Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

III Th. Natur der Thiere im Ganzen.
in allen Ursprüngen der Nerven im Gehirne die thierischen
Seelenkräfte wirksam sind, §. 124. 130. N. 1. allein es
ist unbekannt, ob es im ganzen Gehirne einen einzigen Punkt
des Bewußtseyns oder der Vorstellungskraft gebe, den man
den beständigen Ort oder Sitz der Seele nennen könnte,
da sich jede besondre thierische Seelenkraft, jede Art mate-
rieller äußerer Empfindungen und andrer materieller Jdeen,
durch andre Punkte im Gehirne in andern Ursprüngen der
Nerven äußert, diese aber sich, wie es scheint, in keinem
Orte desselben alle ohne Ausnahme vereinigen, noch irgend
einen allgemeinen Mittelpunkt aller thierischen Seelenkräf-
te formiren. H. P. §. 370. 371. Wollte man gleich mit dem
Herrn v. Haller hierzu den Ort bestimmen, wo die ner-
vigte Faser ihren Anfang nimmt, H. P. §. 372. so ist doch
dieser nicht allen Nerven gemeinschaftlich, da nicht einmal
alle Fasern eines einzelnen Nerven aus einem einzigen
Punkte im Gehirne entspringen; H. P. §. 370. und übri-
gens beweisen unzählige Verwundungen, Zerrüttungen,
Verhärtungen, und der Mangel gewisser Theile des Ge-
hirns in andern beseelten Thieren, daß der erste Ursprung
dieser oder jener einzelner Nerven fehlen, zerrüttet, verletzt
und verdorben seyn könne, ohne daß deshalb die ganze thie-
rische Seelenkraft, oder die Gemeinschaft des Leibes und
der Seele aufgehoben würde. §. 25. Um dieser Dunkelheit
willen ist es unmöglich die Ursachen der Entseelung eines
Thieres und ihrer Art zu wirken anders, als wie oben §.
718. nach Gründen und aus der Erfahrung geschehen, über-
haupt zu bestimmen, in so fern sie nicht zugleich die Ursa-
chen des gänzlichen Todes sind, die nur die Entseelung mit
in sich fassen. §. 711 -- 717. Man kann nur sagen, daß
die völlige Vernichtung des Gehirns, oder die gänzliche
Trennung oder Hinderung desselben ein Thier auch ohne den
gänzlichen Tod entseele, daß hingegen sehr große, ja die
meisten Theile desselben, stückweise oder einzeln, ohne beson-
dern oder merklichen Nachtheil des thierischen Lebens ver-
nichtet, getrennet, zerrüttet oder sonst gehindert werden kön-

nen,

III Th. Natur der Thiere im Ganzen.
in allen Urſpruͤngen der Nerven im Gehirne die thieriſchen
Seelenkraͤfte wirkſam ſind, §. 124. 130. N. 1. allein es
iſt unbekannt, ob es im ganzen Gehirne einen einzigen Punkt
des Bewußtſeyns oder der Vorſtellungskraft gebe, den man
den beſtaͤndigen Ort oder Sitz der Seele nennen koͤnnte,
da ſich jede beſondre thieriſche Seelenkraft, jede Art mate-
rieller aͤußerer Empfindungen und andrer materieller Jdeen,
durch andre Punkte im Gehirne in andern Urſpruͤngen der
Nerven aͤußert, dieſe aber ſich, wie es ſcheint, in keinem
Orte deſſelben alle ohne Ausnahme vereinigen, noch irgend
einen allgemeinen Mittelpunkt aller thieriſchen Seelenkraͤf-
te formiren. H. P. §. 370. 371. Wollte man gleich mit dem
Herrn v. Haller hierzu den Ort beſtimmen, wo die ner-
vigte Faſer ihren Anfang nimmt, H. P. §. 372. ſo iſt doch
dieſer nicht allen Nerven gemeinſchaftlich, da nicht einmal
alle Faſern eines einzelnen Nerven aus einem einzigen
Punkte im Gehirne entſpringen; H. P. §. 370. und uͤbri-
gens beweiſen unzaͤhlige Verwundungen, Zerruͤttungen,
Verhaͤrtungen, und der Mangel gewiſſer Theile des Ge-
hirns in andern beſeelten Thieren, daß der erſte Urſprung
dieſer oder jener einzelner Nerven fehlen, zerruͤttet, verletzt
und verdorben ſeyn koͤnne, ohne daß deshalb die ganze thie-
riſche Seelenkraft, oder die Gemeinſchaft des Leibes und
der Seele aufgehoben wuͤrde. §. 25. Um dieſer Dunkelheit
willen iſt es unmoͤglich die Urſachen der Entſeelung eines
Thieres und ihrer Art zu wirken anders, als wie oben §.
718. nach Gruͤnden und aus der Erfahrung geſchehen, uͤber-
haupt zu beſtimmen, in ſo fern ſie nicht zugleich die Urſa-
chen des gaͤnzlichen Todes ſind, die nur die Entſeelung mit
in ſich faſſen. §. 711 — 717. Man kann nur ſagen, daß
die voͤllige Vernichtung des Gehirns, oder die gaͤnzliche
Trennung oder Hinderung deſſelben ein Thier auch ohne den
gaͤnzlichen Tod entſeele, daß hingegen ſehr große, ja die
meiſten Theile deſſelben, ſtuͤckweiſe oder einzeln, ohne beſon-
dern oder merklichen Nachtheil des thieriſchen Lebens ver-
nichtet, getrennet, zerruͤttet oder ſonſt gehindert werden koͤn-

nen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0748" n="724"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III</hi> Th. Natur der Thiere im Ganzen.</hi></fw><lb/>
in allen Ur&#x017F;pru&#x0364;ngen der Nerven im Gehirne die thieri&#x017F;chen<lb/>
Seelenkra&#x0364;fte wirk&#x017F;am &#x017F;ind, §. 124. 130. <hi rendition="#aq">N.</hi> 1. allein es<lb/>
i&#x017F;t unbekannt, ob es im ganzen Gehirne einen einzigen Punkt<lb/>
des Bewußt&#x017F;eyns oder der Vor&#x017F;tellungskraft gebe, den man<lb/>
den be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Ort oder <hi rendition="#fr">Sitz der Seele</hi> nennen ko&#x0364;nnte,<lb/>
da &#x017F;ich jede be&#x017F;ondre thieri&#x017F;che Seelenkraft, jede Art mate-<lb/>
rieller a&#x0364;ußerer Empfindungen und andrer materieller Jdeen,<lb/>
durch andre Punkte im Gehirne in andern Ur&#x017F;pru&#x0364;ngen der<lb/>
Nerven a&#x0364;ußert, die&#x017F;e aber &#x017F;ich, wie es &#x017F;cheint, in keinem<lb/>
Orte de&#x017F;&#x017F;elben alle ohne Ausnahme vereinigen, noch irgend<lb/>
einen allgemeinen Mittelpunkt aller thieri&#x017F;chen Seelenkra&#x0364;f-<lb/>
te formiren. <hi rendition="#aq">H. P.</hi> §. 370. 371. Wollte man gleich mit dem<lb/>
Herrn <hi rendition="#fr">v. Haller</hi> hierzu den Ort be&#x017F;timmen, wo die ner-<lb/>
vigte Fa&#x017F;er ihren Anfang nimmt, <hi rendition="#aq">H. P.</hi> §. 372. &#x017F;o i&#x017F;t doch<lb/>
die&#x017F;er nicht allen Nerven gemein&#x017F;chaftlich, da nicht einmal<lb/>
alle Fa&#x017F;ern eines einzelnen Nerven aus einem einzigen<lb/>
Punkte im Gehirne ent&#x017F;pringen; <hi rendition="#aq">H. P.</hi> §. 370. und u&#x0364;bri-<lb/>
gens bewei&#x017F;en unza&#x0364;hlige Verwundungen, Zerru&#x0364;ttungen,<lb/>
Verha&#x0364;rtungen, und der Mangel gewi&#x017F;&#x017F;er Theile des Ge-<lb/>
hirns in andern be&#x017F;eelten Thieren, daß der er&#x017F;te Ur&#x017F;prung<lb/>
die&#x017F;er oder jener einzelner Nerven fehlen, zerru&#x0364;ttet, verletzt<lb/>
und verdorben &#x017F;eyn ko&#x0364;nne, ohne daß deshalb die ganze thie-<lb/>
ri&#x017F;che Seelenkraft, oder die Gemein&#x017F;chaft des Leibes und<lb/>
der Seele aufgehoben wu&#x0364;rde. §. 25. Um die&#x017F;er Dunkelheit<lb/>
willen i&#x017F;t es unmo&#x0364;glich die Ur&#x017F;achen der Ent&#x017F;eelung eines<lb/>
Thieres und ihrer Art zu wirken anders, als wie oben §.<lb/>
718. nach Gru&#x0364;nden und aus der Erfahrung ge&#x017F;chehen, u&#x0364;ber-<lb/>
haupt zu be&#x017F;timmen, in &#x017F;o fern &#x017F;ie nicht zugleich die Ur&#x017F;a-<lb/>
chen des ga&#x0364;nzlichen Todes &#x017F;ind, die nur die Ent&#x017F;eelung mit<lb/>
in &#x017F;ich fa&#x017F;&#x017F;en. §. 711 &#x2014; 717. Man kann nur &#x017F;agen, daß<lb/>
die vo&#x0364;llige Vernichtung des Gehirns, oder die ga&#x0364;nzliche<lb/>
Trennung oder Hinderung de&#x017F;&#x017F;elben ein Thier auch ohne den<lb/>
ga&#x0364;nzlichen Tod ent&#x017F;eele, daß hingegen &#x017F;ehr große, ja die<lb/>
mei&#x017F;ten Theile de&#x017F;&#x017F;elben, &#x017F;tu&#x0364;ckwei&#x017F;e oder einzeln, ohne be&#x017F;on-<lb/>
dern oder merklichen Nachtheil des thieri&#x017F;chen Lebens ver-<lb/>
nichtet, getrennet, zerru&#x0364;ttet oder &#x017F;on&#x017F;t gehindert werden ko&#x0364;n-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nen,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[724/0748] III Th. Natur der Thiere im Ganzen. in allen Urſpruͤngen der Nerven im Gehirne die thieriſchen Seelenkraͤfte wirkſam ſind, §. 124. 130. N. 1. allein es iſt unbekannt, ob es im ganzen Gehirne einen einzigen Punkt des Bewußtſeyns oder der Vorſtellungskraft gebe, den man den beſtaͤndigen Ort oder Sitz der Seele nennen koͤnnte, da ſich jede beſondre thieriſche Seelenkraft, jede Art mate- rieller aͤußerer Empfindungen und andrer materieller Jdeen, durch andre Punkte im Gehirne in andern Urſpruͤngen der Nerven aͤußert, dieſe aber ſich, wie es ſcheint, in keinem Orte deſſelben alle ohne Ausnahme vereinigen, noch irgend einen allgemeinen Mittelpunkt aller thieriſchen Seelenkraͤf- te formiren. H. P. §. 370. 371. Wollte man gleich mit dem Herrn v. Haller hierzu den Ort beſtimmen, wo die ner- vigte Faſer ihren Anfang nimmt, H. P. §. 372. ſo iſt doch dieſer nicht allen Nerven gemeinſchaftlich, da nicht einmal alle Faſern eines einzelnen Nerven aus einem einzigen Punkte im Gehirne entſpringen; H. P. §. 370. und uͤbri- gens beweiſen unzaͤhlige Verwundungen, Zerruͤttungen, Verhaͤrtungen, und der Mangel gewiſſer Theile des Ge- hirns in andern beſeelten Thieren, daß der erſte Urſprung dieſer oder jener einzelner Nerven fehlen, zerruͤttet, verletzt und verdorben ſeyn koͤnne, ohne daß deshalb die ganze thie- riſche Seelenkraft, oder die Gemeinſchaft des Leibes und der Seele aufgehoben wuͤrde. §. 25. Um dieſer Dunkelheit willen iſt es unmoͤglich die Urſachen der Entſeelung eines Thieres und ihrer Art zu wirken anders, als wie oben §. 718. nach Gruͤnden und aus der Erfahrung geſchehen, uͤber- haupt zu beſtimmen, in ſo fern ſie nicht zugleich die Urſa- chen des gaͤnzlichen Todes ſind, die nur die Entſeelung mit in ſich faſſen. §. 711 — 717. Man kann nur ſagen, daß die voͤllige Vernichtung des Gehirns, oder die gaͤnzliche Trennung oder Hinderung deſſelben ein Thier auch ohne den gaͤnzlichen Tod entſeele, daß hingegen ſehr große, ja die meiſten Theile deſſelben, ſtuͤckweiſe oder einzeln, ohne beſon- dern oder merklichen Nachtheil des thieriſchen Lebens ver- nichtet, getrennet, zerruͤttet oder ſonſt gehindert werden koͤn- nen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/748
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 724. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/748>, abgerufen am 25.11.2024.