig Thierchen kratze.
O Maͤdchen! Maͤdchen! flieht! umſonſt iſt mein Be-
muͤhn:
Wann ihr nicht flieht, ich kann nicht fliehn;
Und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDie Erstausgabe der vorliegenden Gedichtsammlung … [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |