an seine Ueberzeugungen und freywilligen Handlungen ihm zurechnet. Die Seele fängt also hier an, vom Zwange der Sinnlichkeit freyer, unterscheidend von blos sinnlichen Thieren und aushöherer nicht sinnlicher Erkenntniß zu han- deln, und das Gehirn, das ihr hierinn durch seine thieri- sche Seelenkraft folgen muß, um die materiellen Jdeen zu diesen höhern Vorstellungen eben so unabhänglich von äu- ßern sinnlichen Eindrücken hervorzubringen und miteinan- der zu verknüpfen, §. 25. muß nothwendig durch seine vollkommenste Entwickelung erst das Vermögen zu diesen neuen thierischen Seelenkräften erhalten. Ob man nun gleich eben nicht sagen kann, daß diese große Veränderung bey Verschnittenen nicht erfolgete; sondern daß sie stets kindisch blieben; mithin keine nothwendige Abhänglichkeit dieser neuen Vollkommenheit der Seele von der vollendeten Vollkommenheit der übrigen thierischen Natur in diesem Zeitpunkte behauptet werden kann, sondern sie mehr nur eine natürliche Folge des Lebensalters zu seyn scheint: so treffen doch beyde im thierischen Leben so regelmäßig zu- sammen, daß uns alles überzeugen muß, es sey diese Pe- riode der Abschnitt des Lebens der Thiere, worinn ihre gan- ze thierische Natur den höchsten Gipfel ihrer Vollkommen- heit in jeder Absicht, und dadurch den Zweck der Natur bey ihrer Schöpfung erreichet. §. 652.
§. 658.
So wie dieser große Zweck des ganzen thierischen Le- bens bey einigen Gattungen der Thiere früher erreichet wird und von kürzerer Dauer, bey andern aber eine viel spätere Entwickelung und ein viel länger daurender Zustand ihrer Vollkommenheit ist, §. 652. so bestimmet er auch ei- gentlich die natürlichen Lebensalter jeder Gattung von Thieren, worinn man die ungeheuersten Abweichungen be- merket, indem einige Thiere von Natur nur einen Tag, an- dre über hundert Jahr zu leben bestimmet sind, ehe sich mit der Erschöpfung ihrer Zeugungskräfte die letzte Periode
ihres
III Th. Natur der Thiere im Ganzen.
an ſeine Ueberzeugungen und freywilligen Handlungen ihm zurechnet. Die Seele faͤngt alſo hier an, vom Zwange der Sinnlichkeit freyer, unterſcheidend von blos ſinnlichen Thieren und aushoͤherer nicht ſinnlicher Erkenntniß zu han- deln, und das Gehirn, das ihr hierinn durch ſeine thieri- ſche Seelenkraft folgen muß, um die materiellen Jdeen zu dieſen hoͤhern Vorſtellungen eben ſo unabhaͤnglich von aͤu- ßern ſinnlichen Eindruͤcken hervorzubringen und miteinan- der zu verknuͤpfen, §. 25. muß nothwendig durch ſeine vollkommenſte Entwickelung erſt das Vermoͤgen zu dieſen neuen thieriſchen Seelenkraͤften erhalten. Ob man nun gleich eben nicht ſagen kann, daß dieſe große Veraͤnderung bey Verſchnittenen nicht erfolgete; ſondern daß ſie ſtets kindiſch blieben; mithin keine nothwendige Abhaͤnglichkeit dieſer neuen Vollkommenheit der Seele von der vollendeten Vollkommenheit der uͤbrigen thieriſchen Natur in dieſem Zeitpunkte behauptet werden kann, ſondern ſie mehr nur eine natuͤrliche Folge des Lebensalters zu ſeyn ſcheint: ſo treffen doch beyde im thieriſchen Leben ſo regelmaͤßig zu- ſammen, daß uns alles uͤberzeugen muß, es ſey dieſe Pe- riode der Abſchnitt des Lebens der Thiere, worinn ihre gan- ze thieriſche Natur den hoͤchſten Gipfel ihrer Vollkommen- heit in jeder Abſicht, und dadurch den Zweck der Natur bey ihrer Schoͤpfung erreichet. §. 652.
§. 658.
So wie dieſer große Zweck des ganzen thieriſchen Le- bens bey einigen Gattungen der Thiere fruͤher erreichet wird und von kuͤrzerer Dauer, bey andern aber eine viel ſpaͤtere Entwickelung und ein viel laͤnger daurender Zuſtand ihrer Vollkommenheit iſt, §. 652. ſo beſtimmet er auch ei- gentlich die natuͤrlichen Lebensalter jeder Gattung von Thieren, worinn man die ungeheuerſten Abweichungen be- merket, indem einige Thiere von Natur nur einen Tag, an- dre uͤber hundert Jahr zu leben beſtimmet ſind, ehe ſich mit der Erſchoͤpfung ihrer Zeugungskraͤfte die letzte Periode
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III Th. Natur der Thiere im Ganzen.
an ſeine Ueberzeugungen und freywilligen Handlungen ihm
zurechnet. Die Seele faͤngt alſo hier an, vom Zwange
der Sinnlichkeit freyer, unterſcheidend von blos ſinnlichen
Thieren und aushoͤherer nicht ſinnlicher Erkenntniß zu han-
deln, und das Gehirn, das ihr hierinn durch ſeine thieri-
ſche Seelenkraft folgen muß, um die materiellen Jdeen zu
dieſen hoͤhern Vorſtellungen eben ſo unabhaͤnglich von aͤu-
ßern ſinnlichen Eindruͤcken hervorzubringen und miteinan-
der zu verknuͤpfen, §. 25. muß nothwendig durch ſeine
vollkommenſte Entwickelung erſt das Vermoͤgen zu dieſen
neuen thieriſchen Seelenkraͤften erhalten. Ob man nun
gleich eben nicht ſagen kann, daß dieſe große Veraͤnderung
bey Verſchnittenen nicht erfolgete; ſondern daß ſie ſtets
kindiſch blieben; mithin keine nothwendige Abhaͤnglichkeit
dieſer neuen Vollkommenheit der Seele von der vollendeten
Vollkommenheit der uͤbrigen thieriſchen Natur in dieſem
Zeitpunkte behauptet werden kann, ſondern ſie mehr nur
eine natuͤrliche Folge des Lebensalters zu ſeyn ſcheint: ſo
treffen doch beyde im thieriſchen Leben ſo regelmaͤßig zu-
ſammen, daß uns alles uͤberzeugen muß, es ſey dieſe Pe-
riode der Abſchnitt des Lebens der Thiere, worinn ihre gan-
ze thieriſche Natur den hoͤchſten Gipfel ihrer Vollkommen-
heit in jeder Abſicht, und dadurch den Zweck der Natur bey
ihrer Schoͤpfung erreichet. §. 652.
§. 658.
So wie dieſer große Zweck des ganzen thieriſchen Le-
bens bey einigen Gattungen der Thiere fruͤher erreichet
wird und von kuͤrzerer Dauer, bey andern aber eine viel
ſpaͤtere Entwickelung und ein viel laͤnger daurender Zuſtand
ihrer Vollkommenheit iſt, §. 652. ſo beſtimmet er auch ei-
gentlich die natuͤrlichen Lebensalter jeder Gattung von
Thieren, worinn man die ungeheuerſten Abweichungen be-
merket, indem einige Thiere von Natur nur einen Tag, an-
dre uͤber hundert Jahr zu leben beſtimmet ſind, ehe ſich mit
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/696>, abgerufen am 16.02.2025.
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