man diese Leute nicht wiederlegen kan. Man mag ihnen den besten Beweis von der Unmög- lichkeit ihrer Meinung geben; so werden sie dadurch doch nicht überzeugt, weil sie glauben, daß dieses alles nur Vorstellungen in ihnen selbst wären, wodurch sie sich zu wiederlegen schienen, da sie doch dieses im Ernste niemals willens wären. Darum halten sie ihre Wie- derlegungen vor ihre eigenen Träume und blei- ben indessen Besitzer von sich selbst. Ein E- goist muß nach seiner Meinung der glückseligste Mensch von der Welt seyn. Er kan mit dem grösten Recht von sich sagen:
Jch habe wenig und doch Alles.
Kein Mensch kan ihm die Herrschaft über die gantze Welt streitig machen, allein er ist dabey viel zu bescheiden, als daß er sie verlangen sol- te. Er siehet gar wohl ein, daß nichts ver- nünftiger sey, als etwas nicht zu begehren, das in der That nicht würcklich vorhanden ist. Er hat es demnach in der Verläugnung der zeit- lichen Güter sehr weit gebracht. Wo kan er nach Ehrenämtern streben, da er niemand hat, dem er gebieten könte? Was solte ihn zu wol- lüstigen Gedancken verleiten, da nichts vorhan- den ist, das ihm entweder dieselben erregen, noch in ihm dämpfen und befriedigen könte? Und warum solte er endlich Schätze samlen? Er, der weder Geld noch Gut würcklich be- sitzen kan, noch auch Erben zu versorgen hat,
denen
C 2
man dieſe Leute nicht wiederlegen kan. Man mag ihnen den beſten Beweis von der Unmoͤg- lichkeit ihrer Meinung geben; ſo werden ſie dadurch doch nicht uͤberzeugt, weil ſie glauben, daß dieſes alles nur Vorſtellungen in ihnen ſelbſt waͤren, wodurch ſie ſich zu wiederlegen ſchienen, da ſie doch dieſes im Ernſte niemals willens waͤren. Darum halten ſie ihre Wie- derlegungen vor ihre eigenen Traͤume und blei- ben indeſſen Beſitzer von ſich ſelbſt. Ein E- goiſt muß nach ſeiner Meinung der gluͤckſeligſte Menſch von der Welt ſeyn. Er kan mit dem groͤſten Recht von ſich ſagen:
Jch habe wenig und doch Alles.
Kein Menſch kan ihm die Herrſchaft uͤber die gantze Welt ſtreitig machen, allein er iſt dabey viel zu beſcheiden, als daß er ſie verlangen ſol- te. Er ſiehet gar wohl ein, daß nichts ver- nuͤnftiger ſey, als etwas nicht zu begehren, das in der That nicht wuͤrcklich vorhanden iſt. Er hat es demnach in der Verlaͤugnung der zeit- lichen Guͤter ſehr weit gebracht. Wo kan er nach Ehrenaͤmtern ſtreben, da er niemand hat, dem er gebieten koͤnte? Was ſolte ihn zu wol- luͤſtigen Gedancken verleiten, da nichts vorhan- den iſt, das ihm entweder dieſelben erregen, noch in ihm daͤmpfen und befriedigen koͤnte? Und warum ſolte er endlich Schaͤtze ſamlen? Er, der weder Geld noch Gut wuͤrcklich be- ſitzen kan, noch auch Erben zu verſorgen hat,
denen
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man dieſe Leute nicht wiederlegen kan. Man
mag ihnen den beſten Beweis von der Unmoͤg-
lichkeit ihrer Meinung geben; ſo werden ſie
dadurch doch nicht uͤberzeugt, weil ſie glauben,
daß dieſes alles nur Vorſtellungen in ihnen
ſelbſt waͤren, wodurch ſie ſich zu wiederlegen
ſchienen, da ſie doch dieſes im Ernſte niemals
willens waͤren. Darum halten ſie ihre Wie-
derlegungen vor ihre eigenen Traͤume und blei-
ben indeſſen Beſitzer von ſich ſelbſt. Ein E-
goiſt muß nach ſeiner Meinung der gluͤckſeligſte
Menſch von der Welt ſeyn. Er kan mit dem
groͤſten Recht von ſich ſagen:
Jch habe wenig und doch Alles.
Kein Menſch kan ihm die Herrſchaft uͤber die
gantze Welt ſtreitig machen, allein er iſt dabey
viel zu beſcheiden, als daß er ſie verlangen ſol-
te. Er ſiehet gar wohl ein, daß nichts ver-
nuͤnftiger ſey, als etwas nicht zu begehren, das
in der That nicht wuͤrcklich vorhanden iſt. Er
hat es demnach in der Verlaͤugnung der zeit-
lichen Guͤter ſehr weit gebracht. Wo kan er
nach Ehrenaͤmtern ſtreben, da er niemand hat,
dem er gebieten koͤnte? Was ſolte ihn zu wol-
luͤſtigen Gedancken verleiten, da nichts vorhan-
den iſt, das ihm entweder dieſelben erregen,
noch in ihm daͤmpfen und befriedigen koͤnte?
Und warum ſolte er endlich Schaͤtze ſamlen?
Er, der weder Geld noch Gut wuͤrcklich be-
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Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/39>, abgerufen am 16.07.2024.
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