Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.Lyrische Gedichte Von welchem angenehmen Kinde Kommt hier der schöne Morgentraum? Seht! Phantasus hüllt sich in rauhe Rinde Und grünt, beblättert, als ein Baum. Nun, da in junger Nymphen Händen Gedämpfter Saiten Scherz erklingt: Ertönt ein Lied von muschelreichen Wänden, Das eine der Najaden singt. Geneuß die Ruhe, die du zeugest, O Göttinn! singt sie; holde Nacht! Der Lärm entschläft, wenn du zum Himmel steigest; Und nur der Progne Schwester wacht. Wie leise gehn in feuchten Büschen Die Winde durch den finstern Hayn! Die Ruhe will, was Odem schöpft, erfrischen: Doch können Menschen ruhig seyn? Umsonst sind ihre müden Glieder Auf Sidons Purpur hingestreckt, Wenn Mitternacht mit schweigendem Gefieder Den Marmor der Paläste deckt: Um-
Lyriſche Gedichte Von welchem angenehmen Kinde Kommt hier der ſchoͤne Morgentraum? Seht! Phantaſus huͤllt ſich in rauhe Rinde Und gruͤnt, beblaͤttert, als ein Baum. Nun, da in junger Nymphen Haͤnden Gedaͤmpfter Saiten Scherz erklingt: Ertoͤnt ein Lied von muſchelreichen Waͤnden, Das eine der Najaden ſingt. Geneuß die Ruhe, die du zeugeſt, O Goͤttinn! ſingt ſie; holde Nacht! Der Laͤrm entſchlaͤft, wenn du zum Himmel ſteigeſt; Und nur der Progne Schweſter wacht. Wie leiſe gehn in feuchten Buͤſchen Die Winde durch den finſtern Hayn! Die Ruhe will, was Odem ſchoͤpft, erfriſchen: Doch koͤnnen Menſchen ruhig ſeyn? Umſonſt ſind ihre muͤden Glieder Auf Sidons Purpur hingeſtreckt, Wenn Mitternacht mit ſchweigendem Gefieder Den Marmor der Palaͤſte deckt: Um-
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Lyriſche Gedichte
Von welchem angenehmen Kinde
Kommt hier der ſchoͤne Morgentraum?
Seht! Phantaſus huͤllt ſich in rauhe Rinde
Und gruͤnt, beblaͤttert, als ein Baum.
Nun, da in junger Nymphen Haͤnden
Gedaͤmpfter Saiten Scherz erklingt:
Ertoͤnt ein Lied von muſchelreichen Waͤnden,
Das eine der Najaden ſingt.
Geneuß die Ruhe, die du zeugeſt,
O Goͤttinn! ſingt ſie; holde Nacht!
Der Laͤrm entſchlaͤft, wenn du zum Himmel ſteigeſt;
Und nur der Progne Schweſter wacht.
Wie leiſe gehn in feuchten Buͤſchen
Die Winde durch den finſtern Hayn!
Die Ruhe will, was Odem ſchoͤpft, erfriſchen:
Doch koͤnnen Menſchen ruhig ſeyn?
Umſonſt ſind ihre muͤden Glieder
Auf Sidons Purpur hingeſtreckt,
Wenn Mitternacht mit ſchweigendem Gefieder
Den Marmor der Palaͤſte deckt:
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Zitationshilfe: | Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/144>, abgerufen am 16.02.2025. |