Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.Ein Gedicht. Der Weihrauch seines Lobs ward günstig angenommen,Selinde schien vergnügt und Selimor willkommen. Die trübe Dämmerung, die um ihr Auge lag, Zerstreute sich und floh: es wurde wieder Tag. Dorante sahs erzürnt; und mit verstörten Blicken Entzog er sich schon halb Selindens Zauberstricken. Doch, ach! sie hatte kaum ihn zärtlich angeschielt, Als ihr geübter Blick ihn wieder feste hielt. Er wollt' und wollte nicht und mußte sie begleiten: Wie unterstund er sich, sein Herze zu bestreiten? Man gieng, nach langem Gehn, das Gartenhaus vorbey: Nun hörten sie von fern ein weibliches Geschrey. Sie sahen Lesbien: eh, rief sie, will ich sterben, Und mit verspritztem Blut Papier und Erde färben! Da hinter ihr Cleanth bestäubt und keichend lief, Und immer: warten Sie! mit sanfter Stimme rief. Umsonst! sie floh erblaßt, schrie kläglich um Erbarmen, Und bebte voller Angst noch in Selindens Armen. Ach! fieng sie endlich an; ich bin doch sicher da? Jndem sie wild umher mit finstern Blicken sah. O Schande! fuhr sie fort; in abgelegnen Sträuchen Begegnet mir Cleanth: ich such ihm auszuweichen. Er tritt mich schmeichelnd an, und, Himmel! was geschieht? Nach einem, apropos! liest mir Cleanth ein Lied. Bis an den kalten Mond entfliegt in seiner Ode Der Unsinn, dickumwölkt und scheckigt nach der Mode; Der
Ein Gedicht. Der Weihrauch ſeines Lobs ward guͤnſtig angenommen,Selinde ſchien vergnuͤgt und Selimor willkommen. Die truͤbe Daͤmmerung, die um ihr Auge lag, Zerſtreute ſich und floh: es wurde wieder Tag. Dorante ſahs erzuͤrnt; und mit verſtoͤrten Blicken Entzog er ſich ſchon halb Selindens Zauberſtricken. Doch, ach! ſie hatte kaum ihn zaͤrtlich angeſchielt, Als ihr geuͤbter Blick ihn wieder feſte hielt. Er wollt’ und wollte nicht und mußte ſie begleiten: Wie unterſtund er ſich, ſein Herze zu beſtreiten? Man gieng, nach langem Gehn, das Gartenhaus vorbey: Nun hoͤrten ſie von fern ein weibliches Geſchrey. Sie ſahen Lesbien: eh, rief ſie, will ich ſterben, Und mit verſpritztem Blut Papier und Erde faͤrben! Da hinter ihr Cleanth beſtaͤubt und keichend lief, Und immer: warten Sie! mit ſanfter Stimme rief. Umſonſt! ſie floh erblaßt, ſchrie klaͤglich um Erbarmen, Und bebte voller Angſt noch in Selindens Armen. Ach! fieng ſie endlich an; ich bin doch ſicher da? Jndem ſie wild umher mit finſtern Blicken ſah. O Schande! fuhr ſie fort; in abgelegnen Straͤuchen Begegnet mir Cleanth: ich ſuch ihm auszuweichen. Er tritt mich ſchmeichelnd an, und, Himmel! was geſchieht? Nach einem, apropos! lieſt mir Cleanth ein Lied. Bis an den kalten Mond entfliegt in ſeiner Ode Der Unſinn, dickumwoͤlkt und ſcheckigt nach der Mode; Der
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Ein Gedicht.
Der Weihrauch ſeines Lobs ward guͤnſtig angenommen,
Selinde ſchien vergnuͤgt und Selimor willkommen.
Die truͤbe Daͤmmerung, die um ihr Auge lag,
Zerſtreute ſich und floh: es wurde wieder Tag.
Dorante ſahs erzuͤrnt; und mit verſtoͤrten Blicken
Entzog er ſich ſchon halb Selindens Zauberſtricken.
Doch, ach! ſie hatte kaum ihn zaͤrtlich angeſchielt,
Als ihr geuͤbter Blick ihn wieder feſte hielt.
Er wollt’ und wollte nicht und mußte ſie begleiten:
Wie unterſtund er ſich, ſein Herze zu beſtreiten?
Man gieng, nach langem Gehn, das Gartenhaus vorbey:
Nun hoͤrten ſie von fern ein weibliches Geſchrey.
Sie ſahen Lesbien: eh, rief ſie, will ich ſterben,
Und mit verſpritztem Blut Papier und Erde faͤrben!
Da hinter ihr Cleanth beſtaͤubt und keichend lief,
Und immer: warten Sie! mit ſanfter Stimme rief.
Umſonſt! ſie floh erblaßt, ſchrie klaͤglich um Erbarmen,
Und bebte voller Angſt noch in Selindens Armen.
Ach! fieng ſie endlich an; ich bin doch ſicher da?
Jndem ſie wild umher mit finſtern Blicken ſah.
O Schande! fuhr ſie fort; in abgelegnen Straͤuchen
Begegnet mir Cleanth: ich ſuch ihm auszuweichen.
Er tritt mich ſchmeichelnd an, und, Himmel! was geſchieht?
Nach einem, apropos! lieſt mir Cleanth ein Lied.
Bis an den kalten Mond entfliegt in ſeiner Ode
Der Unſinn, dickumwoͤlkt und ſcheckigt nach der Mode;
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Zitationshilfe: | Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/201>, abgerufen am 17.07.2024. |