Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746.

Bild:
<< vorherige Seite

Eben so ist es auch in denen übrigen Fällen,
und daher kommt es mir vor, als wenn dieie-
nigen, denen der Vortrag vernünftiger und
erfahrner Männer so lächerlich vorkommt, aus
keiner andern Ursache zum Lachen bewogen
würden, als weil sie selber nicht wissen, was
sie eigentlich behaupten. Man siehet demnach
hieraus, daß die Lehre der Stahlianer nicht
also beschaffen sey, daß sie mit der Vernunft
streite. Denn wenn wir einige der gegenseiti-
gen Meinungen betrachten; so kommen sie öf-
ters so seltsam heraus, daß niemand als ein
Stahlianer mehr Ursach hätte, mit ienem sinn-
reichen Dichter folgendermassen zu seufzen:

O toller Lauf der Welt! O Joch der Eitelkeit!
Du drückst zu hart. Spann aus, mein GOtt!
Denn es ist Zeit:

Denn sonsten muß auch ich mich endlich noch
bequemen,

Um nicht ein Thor zu seyn, mich der Vernunft
zu schämen.
B.

Wenn es mit der Meinung derer Stahlianer
so erbärmlich beschaffen wäre, als man gemei-
niglich glaubet, und wie man sie denen Jn-
fluxionisten überhaupt beyleget; so könte ich es
in der That ohne ungewissenhaft zu handeln,
nicht übernehmen, eine so wunderbare Mei-
nung zu vertheidigen. Daher wird niemand

glau-
L 3

Eben ſo iſt es auch in denen uͤbrigen Faͤllen,
und daher kommt es mir vor, als wenn dieie-
nigen, denen der Vortrag vernuͤnftiger und
erfahrner Maͤnner ſo laͤcherlich vorkommt, aus
keiner andern Urſache zum Lachen bewogen
wuͤrden, als weil ſie ſelber nicht wiſſen, was
ſie eigentlich behaupten. Man ſiehet demnach
hieraus, daß die Lehre der Stahlianer nicht
alſo beſchaffen ſey, daß ſie mit der Vernunft
ſtreite. Denn wenn wir einige der gegenſeiti-
gen Meinungen betrachten; ſo kommen ſie oͤf-
ters ſo ſeltſam heraus, daß niemand als ein
Stahlianer mehr Urſach haͤtte, mit ienem ſinn-
reichen Dichter folgendermaſſen zu ſeufzen:

O toller Lauf der Welt! O Joch der Eitelkeit!
Du druͤckſt zu hart. Spann aus, mein GOtt!
Denn es iſt Zeit:

Denn ſonſten muß auch ich mich endlich noch
bequemen,

Um nicht ein Thor zu ſeyn, mich der Vernunft
zu ſchaͤmen.
B.

Wenn es mit der Meinung derer Stahlianer
ſo erbaͤrmlich beſchaffen waͤre, als man gemei-
niglich glaubet, und wie man ſie denen Jn-
fluxioniſten uͤberhaupt beyleget; ſo koͤnte ich es
in der That ohne ungewiſſenhaft zu handeln,
nicht uͤbernehmen, eine ſo wunderbare Mei-
nung zu vertheidigen. Daher wird niemand

glau-
L 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0169" n="139"/>
Eben &#x017F;o i&#x017F;t es auch in denen u&#x0364;brigen Fa&#x0364;llen,<lb/>
und daher kommt es mir vor, als wenn dieie-<lb/>
nigen, denen der Vortrag vernu&#x0364;nftiger und<lb/>
erfahrner Ma&#x0364;nner &#x017F;o la&#x0364;cherlich vorkommt, aus<lb/>
keiner andern Ur&#x017F;ache zum Lachen bewogen<lb/>
wu&#x0364;rden, als weil &#x017F;ie &#x017F;elber nicht wi&#x017F;&#x017F;en, was<lb/>
&#x017F;ie eigentlich behaupten. Man &#x017F;iehet demnach<lb/>
hieraus, daß die Lehre der Stahlianer nicht<lb/>
al&#x017F;o be&#x017F;chaffen &#x017F;ey, daß &#x017F;ie mit der Vernunft<lb/>
&#x017F;treite. Denn wenn wir einige der gegen&#x017F;eiti-<lb/>
gen Meinungen betrachten; &#x017F;o kommen &#x017F;ie o&#x0364;f-<lb/>
ters &#x017F;o &#x017F;elt&#x017F;am heraus, daß niemand als ein<lb/>
Stahlianer mehr Ur&#x017F;ach ha&#x0364;tte, mit ienem &#x017F;inn-<lb/>
reichen Dichter folgenderma&#x017F;&#x017F;en zu &#x017F;eufzen:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>
              <lg type="poem">
                <l> <hi rendition="#fr">O toller Lauf der Welt! O Joch der Eitelkeit!</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Du dru&#x0364;ck&#x017F;t zu hart. Spann aus, mein GOtt!<lb/><hi rendition="#et">Denn es i&#x017F;t Zeit:</hi></hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Denn &#x017F;on&#x017F;ten muß auch ich mich endlich noch<lb/><hi rendition="#et">bequemen,</hi></hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Um nicht ein Thor zu &#x017F;eyn, mich der Vernunft<lb/><hi rendition="#et">zu &#x017F;cha&#x0364;men.</hi></hi> </l>
              </lg><lb/>
              <bibl> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#fr">B.</hi> </hi> </bibl>
            </quote>
          </cit><lb/>
          <p>Wenn es mit der Meinung derer Stahlianer<lb/>
&#x017F;o erba&#x0364;rmlich be&#x017F;chaffen wa&#x0364;re, als man gemei-<lb/>
niglich glaubet, und wie man &#x017F;ie denen Jn-<lb/>
fluxioni&#x017F;ten u&#x0364;berhaupt beyleget; &#x017F;o ko&#x0364;nte ich es<lb/>
in der That ohne ungewi&#x017F;&#x017F;enhaft zu handeln,<lb/>
nicht u&#x0364;bernehmen, eine &#x017F;o wunderbare Mei-<lb/>
nung zu vertheidigen. Daher wird niemand<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 3</fw><fw place="bottom" type="catch">glau-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0169] Eben ſo iſt es auch in denen uͤbrigen Faͤllen, und daher kommt es mir vor, als wenn dieie- nigen, denen der Vortrag vernuͤnftiger und erfahrner Maͤnner ſo laͤcherlich vorkommt, aus keiner andern Urſache zum Lachen bewogen wuͤrden, als weil ſie ſelber nicht wiſſen, was ſie eigentlich behaupten. Man ſiehet demnach hieraus, daß die Lehre der Stahlianer nicht alſo beſchaffen ſey, daß ſie mit der Vernunft ſtreite. Denn wenn wir einige der gegenſeiti- gen Meinungen betrachten; ſo kommen ſie oͤf- ters ſo ſeltſam heraus, daß niemand als ein Stahlianer mehr Urſach haͤtte, mit ienem ſinn- reichen Dichter folgendermaſſen zu ſeufzen: O toller Lauf der Welt! O Joch der Eitelkeit! Du druͤckſt zu hart. Spann aus, mein GOtt! Denn es iſt Zeit: Denn ſonſten muß auch ich mich endlich noch bequemen, Um nicht ein Thor zu ſeyn, mich der Vernunft zu ſchaͤmen. B. Wenn es mit der Meinung derer Stahlianer ſo erbaͤrmlich beſchaffen waͤre, als man gemei- niglich glaubet, und wie man ſie denen Jn- fluxioniſten uͤberhaupt beyleget; ſo koͤnte ich es in der That ohne ungewiſſenhaft zu handeln, nicht uͤbernehmen, eine ſo wunderbare Mei- nung zu vertheidigen. Daher wird niemand glau- L 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/169
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/169>, abgerufen am 04.12.2024.