Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.Briefe. hatte dir die ehrenvolle Stelle meines Hauspoeten zuge-dacht: weil doch mein Affe anfängt, alt zu werden. Du hast dein Glück verscherzet. Gehe hin, und erhenke dich? Schnell hört ich einen Wind um alle Klüfte heulen: Die Höhlen donnerten, bewohnt von scheuen Eulen. Der Sturm, der mich dahin gebracht, Stieß aus dem Schoos der Nacht, Nach zwoen jahrelangen Stunden, Mich wieder an die Luft, wo Titans Auge lacht: Gnom, Kellermeister, Aff und alles war verschwunden. Jch fand mich voll Erstaunen wieder an eben dem Ein- Jhr armen Sterblichen, die Wahn und Stolz bethören, Habt Augen, die nicht sehn, und Ohren, die nicht hören. Gestehts, der Wahrheit bloß zu Ehren, Wie viel dem schärfsten Aug entflieht, Das nur ein Dichter sieht. Seht
Briefe. hatte dir die ehrenvolle Stelle meines Hauspoeten zuge-dacht: weil doch mein Affe anfaͤngt, alt zu werden. Du haſt dein Gluͤck verſcherzet. Gehe hin, und erhenke dich? Schnell hoͤrt ich einen Wind um alle Kluͤfte heulen: Die Hoͤhlen donnerten, bewohnt von ſcheuen Eulen. Der Sturm, der mich dahin gebracht, Stieß aus dem Schoos der Nacht, Nach zwoen jahrelangen Stunden, Mich wieder an die Luft, wo Titans Auge lacht: Gnom, Kellermeiſter, Aff und alles war verſchwunden. Jch fand mich voll Erſtaunen wieder an eben dem Ein- Jhr armen Sterblichen, die Wahn und Stolz bethoͤren, Habt Augen, die nicht ſehn, und Ohren, die nicht hoͤren. Geſtehts, der Wahrheit bloß zu Ehren, Wie viel dem ſchaͤrfſten Aug entflieht, Das nur ein Dichter ſieht. Seht
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Briefe.
hatte dir die ehrenvolle Stelle meines Hauspoeten zuge-
dacht: weil doch mein Affe anfaͤngt, alt zu werden. Du
haſt dein Gluͤck verſcherzet. Gehe hin, und erhenke dich?
Schnell hoͤrt ich einen Wind um alle Kluͤfte heulen:
Die Hoͤhlen donnerten, bewohnt von ſcheuen Eulen.
Der Sturm, der mich dahin gebracht,
Stieß aus dem Schoos der Nacht,
Nach zwoen jahrelangen Stunden,
Mich wieder an die Luft, wo Titans Auge lacht:
Gnom, Kellermeiſter, Aff und alles war verſchwunden.
Jch fand mich voll Erſtaunen wieder an eben dem Ein-
gange des Kellers, wo ich vor meinem wunderbaren Ge-
ſichte geweſen war. Niemand wollte auf meine Nach-
frage von einem Sturm wiſſen. Die Luft, ſagte man
mir, waͤre dieſen ganzen Nachmittag beſtaͤndig ſo heiter
geweſen, als ſie noch waͤre: nicht das geringſte Woͤlkchen
haͤtte ſich an dem blauen Himmel blicken laſſen. Jch
waͤre beynahe boͤſe geworden. Jch hielt alle Leute fuͤr
blind, und alle Leute hielten mich fuͤr betrunken. Jch
troͤſtete mich endlich, als ein Poet; und rief mit einer
Art von Entzuͤckung aus:
Jhr armen Sterblichen, die Wahn und Stolz bethoͤren,
Habt Augen, die nicht ſehn, und Ohren, die nicht hoͤren.
Geſtehts, der Wahrheit bloß zu Ehren,
Wie viel dem ſchaͤrfſten Aug entflieht,
Das nur ein Dichter ſieht.
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Zitationshilfe: | Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/230>, abgerufen am 17.02.2025. |