Betrachtungen diese beyden Dinge mit einan- der zu verbinden. Ein Weltweiser hat nir- gends bessere Gelegenheit, seine Kunst anzu- bringen, als wenn er den menschlichen Körper betrachtet. Er findet alsdenn Grund, die Schönheit der Schöpfung immer mehr und mehr zu bewundern, indem er den schönen Menschenbau mit philosophischen Augen be- trachtet; er lernet aus seiner Strucktur dasie- nige erkennen, was er würcken könne, und was der Sele zu thun übrig bleibe, ia er be- kommt alsdenn Gelegenheit, auch an solchen Dingen Schönheit zu finden, und Witz anzu- wenden, die den Pöbel abscheulich zu seyn schei- nen. Er siehet den Tod als eine Nothwen- digkeit vor sich, indem er weiß, wie schlecht es um die Erhaltung des Körpers stehe. Da- her wird er gewohnt, den Tod mit freudigen Hertzen zu begrüssen, und die Ueberbleibsel ver- blichener Körper bringen ihn statt des Weinens und Grämens dahin, mit getrosten Muthe auszuruffen:
Du o beliebter Ort, mein letzter Auffenthalt! Durch dich wird meine Brust von Sorgen gantz befreyet Mein Auge sieht vergnügt den dicken Knochen- wald, Den so manch feiges Hertz mit banger Furcht noch scheuet,
Du
L 4
Betrachtungen dieſe beyden Dinge mit einan- der zu verbinden. Ein Weltweiſer hat nir- gends beſſere Gelegenheit, ſeine Kunſt anzu- bringen, als wenn er den menſchlichen Koͤrper betrachtet. Er findet alsdenn Grund, die Schoͤnheit der Schoͤpfung immer mehr und mehr zu bewundern, indem er den ſchoͤnen Menſchenbau mit philoſophiſchen Augen be- trachtet; er lernet aus ſeiner Strucktur dasie- nige erkennen, was er wuͤrcken koͤnne, und was der Sele zu thun uͤbrig bleibe, ia er be- kommt alsdenn Gelegenheit, auch an ſolchen Dingen Schoͤnheit zu finden, und Witz anzu- wenden, die den Poͤbel abſcheulich zu ſeyn ſchei- nen. Er ſiehet den Tod als eine Nothwen- digkeit vor ſich, indem er weiß, wie ſchlecht es um die Erhaltung des Koͤrpers ſtehe. Da- her wird er gewohnt, den Tod mit freudigen Hertzen zu begruͤſſen, und die Ueberbleibſel ver- blichener Koͤrper bringen ihn ſtatt des Weinens und Graͤmens dahin, mit getroſten Muthe auszuruffen:
Du o beliebter Ort, mein letzter Auffenthalt! Durch dich wird meine Bruſt von Sorgen gantz befreyet Mein Auge ſieht vergnuͤgt den dicken Knochen- wald, Den ſo manch feiges Hertz mit banger Furcht noch ſcheuet,
Du
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Betrachtungen dieſe beyden Dinge mit einan-
der zu verbinden. Ein Weltweiſer hat nir-
gends beſſere Gelegenheit, ſeine Kunſt anzu-
bringen, als wenn er den menſchlichen Koͤrper
betrachtet. Er findet alsdenn Grund, die
Schoͤnheit der Schoͤpfung immer mehr und
mehr zu bewundern, indem er den ſchoͤnen
Menſchenbau mit philoſophiſchen Augen be-
trachtet; er lernet aus ſeiner Strucktur dasie-
nige erkennen, was er wuͤrcken koͤnne, und
was der Sele zu thun uͤbrig bleibe, ia er be-
kommt alsdenn Gelegenheit, auch an ſolchen
Dingen Schoͤnheit zu finden, und Witz anzu-
wenden, die den Poͤbel abſcheulich zu ſeyn ſchei-
nen. Er ſiehet den Tod als eine Nothwen-
digkeit vor ſich, indem er weiß, wie ſchlecht
es um die Erhaltung des Koͤrpers ſtehe. Da-
her wird er gewohnt, den Tod mit freudigen
Hertzen zu begruͤſſen, und die Ueberbleibſel ver-
blichener Koͤrper bringen ihn ſtatt des Weinens
und Graͤmens dahin, mit getroſten Muthe
auszuruffen:
Du o beliebter Ort, mein letzter Auffenthalt!
Durch dich wird meine Bruſt von Sorgen
gantz befreyet
Mein Auge ſieht vergnuͤgt den dicken Knochen-
wald,
Den ſo manch feiges Hertz mit banger Furcht
noch ſcheuet,
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Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/171>, abgerufen am 22.07.2024.
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