Soll meine Muse dich mit ihren Lorbeern schmücken, Daß, wie man Tiburs Hayn, das holde Tempe preist, Auch du der Nachwelt heilig seyst.
Aber diese arme Muse hat sich ganz aus dem Odem gere- det: sie keichet für Müdigkeit, und wünschet, auszuru- hen. Bis zu ihrer baldigen Wiederherstellung, will ich ihnen nur in der alltäglichen Sprache sagen, daß mir auf dieser angenehmen Hartenburg ein Abentheuer zugestossen, welches meine bisherige Vermuthung bestätiget hat, daß ein so reizender Berg auch in andern Absichten merkwür- dig seyn müßte. Die alten gefürsteten Grafen von Hen- neberg sollen ein Bergschloß daselbst gehabt haben; und noch bey Lebzeiten des letzten Herzogs Sachsen-Römhil- discher Linie ist ein Lust- oder Trink-Ort hier gestanden, von welchem nichts mehr übrig ist, als ein schöner Felsen- Keller und ein tiefer Brunnen. Sie müssen, wenn sie überhaupt von den Alterthümern hiesiger Stadt, wider Vermuthen, ein mehreres wissen wollen, gewisse gelehrte Werkchen nachschlagen, welche niemand liest. Als ich ohnweit ermeldten Kellers meinen melancholischen Gedan- cken nachhieng, nöthigte mich ein plötzlich einbrechender Sturm hinein zu flüchten, bis der Regen vorüber wäre. Kaum war ich einige Schritte von dem Eingang abge- kommen, als ich durch die Erscheinung eines ehrwürdi- gen Alten, der mich ihm folgen hieß, erschrecket wurde.
Ein silberweisser Bart fließt ihm von muntern Wan- gen
Bis
Briefe.
Soll meine Muſe dich mit ihren Lorbeern ſchmuͤcken, Daß, wie man Tiburs Hayn, das holde Tempe preiſt, Auch du der Nachwelt heilig ſeyſt.
Aber dieſe arme Muſe hat ſich ganz aus dem Odem gere- det: ſie keichet fuͤr Muͤdigkeit, und wuͤnſchet, auszuru- hen. Bis zu ihrer baldigen Wiederherſtellung, will ich ihnen nur in der alltaͤglichen Sprache ſagen, daß mir auf dieſer angenehmen Hartenburg ein Abentheuer zugeſtoſſen, welches meine bisherige Vermuthung beſtaͤtiget hat, daß ein ſo reizender Berg auch in andern Abſichten merkwuͤr- dig ſeyn muͤßte. Die alten gefuͤrſteten Grafen von Hen- neberg ſollen ein Bergſchloß daſelbſt gehabt haben; und noch bey Lebzeiten des letzten Herzogs Sachſen-Roͤmhil- diſcher Linie iſt ein Luſt- oder Trink-Ort hier geſtanden, von welchem nichts mehr uͤbrig iſt, als ein ſchoͤner Felſen- Keller und ein tiefer Brunnen. Sie muͤſſen, wenn ſie uͤberhaupt von den Alterthuͤmern hieſiger Stadt, wider Vermuthen, ein mehreres wiſſen wollen, gewiſſe gelehrte Werkchen nachſchlagen, welche niemand lieſt. Als ich ohnweit ermeldten Kellers meinen melancholiſchen Gedan- cken nachhieng, noͤthigte mich ein ploͤtzlich einbrechender Sturm hinein zu fluͤchten, bis der Regen voruͤber waͤre. Kaum war ich einige Schritte von dem Eingang abge- kommen, als ich durch die Erſcheinung eines ehrwuͤrdi- gen Alten, der mich ihm folgen hieß, erſchrecket wurde.
Ein ſilberweiſſer Bart fließt ihm von muntern Wan- gen
Bis
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Briefe.
Soll meine Muſe dich mit ihren Lorbeern ſchmuͤcken,
Daß, wie man Tiburs Hayn, das holde Tempe preiſt,
Auch du der Nachwelt heilig ſeyſt.
Aber dieſe arme Muſe hat ſich ganz aus dem Odem gere-
det: ſie keichet fuͤr Muͤdigkeit, und wuͤnſchet, auszuru-
hen. Bis zu ihrer baldigen Wiederherſtellung, will ich
ihnen nur in der alltaͤglichen Sprache ſagen, daß mir auf
dieſer angenehmen Hartenburg ein Abentheuer zugeſtoſſen,
welches meine bisherige Vermuthung beſtaͤtiget hat, daß
ein ſo reizender Berg auch in andern Abſichten merkwuͤr-
dig ſeyn muͤßte. Die alten gefuͤrſteten Grafen von Hen-
neberg ſollen ein Bergſchloß daſelbſt gehabt haben; und
noch bey Lebzeiten des letzten Herzogs Sachſen-Roͤmhil-
diſcher Linie iſt ein Luſt- oder Trink-Ort hier geſtanden,
von welchem nichts mehr uͤbrig iſt, als ein ſchoͤner Felſen-
Keller und ein tiefer Brunnen. Sie muͤſſen, wenn ſie
uͤberhaupt von den Alterthuͤmern hieſiger Stadt, wider
Vermuthen, ein mehreres wiſſen wollen, gewiſſe gelehrte
Werkchen nachſchlagen, welche niemand lieſt. Als ich
ohnweit ermeldten Kellers meinen melancholiſchen Gedan-
cken nachhieng, noͤthigte mich ein ploͤtzlich einbrechender
Sturm hinein zu fluͤchten, bis der Regen voruͤber waͤre.
Kaum war ich einige Schritte von dem Eingang abge-
kommen, als ich durch die Erſcheinung eines ehrwuͤrdi-
gen Alten, der mich ihm folgen hieß, erſchrecket wurde.
Ein ſilberweiſſer Bart fließt ihm von muntern Wan-
gen
Bis
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die Erstausgabe der vorliegenden Gedichtsammlung … [mehr]
Die Erstausgabe der vorliegenden Gedichtsammlung erschien 1749. Die hier zugrunde gelegte spätere Ausgabe von 1755 ist um einige wichtige Gedichte vermehrt und wurde deshalb zur Digitalisierung ausgewählt. Erstausgaben sind u. a. in der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel nachgewiesen.
Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/220>, abgerufen am 17.07.2024.
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