regung andrer sinnlicher Vorstellungen in der Seele, zu erfolgen pflegen.
§. 437.
Hieraus läßt sich die Möglichkeit einsehen, wie, der unstreitigsten Erfahrung zu Folge, §. 434. ein enthaupte- tes oder hirnloses Thier, wenn es gleich weder Vorstellun- gen, noch insbesondre äußere Empfindungen hat, dennoch bey jedem äußern sinnlichen Eindrucke alle die gewöhnlichen Wirkungen der äußern Empfindung desselben in empfinden- den Thieren seiner Art, erfähret, zu allen den Bewegun- gen, die sie erregen würde, genöthiget ist, und sich auch eben so eigenmächtig dabey beträgt, und so vorsetzlich zu handeln scheint, als ob es empfände und durch die Em- pfindung zu Einbildungen, Vorhersehungen, Begierden etc. veranlasset wäre, denen es gemäß handelt. (Vergl. §. 397.) Man reiße einer Fliege den Kopf ab, und rühre sie an, so fliegt sie davon, als ob sie noch immer empfände, und durch die Empfindung zu dem Entschlusse gebracht würde, sich zu entfernen. Dieß ist sonst, wofern die Fliegen je Vor- stellungen hätten, eine zufällige Seelenwirkung der äußern Empfindung der Berührung. §. 185. 219. etc. Jtzt ist es unstreitig eine bloße mittelbare Nervenwirkung des äu- ßern sinnlichen Eindrucks. §. 419. 415. N. 2. Eben so ist es in den Fällen, wenn ein enthaupteter Fisch, der in kochendes Wasser kömmt, mit dem Schwanze schlägt, ein zerschnittener Vielfuß, bey jeder Berührung, mit allen seinen Beinen fortläuft, überall, wo er anstößt, sich wen- det, und umherfühlt, (S. die Samml. meiner kl. Schrif- ten 1 Th. 33 Stück.) eine enthauptete Schnecke ihren Leib von allem, was sie berühret, schnell abzieht, und es dann erst wieder langsam anrühret, ein Ohrwurm ohne Kopf, der gestochen wird, sich mit seinen Zangen wehret, und so in unzähligen andern Fällen.
§. 438.
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1 Abſchn. uͤberhaupt.
regung andrer ſinnlicher Vorſtellungen in der Seele, zu erfolgen pflegen.
§. 437.
Hieraus laͤßt ſich die Moͤglichkeit einſehen, wie, der unſtreitigſten Erfahrung zu Folge, §. 434. ein enthaupte- tes oder hirnloſes Thier, wenn es gleich weder Vorſtellun- gen, noch insbeſondre aͤußere Empfindungen hat, dennoch bey jedem aͤußern ſinnlichen Eindrucke alle die gewoͤhnlichen Wirkungen der aͤußern Empfindung deſſelben in empfinden- den Thieren ſeiner Art, erfaͤhret, zu allen den Bewegun- gen, die ſie erregen wuͤrde, genoͤthiget iſt, und ſich auch eben ſo eigenmaͤchtig dabey betraͤgt, und ſo vorſetzlich zu handeln ſcheint, als ob es empfaͤnde und durch die Em- pfindung zu Einbildungen, Vorherſehungen, Begierden ꝛc. veranlaſſet waͤre, denen es gemaͤß handelt. (Vergl. §. 397.) Man reiße einer Fliege den Kopf ab, und ruͤhre ſie an, ſo fliegt ſie davon, als ob ſie noch immer empfaͤnde, und durch die Empfindung zu dem Entſchluſſe gebracht wuͤrde, ſich zu entfernen. Dieß iſt ſonſt, wofern die Fliegen je Vor- ſtellungen haͤtten, eine zufaͤllige Seelenwirkung der aͤußern Empfindung der Beruͤhrung. §. 185. 219. ꝛc. Jtzt iſt es unſtreitig eine bloße mittelbare Nervenwirkung des aͤu- ßern ſinnlichen Eindrucks. §. 419. 415. N. 2. Eben ſo iſt es in den Faͤllen, wenn ein enthaupteter Fiſch, der in kochendes Waſſer koͤmmt, mit dem Schwanze ſchlaͤgt, ein zerſchnittener Vielfuß, bey jeder Beruͤhrung, mit allen ſeinen Beinen fortlaͤuft, uͤberall, wo er anſtoͤßt, ſich wen- det, und umherfuͤhlt, (S. die Samml. meiner kl. Schrif- ten 1 Th. 33 Stuͤck.) eine enthauptete Schnecke ihren Leib von allem, was ſie beruͤhret, ſchnell abzieht, und es dann erſt wieder langſam anruͤhret, ein Ohrwurm ohne Kopf, der geſtochen wird, ſich mit ſeinen Zangen wehret, und ſo in unzaͤhligen andern Faͤllen.
§. 438.
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1 Abſchn. uͤberhaupt.
regung andrer ſinnlicher Vorſtellungen in der Seele, zu
erfolgen pflegen.
§. 437.
Hieraus laͤßt ſich die Moͤglichkeit einſehen, wie, der
unſtreitigſten Erfahrung zu Folge, §. 434. ein enthaupte-
tes oder hirnloſes Thier, wenn es gleich weder Vorſtellun-
gen, noch insbeſondre aͤußere Empfindungen hat, dennoch
bey jedem aͤußern ſinnlichen Eindrucke alle die gewoͤhnlichen
Wirkungen der aͤußern Empfindung deſſelben in empfinden-
den Thieren ſeiner Art, erfaͤhret, zu allen den Bewegun-
gen, die ſie erregen wuͤrde, genoͤthiget iſt, und ſich auch
eben ſo eigenmaͤchtig dabey betraͤgt, und ſo vorſetzlich zu
handeln ſcheint, als ob es empfaͤnde und durch die Em-
pfindung zu Einbildungen, Vorherſehungen, Begierden ꝛc.
veranlaſſet waͤre, denen es gemaͤß handelt. (Vergl. §. 397.)
Man reiße einer Fliege den Kopf ab, und ruͤhre ſie an, ſo
fliegt ſie davon, als ob ſie noch immer empfaͤnde, und durch
die Empfindung zu dem Entſchluſſe gebracht wuͤrde, ſich
zu entfernen. Dieß iſt ſonſt, wofern die Fliegen je Vor-
ſtellungen haͤtten, eine zufaͤllige Seelenwirkung der aͤußern
Empfindung der Beruͤhrung. §. 185. 219. ꝛc. Jtzt iſt
es unſtreitig eine bloße mittelbare Nervenwirkung des aͤu-
ßern ſinnlichen Eindrucks. §. 419. 415. N. 2. Eben ſo
iſt es in den Faͤllen, wenn ein enthaupteter Fiſch, der in
kochendes Waſſer koͤmmt, mit dem Schwanze ſchlaͤgt, ein
zerſchnittener Vielfuß, bey jeder Beruͤhrung, mit allen
ſeinen Beinen fortlaͤuft, uͤberall, wo er anſtoͤßt, ſich wen-
det, und umherfuͤhlt, (S. die Samml. meiner kl. Schrif-
ten 1 Th. 33 Stuͤck.) eine enthauptete Schnecke ihren Leib
von allem, was ſie beruͤhret, ſchnell abzieht, und es dann
erſt wieder langſam anruͤhret, ein Ohrwurm ohne Kopf,
der geſtochen wird, ſich mit ſeinen Zangen wehret, und ſo
in unzaͤhligen andern Faͤllen.
§. 438.
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/465>, abgerufen am 22.11.2024.
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