Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.Sieg des Liebesgottes Doch Amors Ungeduld kann diese nicht erwarten: Er ist nicht mehr Johann; er eilet nach dem Garten, Als Liebesgott, voraus, fliegt ins Gemach und sieht, Wie Selimor verliebt vor seiner Göttinn kniet. Noch muste dieser Held um Sieg und Lorbeern kriegen: Was hatt' er nicht gethan, Selinden zu besiegen! Wie reizend unverschämt durch freyen Scherz gestrahlt, Mit fremden Flüchen ihr sein Feuer vorgemahlt, Gedankenlos gelacht, bald sie, bald sich gepriesen, Mit ungezwungner Art die Londner Uhr gewiesen, Des Franzmanns Dreistigkeit mit Anmuth nachgeahmt, Kurz, allen seinen Werth Selinden ausgekramt! Sie sah den Selimor: wie konnte sie ihn hassen? Doch wollt ihr steinern Herz sich nicht entfelsen lassen. Oft schien sie zwar erweicht: ihr Blick voll Mattigkeit Jrrt' ungewiß und scheu; ach! aber kurze Zeit. Jhr unbesiegter Stolz erhohlte sich geschwinde: Sie wurde, was sie war, die grausame Selinde; Und eben da sie ihm gewiß gefangen schien, Sah sich der Held getäuscht und seinen Raub entfliehn: Wie, wann ein Junker einst, mit Hülfe kluger Hunde, Den Rammler aufgespürt; nach mancher müden Stunde Spur, Has' und Fröhlichkeit auf einmal wieder flieht, Der edle Jäger flucht und leer nach Hause zieht. Doch sollte Selimor den Sieg verlieren müssen? Verzweiflend warf er itzt Selinden sich zu Füssen. Er flehte, feufzte, schwur: wie manch französisch Ach Entflog dem süssen Mund und säuselt' im Gemach! Ur-
Sieg des Liebesgottes Doch Amors Ungeduld kann dieſe nicht erwarten: Er iſt nicht mehr Johann; er eilet nach dem Garten, Als Liebesgott, voraus, fliegt ins Gemach und ſieht, Wie Selimor verliebt vor ſeiner Goͤttinn kniet. Noch muſte dieſer Held um Sieg und Lorbeern kriegen: Was hatt’ er nicht gethan, Selinden zu beſiegen! Wie reizend unverſchaͤmt durch freyen Scherz geſtrahlt, Mit fremden Fluͤchen ihr ſein Feuer vorgemahlt, Gedankenlos gelacht, bald ſie, bald ſich geprieſen, Mit ungezwungner Art die Londner Uhr gewieſen, Des Franzmanns Dreiſtigkeit mit Anmuth nachgeahmt, Kurz, allen ſeinen Werth Selinden ausgekramt! Sie ſah den Selimor: wie konnte ſie ihn haſſen? Doch wollt ihr ſteinern Herz ſich nicht entfelſen laſſen. Oft ſchien ſie zwar erweicht: ihr Blick voll Mattigkeit Jrrt’ ungewiß und ſcheu; ach! aber kurze Zeit. Jhr unbeſiegter Stolz erhohlte ſich geſchwinde: Sie wurde, was ſie war, die grauſame Selinde; Und eben da ſie ihm gewiß gefangen ſchien, Sah ſich der Held getaͤuſcht und ſeinen Raub entfliehn: Wie, wann ein Junker einſt, mit Huͤlfe kluger Hunde, Den Rammler aufgeſpuͤrt; nach mancher muͤden Stunde Spur, Haſ’ und Froͤhlichkeit auf einmal wieder flieht, Der edle Jaͤger flucht und leer nach Hauſe zieht. Doch ſollte Selimor den Sieg verlieren muͤſſen? Verzweiflend warf er itzt Selinden ſich zu Fuͤſſen. Er flehte, feufzte, ſchwur: wie manch franzoͤſiſch Ach Entflog dem ſuͤſſen Mund und ſaͤuſelt’ im Gemach! Ur-
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Sieg des Liebesgottes
Doch Amors Ungeduld kann dieſe nicht erwarten:
Er iſt nicht mehr Johann; er eilet nach dem Garten,
Als Liebesgott, voraus, fliegt ins Gemach und ſieht,
Wie Selimor verliebt vor ſeiner Goͤttinn kniet.
Noch muſte dieſer Held um Sieg und Lorbeern kriegen:
Was hatt’ er nicht gethan, Selinden zu beſiegen!
Wie reizend unverſchaͤmt durch freyen Scherz geſtrahlt,
Mit fremden Fluͤchen ihr ſein Feuer vorgemahlt,
Gedankenlos gelacht, bald ſie, bald ſich geprieſen,
Mit ungezwungner Art die Londner Uhr gewieſen,
Des Franzmanns Dreiſtigkeit mit Anmuth nachgeahmt,
Kurz, allen ſeinen Werth Selinden ausgekramt!
Sie ſah den Selimor: wie konnte ſie ihn haſſen?
Doch wollt ihr ſteinern Herz ſich nicht entfelſen laſſen.
Oft ſchien ſie zwar erweicht: ihr Blick voll Mattigkeit
Jrrt’ ungewiß und ſcheu; ach! aber kurze Zeit.
Jhr unbeſiegter Stolz erhohlte ſich geſchwinde:
Sie wurde, was ſie war, die grauſame Selinde;
Und eben da ſie ihm gewiß gefangen ſchien,
Sah ſich der Held getaͤuſcht und ſeinen Raub entfliehn:
Wie, wann ein Junker einſt, mit Huͤlfe kluger Hunde,
Den Rammler aufgeſpuͤrt; nach mancher muͤden Stunde
Spur, Haſ’ und Froͤhlichkeit auf einmal wieder flieht,
Der edle Jaͤger flucht und leer nach Hauſe zieht.
Doch ſollte Selimor den Sieg verlieren muͤſſen?
Verzweiflend warf er itzt Selinden ſich zu Fuͤſſen.
Er flehte, feufzte, ſchwur: wie manch franzoͤſiſch Ach
Entflog dem ſuͤſſen Mund und ſaͤuſelt’ im Gemach!
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Zitationshilfe: | Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/208>, abgerufen am 17.07.2024. |