nal ist. Dieses Gesetz behaupten meistentheils die mechanischen Artzneygelehrten. Sie kön- nen es nicht aus Gründen erweisen, aber dem- ohnerachtet muß man es ihnen doch zugeben. Wir erfahren es alle Augenblicke, daß, so bald wir empfinden, auch eine Bewegung in unsern Körper vorgehe; und wer ein wenig genau auf sich Achtung giebt, der wird finden, daß auch die Bewegung mit der Empfindung beständig in einem Verhältniß stehe. Wenn man mich böse machte, so würde ich mich beynahe zu be- haupten getrauen, daß dieses Gesetz einem ie- den Menschen fast eben so natürlich wäre, als der Grund des Wiederspruchs. Nehmet ei- nen Menschen her, der von sich, ohne Schein einer Erniedrigung behaupten kan, daß er von der Gelehrsamkeit wenig oder gar nichts ver- stehe. Bringet ihn zwey Leute, deren einer so robust ist, als der andre, und deren ieden ein Dritter eine Ohrfeige verliehen. Lasset die- sen Menschen urtheilen, welchem vom beyden die Ohrfeige schmertzlicher gewesen, als dem andern; so wird er so gleich folgenden Schluß bey sich selbst machen müssen: je grösser die Bewegung welche auf eine Empfindung erfol- get, ist, desto grösser muß die Empfindung ge- wesen seyn: nun ist die Backe des einen stär- cker aufgelaufen, als die Backe des andern: folglich hat dieser seine Ohrfeige nicht so sehr empfunden, als iener. Es giebt unzählige an- dre Fälle, dabey man eben diesen Schluß an-
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nal iſt. Dieſes Geſetz behaupten meiſtentheils die mechaniſchen Artzneygelehrten. Sie koͤn- nen es nicht aus Gruͤnden erweiſen, aber dem- ohnerachtet muß man es ihnen doch zugeben. Wir erfahren es alle Augenblicke, daß, ſo bald wir empfinden, auch eine Bewegung in unſern Koͤrper vorgehe; und wer ein wenig genau auf ſich Achtung giebt, der wird finden, daß auch die Bewegung mit der Empfindung beſtaͤndig in einem Verhaͤltniß ſtehe. Wenn man mich boͤſe machte, ſo wuͤrde ich mich beynahe zu be- haupten getrauen, daß dieſes Geſetz einem ie- den Menſchen faſt eben ſo natuͤrlich waͤre, als der Grund des Wiederſpruchs. Nehmet ei- nen Menſchen her, der von ſich, ohne Schein einer Erniedrigung behaupten kan, daß er von der Gelehrſamkeit wenig oder gar nichts ver- ſtehe. Bringet ihn zwey Leute, deren einer ſo robuſt iſt, als der andre, und deren ieden ein Dritter eine Ohrfeige verliehen. Laſſet die- ſen Menſchen urtheilen, welchem vom beyden die Ohrfeige ſchmertzlicher geweſen, als dem andern; ſo wird er ſo gleich folgenden Schluß bey ſich ſelbſt machen muͤſſen: je groͤſſer die Bewegung welche auf eine Empfindung erfol- get, iſt, deſto groͤſſer muß die Empfindung ge- weſen ſeyn: nun iſt die Backe des einen ſtaͤr- cker aufgelaufen, als die Backe des andern: folglich hat dieſer ſeine Ohrfeige nicht ſo ſehr empfunden, als iener. Es giebt unzaͤhlige an- dre Faͤlle, dabey man eben dieſen Schluß an-
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nal iſt. Dieſes Geſetz behaupten meiſtentheils
die mechaniſchen Artzneygelehrten. Sie koͤn-
nen es nicht aus Gruͤnden erweiſen, aber dem-
ohnerachtet muß man es ihnen doch zugeben.
Wir erfahren es alle Augenblicke, daß, ſo bald
wir empfinden, auch eine Bewegung in unſern
Koͤrper vorgehe; und wer ein wenig genau auf
ſich Achtung giebt, der wird finden, daß auch
die Bewegung mit der Empfindung beſtaͤndig
in einem Verhaͤltniß ſtehe. Wenn man mich
boͤſe machte, ſo wuͤrde ich mich beynahe zu be-
haupten getrauen, daß dieſes Geſetz einem ie-
den Menſchen faſt eben ſo natuͤrlich waͤre, als
der Grund des Wiederſpruchs. Nehmet ei-
nen Menſchen her, der von ſich, ohne Schein
einer Erniedrigung behaupten kan, daß er von
der Gelehrſamkeit wenig oder gar nichts ver-
ſtehe. Bringet ihn zwey Leute, deren einer
ſo robuſt iſt, als der andre, und deren ieden
ein Dritter eine Ohrfeige verliehen. Laſſet die-
ſen Menſchen urtheilen, welchem vom beyden
die Ohrfeige ſchmertzlicher geweſen, als dem
andern; ſo wird er ſo gleich folgenden Schluß
bey ſich ſelbſt machen muͤſſen: je groͤſſer die
Bewegung welche auf eine Empfindung erfol-
get, iſt, deſto groͤſſer muß die Empfindung ge-
weſen ſeyn: nun iſt die Backe des einen ſtaͤr-
cker aufgelaufen, als die Backe des andern:
folglich hat dieſer ſeine Ohrfeige nicht ſo ſehr
empfunden, als iener. Es giebt unzaͤhlige an-
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Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/94>, abgerufen am 16.02.2025.
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