Anmelden (DTAQ)

DWDS dlexDB CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:

<< vorherige Seite

nächste Seite >>

III Th. Natur der Thiere im Ganzen.

2. "Jn beseelten Thieren kann gleichwohl noch nach
"der Enthauptung die thierische Bewegung des Herzens
"eine Zeitlang fortwähren."

Allein die Lebensgeister sind auch nicht alsobald er-
schöpft, wenn gleich das Gehirn keine mehr absondert oder
nachsendet. So lange die Nerven im Herzen noch damit
versehen sind, kann ein Eindruck dasselbe noch immer sinn-
lich reizen. Jhr Einfluß vom Gehirne her, der es inner-
lich sinnlich rühret, giebt ihm nicht die einzige noch die
Hauptkraft zu seiner thierischen Bewegung, sondern wirket
nur mit im natürlichen System der thierischen Lebenskräfte.
§. 515.

3. "Das ausgeschnittene Herz beseelter Thiere kann
"noch fortschlagen, und das Gehirn einige Seelenwirkun-
"gen verrichten." Allein das Herz thut solches auf die
Art, wie itzt eben N. 2. erkläret worden, und das Gehirn,
so lange ihm noch Blut aus den Schlagadern zukömmt,
die eine kurze Zeit noch die Verrichtung des Herzens erse-
tzen können.

4. "Es können aber unbeseelte Thiere ohne Kopf und
"Gehirn, auch ohne Herz und sogar ohne beydes lange le-
"ben." Aber bey diesen Thieren werden die Lebensgeister
allem Ansehen nach nicht in dem, was wir ihr Gehirn
nennen, allein, sondern in mehrern Stellen ihres Nerven-
systems vom Nervenmarke abgeschieden, §. 673. und da-
her behalten die meisten einzelnen Gliedmaßen desselben ihr
ganzes blos thierisches Leben so lange, bis sich aus Man-
gel der Nahrung ihre Säfte gänzlich verzehren, oder so
ausmergeln, daß sie keinen Stoff zu Lebensgeistern mehr
hergeben. §. 362. 416. Solche Thiere unter ihnen, die
nicht blos durch das, was man den Kopf nennen möchte,
allein, sondern durch mehr Glieder, oder durch die ganze
Oberfläche ihres Körpers ernähret werden, können also ihr
blos thierisches Leben völlig behalten, und dann ist jeder ab-
gesonderter Theil von ihnen als ein Ganzes zu betrachten,
worinn die beyden Mittelpunkte der ursprünglichen thieri-

schen

III Th. Natur der Thiere im Ganzen.

2. „Jn beſeelten Thieren kann gleichwohl noch nach
„der Enthauptung die thieriſche Bewegung des Herzens
„eine Zeitlang fortwaͤhren.“

Allein die Lebensgeiſter ſind auch nicht alſobald er-
ſchoͤpft, wenn gleich das Gehirn keine mehr abſondert oder
nachſendet. So lange die Nerven im Herzen noch damit
verſehen ſind, kann ein Eindruck daſſelbe noch immer ſinn-
lich reizen. Jhr Einfluß vom Gehirne her, der es inner-
lich ſinnlich ruͤhret, giebt ihm nicht die einzige noch die
Hauptkraft zu ſeiner thieriſchen Bewegung, ſondern wirket
nur mit im natuͤrlichen Syſtem der thieriſchen Lebenskraͤfte.
§. 515.

3. „Das ausgeſchnittene Herz beſeelter Thiere kann
„noch fortſchlagen, und das Gehirn einige Seelenwirkun-
„gen verrichten.“ Allein das Herz thut ſolches auf die
Art, wie itzt eben N. 2. erklaͤret worden, und das Gehirn,
ſo lange ihm noch Blut aus den Schlagadern zukoͤmmt,
die eine kurze Zeit noch die Verrichtung des Herzens erſe-
tzen koͤnnen.

4. „Es koͤnnen aber unbeſeelte Thiere ohne Kopf und
„Gehirn, auch ohne Herz und ſogar ohne beydes lange le-
„ben.“ Aber bey dieſen Thieren werden die Lebensgeiſter
allem Anſehen nach nicht in dem, was wir ihr Gehirn
nennen, allein, ſondern in mehrern Stellen ihres Nerven-
ſyſtems vom Nervenmarke abgeſchieden, §. 673. und da-
her behalten die meiſten einzelnen Gliedmaßen deſſelben ihr
ganzes blos thieriſches Leben ſo lange, bis ſich aus Man-
gel der Nahrung ihre Saͤfte gaͤnzlich verzehren, oder ſo
ausmergeln, daß ſie keinen Stoff zu Lebensgeiſtern mehr
hergeben. §. 362. 416. Solche Thiere unter ihnen, die
nicht blos durch das, was man den Kopf nennen moͤchte,
allein, ſondern durch mehr Glieder, oder durch die ganze
Oberflaͤche ihres Koͤrpers ernaͤhret werden, koͤnnen alſo ihr
blos thieriſches Leben voͤllig behalten, und dann iſt jeder ab-
geſonderter Theil von ihnen als ein Ganzes zu betrachten,
worinn die beyden Mittelpunkte der urſpruͤnglichen thieri-

ſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0714" n="690"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III</hi> Th. Natur der Thiere im Ganzen.</hi> </fw><lb/>
            <p>2. &#x201E;Jn be&#x017F;eelten Thieren kann gleichwohl noch nach<lb/>
&#x201E;der Enthauptung die thieri&#x017F;che Bewegung des Herzens<lb/>
&#x201E;eine Zeitlang fortwa&#x0364;hren.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Allein die Lebensgei&#x017F;ter &#x017F;ind auch nicht al&#x017F;obald er-<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pft, wenn gleich das Gehirn keine mehr ab&#x017F;ondert oder<lb/>
nach&#x017F;endet. So lange die Nerven im Herzen noch damit<lb/>
ver&#x017F;ehen &#x017F;ind, kann ein Eindruck da&#x017F;&#x017F;elbe noch immer &#x017F;inn-<lb/>
lich reizen. Jhr Einfluß vom Gehirne her, der es inner-<lb/>
lich &#x017F;innlich ru&#x0364;hret, giebt ihm nicht die einzige noch die<lb/>
Hauptkraft zu &#x017F;einer thieri&#x017F;chen Bewegung, &#x017F;ondern wirket<lb/>
nur mit im natu&#x0364;rlichen Sy&#x017F;tem der thieri&#x017F;chen Lebenskra&#x0364;fte.<lb/>
§. 515.</p><lb/>
            <p>3. &#x201E;Das ausge&#x017F;chnittene Herz be&#x017F;eelter Thiere kann<lb/>
&#x201E;noch fort&#x017F;chlagen, und das Gehirn einige Seelenwirkun-<lb/>
&#x201E;gen verrichten.&#x201C; Allein das Herz thut &#x017F;olches auf die<lb/>
Art, wie itzt eben <hi rendition="#aq">N.</hi> 2. erkla&#x0364;ret worden, und das Gehirn,<lb/>
&#x017F;o lange ihm noch Blut aus den Schlagadern zuko&#x0364;mmt,<lb/>
die eine kurze Zeit noch die Verrichtung des Herzens er&#x017F;e-<lb/>
tzen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
            <p>4. &#x201E;Es ko&#x0364;nnen aber unbe&#x017F;eelte Thiere ohne Kopf und<lb/>
&#x201E;Gehirn, auch ohne Herz und &#x017F;ogar ohne beydes lange le-<lb/>
&#x201E;ben.&#x201C; Aber bey die&#x017F;en Thieren werden die Lebensgei&#x017F;ter<lb/>
allem An&#x017F;ehen nach nicht in dem, was wir ihr Gehirn<lb/>
nennen, allein, &#x017F;ondern in mehrern Stellen ihres Nerven-<lb/>
&#x017F;y&#x017F;tems vom Nervenmarke abge&#x017F;chieden, §. 673. und da-<lb/>
her behalten die mei&#x017F;ten einzelnen Gliedmaßen de&#x017F;&#x017F;elben ihr<lb/>
ganzes blos thieri&#x017F;ches Leben &#x017F;o lange, bis &#x017F;ich aus Man-<lb/>
gel der Nahrung ihre Sa&#x0364;fte ga&#x0364;nzlich verzehren, oder &#x017F;o<lb/>
ausmergeln, daß &#x017F;ie keinen Stoff zu Lebensgei&#x017F;tern mehr<lb/>
hergeben. §. 362. 416. Solche Thiere unter ihnen, die<lb/>
nicht blos durch das, was man den Kopf nennen mo&#x0364;chte,<lb/>
allein, &#x017F;ondern durch mehr Glieder, oder durch die ganze<lb/>
Oberfla&#x0364;che ihres Ko&#x0364;rpers erna&#x0364;hret werden, ko&#x0364;nnen al&#x017F;o ihr<lb/>
blos thieri&#x017F;ches Leben vo&#x0364;llig behalten, und dann i&#x017F;t jeder ab-<lb/>
ge&#x017F;onderter Theil von ihnen als ein Ganzes zu betrachten,<lb/>
worinn die beyden Mittelpunkte der ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen thieri-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chen</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>

[690/0714] III Th. Natur der Thiere im Ganzen. 2. „Jn beſeelten Thieren kann gleichwohl noch nach „der Enthauptung die thieriſche Bewegung des Herzens „eine Zeitlang fortwaͤhren.“ Allein die Lebensgeiſter ſind auch nicht alſobald er- ſchoͤpft, wenn gleich das Gehirn keine mehr abſondert oder nachſendet. So lange die Nerven im Herzen noch damit verſehen ſind, kann ein Eindruck daſſelbe noch immer ſinn- lich reizen. Jhr Einfluß vom Gehirne her, der es inner- lich ſinnlich ruͤhret, giebt ihm nicht die einzige noch die Hauptkraft zu ſeiner thieriſchen Bewegung, ſondern wirket nur mit im natuͤrlichen Syſtem der thieriſchen Lebenskraͤfte. §. 515. 3. „Das ausgeſchnittene Herz beſeelter Thiere kann „noch fortſchlagen, und das Gehirn einige Seelenwirkun- „gen verrichten.“ Allein das Herz thut ſolches auf die Art, wie itzt eben N. 2. erklaͤret worden, und das Gehirn, ſo lange ihm noch Blut aus den Schlagadern zukoͤmmt, die eine kurze Zeit noch die Verrichtung des Herzens erſe- tzen koͤnnen. 4. „Es koͤnnen aber unbeſeelte Thiere ohne Kopf und „Gehirn, auch ohne Herz und ſogar ohne beydes lange le- „ben.“ Aber bey dieſen Thieren werden die Lebensgeiſter allem Anſehen nach nicht in dem, was wir ihr Gehirn nennen, allein, ſondern in mehrern Stellen ihres Nerven- ſyſtems vom Nervenmarke abgeſchieden, §. 673. und da- her behalten die meiſten einzelnen Gliedmaßen deſſelben ihr ganzes blos thieriſches Leben ſo lange, bis ſich aus Man- gel der Nahrung ihre Saͤfte gaͤnzlich verzehren, oder ſo ausmergeln, daß ſie keinen Stoff zu Lebensgeiſtern mehr hergeben. §. 362. 416. Solche Thiere unter ihnen, die nicht blos durch das, was man den Kopf nennen moͤchte, allein, ſondern durch mehr Glieder, oder durch die ganze Oberflaͤche ihres Koͤrpers ernaͤhret werden, koͤnnen alſo ihr blos thieriſches Leben voͤllig behalten, und dann iſt jeder ab- geſonderter Theil von ihnen als ein Ganzes zu betrachten, worinn die beyden Mittelpunkte der urſpruͤnglichen thieri- ſchen

Suche im Werk

Informationen zum Werk

Titeldaten
Verfügbarkeit Text (TEI-XML-, HTML-, TCF-, E-Book-Fassung): CC BY-SA 4.0.
Nutzungsbedingungen

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ^?

Language Resource Switchboard^?

Resource/URL übermitteln

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk:	https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite:	https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/714
Zitationshilfe:	Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 690. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/714>, abgerufen am 22.11.2024.

Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer Creative-Commons-Lizenz. Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken. Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.

Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.

2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de.

Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.