zeugend ist, als daß ich es dieser Art Leuten zu gefallen, mit Stillschweigen übergehen solte. Ein gewisser Mann hatte eine weite Reise ge- than, und nachdem er, gantz entkräftet, davon nach Hause kam; leistete er seiner Frau die ehe- liche Pflicht. Gleich darauf verlohr er nicht allein das Vermögen zu dencken, sondern er war auch nicht im Stande, sich willkührlich zu bewegen. Er fiel in Ohnmacht und war einem Todten ähnlich. Man wuste die eigent- liche Ursach nicht so gleich, und beschloß dem- nach ihm zur Ader zu lassen. Nachdem aber seine Frau gestanden, was mit ihm vorgegan- gen, so reichte man ihm eine Weinsuppe, und solchergestalt kam derselbe wiederum zu sich sel- ber. Jst es noch nicht genug bestätiget, daß die Sele in den Körper, und dieser wiederum in sie zurück würcke? Jch kenne einen Mann, welcher niemals den Urin lassen kan, so lange er weiß, daß jemand zugegen ist, der auf ihm Achtung giebt. Wo sind denn hier die me- chanischen Ursachen? Jch mag es nicht vom neuen wiederholen, was die Bisse derer Taran- teln vor einen starcken Einfluß in die Selen der Menschen haben. Rührt dieses alles, was einem solchen Menschen zu einem so wunderba- ren Narren macht, nicht von dem Stich der Tarantel, sondern von der Einrichtung der Sele her; so möchte ich gerne wissen, warum niemals eine Sele auch in diesen Zustand ge- riethe, ohne daß ihr Körper von einer Taran-
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zeugend iſt, als daß ich es dieſer Art Leuten zu gefallen, mit Stillſchweigen uͤbergehen ſolte. Ein gewiſſer Mann hatte eine weite Reiſe ge- than, und nachdem er, gantz entkraͤftet, davon nach Hauſe kam; leiſtete er ſeiner Frau die ehe- liche Pflicht. Gleich darauf verlohr er nicht allein das Vermoͤgen zu dencken, ſondern er war auch nicht im Stande, ſich willkuͤhrlich zu bewegen. Er fiel in Ohnmacht und war einem Todten aͤhnlich. Man wuſte die eigent- liche Urſach nicht ſo gleich, und beſchloß dem- nach ihm zur Ader zu laſſen. Nachdem aber ſeine Frau geſtanden, was mit ihm vorgegan- gen, ſo reichte man ihm eine Weinſuppe, und ſolchergeſtalt kam derſelbe wiederum zu ſich ſel- ber. Jſt es noch nicht genug beſtaͤtiget, daß die Sele in den Koͤrper, und dieſer wiederum in ſie zuruͤck wuͤrcke? Jch kenne einen Mann, welcher niemals den Urin laſſen kan, ſo lange er weiß, daß jemand zugegen iſt, der auf ihm Achtung giebt. Wo ſind denn hier die me- chaniſchen Urſachen? Jch mag es nicht vom neuen wiederholen, was die Biſſe derer Taran- teln vor einen ſtarcken Einfluß in die Selen der Menſchen haben. Ruͤhrt dieſes alles, was einem ſolchen Menſchen zu einem ſo wunderba- ren Narren macht, nicht von dem Stich der Tarantel, ſondern von der Einrichtung der Sele her; ſo moͤchte ich gerne wiſſen, warum niemals eine Sele auch in dieſen Zuſtand ge- riethe, ohne daß ihr Koͤrper von einer Taran-
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zeugend iſt, als daß ich es dieſer Art Leuten zu
gefallen, mit Stillſchweigen uͤbergehen ſolte.
Ein gewiſſer Mann hatte eine weite Reiſe ge-
than, und nachdem er, gantz entkraͤftet, davon
nach Hauſe kam; leiſtete er ſeiner Frau die ehe-
liche Pflicht. Gleich darauf verlohr er nicht
allein das Vermoͤgen zu dencken, ſondern er
war auch nicht im Stande, ſich willkuͤhrlich
zu bewegen. Er fiel in Ohnmacht und war
einem Todten aͤhnlich. Man wuſte die eigent-
liche Urſach nicht ſo gleich, und beſchloß dem-
nach ihm zur Ader zu laſſen. Nachdem aber
ſeine Frau geſtanden, was mit ihm vorgegan-
gen, ſo reichte man ihm eine Weinſuppe, und
ſolchergeſtalt kam derſelbe wiederum zu ſich ſel-
ber. Jſt es noch nicht genug beſtaͤtiget, daß
die Sele in den Koͤrper, und dieſer wiederum
in ſie zuruͤck wuͤrcke? Jch kenne einen Mann,
welcher niemals den Urin laſſen kan, ſo lange
er weiß, daß jemand zugegen iſt, der auf ihm
Achtung giebt. Wo ſind denn hier die me-
chaniſchen Urſachen? Jch mag es nicht vom
neuen wiederholen, was die Biſſe derer Taran-
teln vor einen ſtarcken Einfluß in die Selen
der Menſchen haben. Ruͤhrt dieſes alles, was
einem ſolchen Menſchen zu einem ſo wunderba-
ren Narren macht, nicht von dem Stich der
Tarantel, ſondern von der Einrichtung der
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Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/135>, abgerufen am 16.02.2025.
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