Einer von denen vornehmsten Gründen, wodurch man erweisen kan, daß die Sele in ihren Körper würcke, ist die beständige Ueber- einstimmung der Erfahrung in dieser Sache. Jn Wahrheit ein Artzneygelehrter müste noch weniger sehen, als ein Blinder, wenn er nicht zugestehen wolte, daß unser Satz unzählige Er- fahrungen auf seiner Seite habe. Wir wol- len uns bemühen die vornehmsten und welche die beste Ueberzeugung geben, hier anzuführen, und einige will ich aus der Therapia Gene- rali des unvergleichlichen Herrn Professor Jun- ckersTab. I. pag. 17. nehmen. Die Schwe- ster eines gewissen vornehmen Frauenzimmers war mit dem weissen Fluß behaftet. Diese er- fuhr, daß iene auf dem Wege sey, ihr einen Besuch abzustatten. Ehe dieses noch geschahe vermuthete sie, daß sie eben diese Kranckheit ihrer Schwester bekommen würde, so bald sie nur selbige sähe. Und ihre Vermuthung war auch würcklich dergestalt gegründet, daß sie auf den blossen Ruf von der Ankunft ihrer Schwe- ster nach einer heftigen Gemüthsbewegung auch den weissen Fluß bekam. Zwey andre Schwe- stern, beweinten den Tod zweyer Brüder, wel- che im Kriege geblieben waren, und deren ent- seelte Körper in ihrem Vaterlande zur Erde be- stattet wurden. Bey dem Begräbniß eines ieden ward auch ein besonderes Sterbelied ge- sungen. Jede Schwester hatte sich einen die-
ser
§. 39.
Einer von denen vornehmſten Gruͤnden, wodurch man erweiſen kan, daß die Sele in ihren Koͤrper wuͤrcke, iſt die beſtaͤndige Ueber- einſtimmung der Erfahrung in dieſer Sache. Jn Wahrheit ein Artzneygelehrter muͤſte noch weniger ſehen, als ein Blinder, wenn er nicht zugeſtehen wolte, daß unſer Satz unzaͤhlige Er- fahrungen auf ſeiner Seite habe. Wir wol- len uns bemuͤhen die vornehmſten und welche die beſte Ueberzeugung geben, hier anzufuͤhren, und einige will ich aus der Therapia Gene- rali des unvergleichlichen Herrn Profeſſor Jun- ckersTab. I. pag. 17. nehmen. Die Schwe- ſter eines gewiſſen vornehmen Frauenzimmers war mit dem weiſſen Fluß behaftet. Dieſe er- fuhr, daß iene auf dem Wege ſey, ihr einen Beſuch abzuſtatten. Ehe dieſes noch geſchahe vermuthete ſie, daß ſie eben dieſe Kranckheit ihrer Schweſter bekommen wuͤrde, ſo bald ſie nur ſelbige ſaͤhe. Und ihre Vermuthung war auch wuͤrcklich dergeſtalt gegruͤndet, daß ſie auf den bloſſen Ruf von der Ankunft ihrer Schwe- ſter nach einer heftigen Gemuͤthsbewegung auch den weiſſen Fluß bekam. Zwey andre Schwe- ſtern, beweinten den Tod zweyer Bruͤder, wel- che im Kriege geblieben waren, und deren ent- ſeelte Koͤrper in ihrem Vaterlande zur Erde be- ſtattet wurden. Bey dem Begraͤbniß eines ieden ward auch ein beſonderes Sterbelied ge- ſungen. Jede Schweſter hatte ſich einen die-
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§. 39.
Einer von denen vornehmſten Gruͤnden,
wodurch man erweiſen kan, daß die Sele in
ihren Koͤrper wuͤrcke, iſt die beſtaͤndige Ueber-
einſtimmung der Erfahrung in dieſer Sache.
Jn Wahrheit ein Artzneygelehrter muͤſte noch
weniger ſehen, als ein Blinder, wenn er nicht
zugeſtehen wolte, daß unſer Satz unzaͤhlige Er-
fahrungen auf ſeiner Seite habe. Wir wol-
len uns bemuͤhen die vornehmſten und welche
die beſte Ueberzeugung geben, hier anzufuͤhren,
und einige will ich aus der Therapia Gene-
rali des unvergleichlichen Herrn Profeſſor Jun-
ckers Tab. I. pag. 17. nehmen. Die Schwe-
ſter eines gewiſſen vornehmen Frauenzimmers
war mit dem weiſſen Fluß behaftet. Dieſe er-
fuhr, daß iene auf dem Wege ſey, ihr einen
Beſuch abzuſtatten. Ehe dieſes noch geſchahe
vermuthete ſie, daß ſie eben dieſe Kranckheit
ihrer Schweſter bekommen wuͤrde, ſo bald ſie
nur ſelbige ſaͤhe. Und ihre Vermuthung war
auch wuͤrcklich dergeſtalt gegruͤndet, daß ſie auf
den bloſſen Ruf von der Ankunft ihrer Schwe-
ſter nach einer heftigen Gemuͤthsbewegung auch
den weiſſen Fluß bekam. Zwey andre Schwe-
ſtern, beweinten den Tod zweyer Bruͤder, wel-
che im Kriege geblieben waren, und deren ent-
ſeelte Koͤrper in ihrem Vaterlande zur Erde be-
ſtattet wurden. Bey dem Begraͤbniß eines
ieden ward auch ein beſonderes Sterbelied ge-
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Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/130>, abgerufen am 03.03.2025.
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