Wenn wir aus der Erfahrung Beweise geben, daß die Nervenkräfte allein im Stande sind, die Seelenwirkungen der Triebe bey Thieren zu ersetzen, so muß man billig nicht verlangen, daß dieses von jeder einzelnen Seelenwirkung aus besondern unmittelbaren Beobachtungen dargethan werden sollte. Denn da man sich zu solchen Beweisen, um des Augenscheins willen, gemeiniglich enthaupteter Thiere bedienen muß, deren Körper von Natur bestimmet sind, durch wahre Triebe regieret zu werden, oder die man sich doch so voraussetzen muß, wenn der Beweis gültig seyn soll, so kann es leicht geschehen, daß durch die Trennung des Haupts vom Körper gewisse thierische Verrichtungen unterbrochen und gehemmet werden, die, ob sie gleich bloße Nervenwirkungen sind, doch vom Haupte und Gehirne her einigen Einfluß von Nervenkräften sinnlicher Eindrü- cke, die darinn erzeuget werden, zur Mitwirkung erfodern, wie solches von mancherley Nervenwirkungen verschiedener Eingeweide bewiesen ist. §. 515. 524. 532. Eben so können durch die Trennung des Haupts manche solcher See- lenwirkungen unmöglich mehr Statt finden, wenn sie am Haupte selbst, oder durch die mechanischen Maschinen des- selben gewirket werden müssen. So kann man von den Seelenwirkungen des Nahrungstriebes in die Speicheldrü- sen, (wenn vom Hunger sich der Speichel in den Mund er- gießt,) bey einem enthaupteten Thiere unmöglich zeigen, daß er auch eine bloße Nervenwirkung seyn könne, weil der äußere sinnliche Eindruck im Magen in solchem Falle un- möglich eine Nervenwirkung in die Speicheldrüsen mehr äußern kann. Außerdem sind auch viele von den Versu- chen, die zu diesen einzelnen Beweisen von jeder besondern Seelenwirkung eines Triebes erfodert wurden, noch nicht gemachet, oder noch nicht beschrieben, oder können ihrer Natur nach nicht gemachet werden, ohne ein enthauptetes Thier noch mehr zu verstümmeln, und den Rest seines thie- rischen Lebens vollends zu zerstören; z. E. wenn man an
einer
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1 Abſchn. Erſetz. der Seelenw. durch Nervenw.
§. 554.
Wenn wir aus der Erfahrung Beweiſe geben, daß die Nervenkraͤfte allein im Stande ſind, die Seelenwirkungen der Triebe bey Thieren zu erſetzen, ſo muß man billig nicht verlangen, daß dieſes von jeder einzelnen Seelenwirkung aus beſondern unmittelbaren Beobachtungen dargethan werden ſollte. Denn da man ſich zu ſolchen Beweiſen, um des Augenſcheins willen, gemeiniglich enthaupteter Thiere bedienen muß, deren Koͤrper von Natur beſtimmet ſind, durch wahre Triebe regieret zu werden, oder die man ſich doch ſo vorausſetzen muß, wenn der Beweis guͤltig ſeyn ſoll, ſo kann es leicht geſchehen, daß durch die Trennung des Haupts vom Koͤrper gewiſſe thieriſche Verrichtungen unterbrochen und gehemmet werden, die, ob ſie gleich bloße Nervenwirkungen ſind, doch vom Haupte und Gehirne her einigen Einfluß von Nervenkraͤften ſinnlicher Eindruͤ- cke, die darinn erzeuget werden, zur Mitwirkung erfodern, wie ſolches von mancherley Nervenwirkungen verſchiedener Eingeweide bewieſen iſt. §. 515. 524. 532. Eben ſo koͤnnen durch die Trennung des Haupts manche ſolcher See- lenwirkungen unmoͤglich mehr Statt finden, wenn ſie am Haupte ſelbſt, oder durch die mechaniſchen Maſchinen deſ- ſelben gewirket werden muͤſſen. So kann man von den Seelenwirkungen des Nahrungstriebes in die Speicheldruͤ- ſen, (wenn vom Hunger ſich der Speichel in den Mund er- gießt,) bey einem enthaupteten Thiere unmoͤglich zeigen, daß er auch eine bloße Nervenwirkung ſeyn koͤnne, weil der aͤußere ſinnliche Eindruck im Magen in ſolchem Falle un- moͤglich eine Nervenwirkung in die Speicheldruͤſen mehr aͤußern kann. Außerdem ſind auch viele von den Verſu- chen, die zu dieſen einzelnen Beweiſen von jeder beſondern Seelenwirkung eines Triebes erfodert wurden, noch nicht gemachet, oder noch nicht beſchrieben, oder koͤnnen ihrer Natur nach nicht gemachet werden, ohne ein enthauptetes Thier noch mehr zu verſtuͤmmeln, und den Reſt ſeines thie- riſchen Lebens vollends zu zerſtoͤren; z. E. wenn man an
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1 Abſchn. Erſetz. der Seelenw. durch Nervenw.
§. 554.
Wenn wir aus der Erfahrung Beweiſe geben, daß die
Nervenkraͤfte allein im Stande ſind, die Seelenwirkungen
der Triebe bey Thieren zu erſetzen, ſo muß man billig nicht
verlangen, daß dieſes von jeder einzelnen Seelenwirkung
aus beſondern unmittelbaren Beobachtungen dargethan
werden ſollte. Denn da man ſich zu ſolchen Beweiſen, um
des Augenſcheins willen, gemeiniglich enthaupteter Thiere
bedienen muß, deren Koͤrper von Natur beſtimmet ſind,
durch wahre Triebe regieret zu werden, oder die man ſich
doch ſo vorausſetzen muß, wenn der Beweis guͤltig ſeyn
ſoll, ſo kann es leicht geſchehen, daß durch die Trennung
des Haupts vom Koͤrper gewiſſe thieriſche Verrichtungen
unterbrochen und gehemmet werden, die, ob ſie gleich bloße
Nervenwirkungen ſind, doch vom Haupte und Gehirne
her einigen Einfluß von Nervenkraͤften ſinnlicher Eindruͤ-
cke, die darinn erzeuget werden, zur Mitwirkung erfodern,
wie ſolches von mancherley Nervenwirkungen verſchiedener
Eingeweide bewieſen iſt. §. 515. 524. 532. Eben ſo
koͤnnen durch die Trennung des Haupts manche ſolcher See-
lenwirkungen unmoͤglich mehr Statt finden, wenn ſie am
Haupte ſelbſt, oder durch die mechaniſchen Maſchinen deſ-
ſelben gewirket werden muͤſſen. So kann man von den
Seelenwirkungen des Nahrungstriebes in die Speicheldruͤ-
ſen, (wenn vom Hunger ſich der Speichel in den Mund er-
gießt,) bey einem enthaupteten Thiere unmoͤglich zeigen,
daß er auch eine bloße Nervenwirkung ſeyn koͤnne, weil der
aͤußere ſinnliche Eindruck im Magen in ſolchem Falle un-
moͤglich eine Nervenwirkung in die Speicheldruͤſen mehr
aͤußern kann. Außerdem ſind auch viele von den Verſu-
chen, die zu dieſen einzelnen Beweiſen von jeder beſondern
Seelenwirkung eines Triebes erfodert wurden, noch nicht
gemachet, oder noch nicht beſchrieben, oder koͤnnen ihrer
Natur nach nicht gemachet werden, ohne ein enthauptetes
Thier noch mehr zu verſtuͤmmeln, und den Reſt ſeines thie-
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/573>, abgerufen am 25.11.2024.
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