laßten Furcht durch seine bloße Nervenkraft ersetzen, da so viel willkührliche Vorstellungen die Seelenwirkungen seiner Leidenschaft durch stets verwechselte Vorhersehungen ändern, und die äußere Empfindung nichts dazu beyträgt, als daß sie den Willkühr der Vorstellungskraft in Wirkung gesetzet hat. Hierdurch ist diese letzte Leidenschaft unstreitig so weit von der ersten Empfindung des Schlages geschieden, daß man die Furcht beym Hunde offenbar der äußern Empfin- dung viel näher verwandt finden muß, ob sie gleich in bey- den Fällen eine wahre Leidenschaft ist. Der Unterschied der Entstehungsart beyder Leidenschaften bestimmet zugleich die ganz verschiedenen Seelenwirkungen derselben, wovon die beym Menschen nicht, wie die beym Hunde, zunächst von der äußern Empfindung, sondern von andern sinnli- chen Vorstellungen, die die Seele der Empfindung blos nach psychologischen Gesetzen willkührlich beygesellet hat, abhängen, §. 315. und so können die Seelenwirkungen der beym Hunde allerdings durch die bloße Nervenkraft des äußern sinnlichen Eindrucks dieser Empfindung als Nervenwirkungen erreget werden, die des Menschen aber nicht.
§. 568.
Aus Allem, was bisher erkläret worden, §. 563 -- 567. erhellet also:
1. daß die Seelenwirkungen der Leidenschaften durch die Nervenkräfte allein überhaupt ersetzet werden können. §. 563.
2. daß aber eben dieselben äußern sinnlichen Eindrü- cke, welche durch ihre äußere Empfindung jede Leidenschaft, es sey so weither als es wolle, veranlassen, §. 66. 90. nur in so fern die Seelenwirkungen der letztern durch ihre Ner- venkraft allein ersetzen können, als diese Seelenwirkungen, ob sie gleich immer nur zufällige der äußern Empfindung sind, §. 98. N. 3. nicht von solchen sinnlichen Zwischen- vorstellungen hervorgebracht werden, die sich auf ganz
andre
II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
laßten Furcht durch ſeine bloße Nervenkraft erſetzen, da ſo viel willkuͤhrliche Vorſtellungen die Seelenwirkungen ſeiner Leidenſchaft durch ſtets verwechſelte Vorherſehungen aͤndern, und die aͤußere Empfindung nichts dazu beytraͤgt, als daß ſie den Willkuͤhr der Vorſtellungskraft in Wirkung geſetzet hat. Hierdurch iſt dieſe letzte Leidenſchaft unſtreitig ſo weit von der erſten Empfindung des Schlages geſchieden, daß man die Furcht beym Hunde offenbar der aͤußern Empfin- dung viel naͤher verwandt finden muß, ob ſie gleich in bey- den Faͤllen eine wahre Leidenſchaft iſt. Der Unterſchied der Entſtehungsart beyder Leidenſchaften beſtimmet zugleich die ganz verſchiedenen Seelenwirkungen derſelben, wovon die beym Menſchen nicht, wie die beym Hunde, zunaͤchſt von der aͤußern Empfindung, ſondern von andern ſinnli- chen Vorſtellungen, die die Seele der Empfindung blos nach pſychologiſchen Geſetzen willkuͤhrlich beygeſellet hat, abhaͤngen, §. 315. und ſo koͤnnen die Seelenwirkungen der beym Hunde allerdings durch die bloße Nervenkraft des aͤußern ſinnlichen Eindrucks dieſer Empfindung als Nervenwirkungen erreget werden, die des Menſchen aber nicht.
§. 568.
Aus Allem, was bisher erklaͤret worden, §. 563 — 567. erhellet alſo:
1. daß die Seelenwirkungen der Leidenſchaften durch die Nervenkraͤfte allein uͤberhaupt erſetzet werden koͤnnen. §. 563.
2. daß aber eben dieſelben aͤußern ſinnlichen Eindruͤ- cke, welche durch ihre aͤußere Empfindung jede Leidenſchaft, es ſey ſo weither als es wolle, veranlaſſen, §. 66. 90. nur in ſo fern die Seelenwirkungen der letztern durch ihre Ner- venkraft allein erſetzen koͤnnen, als dieſe Seelenwirkungen, ob ſie gleich immer nur zufaͤllige der aͤußern Empfindung ſind, §. 98. N. 3. nicht von ſolchen ſinnlichen Zwiſchen- vorſtellungen hervorgebracht werden, die ſich auf ganz
andre
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II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
laßten Furcht durch ſeine bloße Nervenkraft erſetzen, da ſo
viel willkuͤhrliche Vorſtellungen die Seelenwirkungen ſeiner
Leidenſchaft durch ſtets verwechſelte Vorherſehungen aͤndern,
und die aͤußere Empfindung nichts dazu beytraͤgt, als daß
ſie den Willkuͤhr der Vorſtellungskraft in Wirkung geſetzet
hat. Hierdurch iſt dieſe letzte Leidenſchaft unſtreitig ſo weit
von der erſten Empfindung des Schlages geſchieden, daß
man die Furcht beym Hunde offenbar der aͤußern Empfin-
dung viel naͤher verwandt finden muß, ob ſie gleich in bey-
den Faͤllen eine wahre Leidenſchaft iſt. Der Unterſchied
der Entſtehungsart beyder Leidenſchaften beſtimmet zugleich
die ganz verſchiedenen Seelenwirkungen derſelben, wovon
die beym Menſchen nicht, wie die beym Hunde, zunaͤchſt
von der aͤußern Empfindung, ſondern von andern ſinnli-
chen Vorſtellungen, die die Seele der Empfindung blos
nach pſychologiſchen Geſetzen willkuͤhrlich beygeſellet hat,
abhaͤngen, §. 315. und ſo koͤnnen die Seelenwirkungen
der beym Hunde allerdings durch die bloße Nervenkraft
des aͤußern ſinnlichen Eindrucks dieſer Empfindung als
Nervenwirkungen erreget werden, die des Menſchen
aber nicht.
§. 568.
Aus Allem, was bisher erklaͤret worden, §. 563 —
567. erhellet alſo:
1. daß die Seelenwirkungen der Leidenſchaften durch
die Nervenkraͤfte allein uͤberhaupt erſetzet werden koͤnnen.
§. 563.
2. daß aber eben dieſelben aͤußern ſinnlichen Eindruͤ-
cke, welche durch ihre aͤußere Empfindung jede Leidenſchaft,
es ſey ſo weither als es wolle, veranlaſſen, §. 66. 90. nur
in ſo fern die Seelenwirkungen der letztern durch ihre Ner-
venkraft allein erſetzen koͤnnen, als dieſe Seelenwirkungen,
ob ſie gleich immer nur zufaͤllige der aͤußern Empfindung
ſind, §. 98. N. 3. nicht von ſolchen ſinnlichen Zwiſchen-
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/596>, abgerufen am 22.02.2025.
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