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Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.

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Ein Gedicht.
Nein! das geschehe nicht! ich laß es nicht geschehen:
Jch schwöre bey der Uhr, die Sie hier glänzen sehen,
(Er legt sie auf den Tisch), und ich vor kurzer Zeit
Aus London mitgebracht, nicht ohne Vieler Neid.
Es hatte sie ein Lord bey Sweerts bestellen lassen:
Jch kaufte sie ihm aus; der Junker mußte passen.
Bis dieser Zeiger hier auf zwo Minuten schleicht,
Ergebe sich Jhr Herz, das doch vergebens weicht.

Er schweigt: Selinde steht noch immer unentschlossen:
Noch hangt ihr starrer Blick an jenen edlen Rossen.
Sie machen ihren Herrn der Schönen doppelt lieb,
Der sein verdientes Glück nun muthiger betrieb.
Der Schutzgeist mußte selbst dem Vorwitz unterliegen,
Und schlich dem Fenster zu, die Neugier zu vergnügen.
Der leichtgesinnte Geist! raubt einer Kutsche Putz,
Ein Pferd, ein schöner Tand, Selinden seinen Schutz?
Durch keine Zeichen ward sein taubes Herz beweget:
Der Schooshund hatte sich aufs Canapee geleget:
Nun fuhr er bellend auf, verließ die sanfte Ruh,
Und sprang mit regem Schweif Selinden ängstlich zu.
Es prangte der Camin mit glänzenden Pagoden:
Sie bebten ungeregt und stürzten auf den Boden.
Umsonst! der Schutzgeist stund und sah und hörte nicht.
Verwundrung überzog sein lächelnd Angesicht.
Nun zog der Liebesgott, der längst begierig lauschte,
Den krummen Bogen an: mit schnellen Flügeln rauschte
Der abgedrückte Pfeil, der Glut und Flammen trug,
Und in Selindens Brust sich ungehindert schlug.
Durch
N 3

Ein Gedicht.
Nein! das geſchehe nicht! ich laß es nicht geſchehen:
Jch ſchwoͤre bey der Uhr, die Sie hier glaͤnzen ſehen,
(Er legt ſie auf den Tiſch), und ich vor kurzer Zeit
Aus London mitgebracht, nicht ohne Vieler Neid.
Es hatte ſie ein Lord bey Sweerts beſtellen laſſen:
Jch kaufte ſie ihm aus; der Junker mußte paſſen.
Bis dieſer Zeiger hier auf zwo Minuten ſchleicht,
Ergebe ſich Jhr Herz, das doch vergebens weicht.

Er ſchweigt: Selinde ſteht noch immer unentſchloſſen:
Noch hangt ihr ſtarrer Blick an jenen edlen Roſſen.
Sie machen ihren Herrn der Schoͤnen doppelt lieb,
Der ſein verdientes Gluͤck nun muthiger betrieb.
Der Schutzgeiſt mußte ſelbſt dem Vorwitz unterliegen,
Und ſchlich dem Fenſter zu, die Neugier zu vergnuͤgen.
Der leichtgeſinnte Geiſt! raubt einer Kutſche Putz,
Ein Pferd, ein ſchoͤner Tand, Selinden ſeinen Schutz?
Durch keine Zeichen ward ſein taubes Herz beweget:
Der Schooshund hatte ſich aufs Canapee geleget:
Nun fuhr er bellend auf, verließ die ſanfte Ruh,
Und ſprang mit regem Schweif Selinden aͤngſtlich zu.
Es prangte der Camin mit glaͤnzenden Pagoden:
Sie bebten ungeregt und ſtuͤrzten auf den Boden.
Umſonſt! der Schutzgeiſt ſtund und ſah und hoͤrte nicht.
Verwundrung uͤberzog ſein laͤchelnd Angeſicht.
Nun zog der Liebesgott, der laͤngſt begierig lauſchte,
Den krummen Bogen an: mit ſchnellen Fluͤgeln rauſchte
Der abgedruͤckte Pfeil, der Glut und Flammen trug,
Und in Selindens Bruſt ſich ungehindert ſchlug.
Durch
N 3
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[197/0211] Ein Gedicht. Nein! das geſchehe nicht! ich laß es nicht geſchehen: Jch ſchwoͤre bey der Uhr, die Sie hier glaͤnzen ſehen, (Er legt ſie auf den Tiſch), und ich vor kurzer Zeit Aus London mitgebracht, nicht ohne Vieler Neid. Es hatte ſie ein Lord bey Sweerts beſtellen laſſen: Jch kaufte ſie ihm aus; der Junker mußte paſſen. Bis dieſer Zeiger hier auf zwo Minuten ſchleicht, Ergebe ſich Jhr Herz, das doch vergebens weicht. Er ſchweigt: Selinde ſteht noch immer unentſchloſſen: Noch hangt ihr ſtarrer Blick an jenen edlen Roſſen. Sie machen ihren Herrn der Schoͤnen doppelt lieb, Der ſein verdientes Gluͤck nun muthiger betrieb. Der Schutzgeiſt mußte ſelbſt dem Vorwitz unterliegen, Und ſchlich dem Fenſter zu, die Neugier zu vergnuͤgen. Der leichtgeſinnte Geiſt! raubt einer Kutſche Putz, Ein Pferd, ein ſchoͤner Tand, Selinden ſeinen Schutz? Durch keine Zeichen ward ſein taubes Herz beweget: Der Schooshund hatte ſich aufs Canapee geleget: Nun fuhr er bellend auf, verließ die ſanfte Ruh, Und ſprang mit regem Schweif Selinden aͤngſtlich zu. Es prangte der Camin mit glaͤnzenden Pagoden: Sie bebten ungeregt und ſtuͤrzten auf den Boden. Umſonſt! der Schutzgeiſt ſtund und ſah und hoͤrte nicht. Verwundrung uͤberzog ſein laͤchelnd Angeſicht. Nun zog der Liebesgott, der laͤngſt begierig lauſchte, Den krummen Bogen an: mit ſchnellen Fluͤgeln rauſchte Der abgedruͤckte Pfeil, der Glut und Flammen trug, Und in Selindens Bruſt ſich ungehindert ſchlug. Durch N 3

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Zitationshilfe: Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/211>, abgerufen am 25.11.2024.