Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

II Th. Nervenk. 2 Kap. des äuß. sinnl. Eindr.
"Eigenschaften angetroffen." H. P. §. 400. Aus allen
diesen Zügen erkennet man die unmittelbaren Nerven-
wirkungen äußerer sinnlicher Eindrücke; nur daß der
Herr v. Haller diese Nervenkraft der Muskelfaser als
eine ihr ursprünglich eigene thierische Kraft zueignet; sie
nicht von dem ihr einverleibten Nerven herleitet, mithin
auch keinen Fortgang des äußern sinnlichen Eindrucks
im Nerven zur veranlassenden Ursache einer thierischen
Bewegung, die er in entfernten oder von andern Ner-
venzweigen regierten Theilen erreget, annehmen, oder,
welches eben so viel ist, keine mittelbaren Nervenwirkun-
gen daraus herleiten kann. §. 422. Was der vortreff-
liche Mann aus diesen letztern eigentlich machen soll,
scheint er selbst nicht deutlich bestimmen zu können. Daß
aus den Nerven eine Kraft komme, welche die Muskeln
beweget, und die doch nicht von Vorstellungen herrüh-
ret, ja daß Muskeln andrer Theile vom äußern sinnli-
chen Eindrucke in Nerven, die sie nicht unmittelbar re-
gieren, beweget werden, hat er nicht nur erkannt, son-
dern selbst durch viel Beyspiele erwiesen, die man oben
§. 415. N. 3. angeführt findet. Allein er leitet diese
Kraft vom Gehirne her; indem er aus seinen Erfahrun-
gen den Schluß machek: "daß ein starker Reiz an den
"Nerven zuerst das Gehirn mit in Wirkung setzet, und
"hierauf in allen Muskeln einen Krampf hervorbringt."
H. gr. P. 4 B. S. 528. Unmittelbar darauf fährt
er also fort: "Wiewohl alles Bisherige zu erweisen
"scheint, daß die Ursache der Muskelbewegung vom Ge-
"hirne nach den Nerven übergeht, -- so erfolgen den-
"noch bey jedem einzelnen Reize der Nerven oder des
"Rückmarks an den Muskeln Krämpfe, obgleich die Ge-
"meinschaft des Nerven mit dem Gehirne durch Unter-
"binden oder Zerschneiden des Nerven, Vernichtung des
"Rückenmarks, und völlige Trennung des Kopfs und
"Gehirns vom Körper, ganz aufgehoben ist. Jch rede
"hier nicht, (heißt es ausdrücklich S. 530.) von derje-

"nigen

II Th. Nervenk. 2 Kap. des aͤuß. ſinnl. Eindr.
„Eigenſchaften angetroffen.“ H. P. §. 400. Aus allen
dieſen Zuͤgen erkennet man die unmittelbaren Nerven-
wirkungen aͤußerer ſinnlicher Eindruͤcke; nur daß der
Herr v. Haller dieſe Nervenkraft der Muskelfaſer als
eine ihr urſpruͤnglich eigene thieriſche Kraft zueignet; ſie
nicht von dem ihr einverleibten Nerven herleitet, mithin
auch keinen Fortgang des aͤußern ſinnlichen Eindrucks
im Nerven zur veranlaſſenden Urſache einer thieriſchen
Bewegung, die er in entfernten oder von andern Ner-
venzweigen regierten Theilen erreget, annehmen, oder,
welches eben ſo viel iſt, keine mittelbaren Nervenwirkun-
gen daraus herleiten kann. §. 422. Was der vortreff-
liche Mann aus dieſen letztern eigentlich machen ſoll,
ſcheint er ſelbſt nicht deutlich beſtimmen zu koͤnnen. Daß
aus den Nerven eine Kraft komme, welche die Muskeln
beweget, und die doch nicht von Vorſtellungen herruͤh-
ret, ja daß Muskeln andrer Theile vom aͤußern ſinnli-
chen Eindrucke in Nerven, die ſie nicht unmittelbar re-
gieren, beweget werden, hat er nicht nur erkannt, ſon-
dern ſelbſt durch viel Beyſpiele erwieſen, die man oben
§. 415. N. 3. angefuͤhrt findet. Allein er leitet dieſe
Kraft vom Gehirne her; indem er aus ſeinen Erfahrun-
gen den Schluß machek: „daß ein ſtarker Reiz an den
„Nerven zuerſt das Gehirn mit in Wirkung ſetzet, und
„hierauf in allen Muskeln einen Krampf hervorbringt.“
H. gr. P. 4 B. S. 528. Unmittelbar darauf faͤhrt
er alſo fort: „Wiewohl alles Bisherige zu erweiſen
„ſcheint, daß die Urſache der Muskelbewegung vom Ge-
„hirne nach den Nerven uͤbergeht, — ſo erfolgen den-
„noch bey jedem einzelnen Reize der Nerven oder des
„Ruͤckmarks an den Muskeln Kraͤmpfe, obgleich die Ge-
„meinſchaft des Nerven mit dem Gehirne durch Unter-
„binden oder Zerſchneiden des Nerven, Vernichtung des
„Ruͤckenmarks, und voͤllige Trennung des Kopfs und
„Gehirns vom Koͤrper, ganz aufgehoben iſt. Jch rede
„hier nicht, (heißt es ausdruͤcklich S. 530.) von derje-

„nigen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0460" n="436"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II</hi> Th. Nervenk. 2 Kap. des a&#x0364;uß. &#x017F;innl. Eindr.</hi></fw><lb/>
&#x201E;Eigen&#x017F;chaften angetroffen.&#x201C; <hi rendition="#aq">H. P.</hi> §. 400. Aus allen<lb/>
die&#x017F;en Zu&#x0364;gen erkennet man die unmittelbaren Nerven-<lb/>
wirkungen a&#x0364;ußerer &#x017F;innlicher Eindru&#x0364;cke; nur daß der<lb/>
Herr <hi rendition="#fr">v. Haller</hi> die&#x017F;e Nervenkraft der Muskelfa&#x017F;er als<lb/>
eine ihr ur&#x017F;pru&#x0364;nglich eigene thieri&#x017F;che Kraft zueignet; &#x017F;ie<lb/>
nicht von dem ihr einverleibten Nerven herleitet, mithin<lb/>
auch keinen Fortgang des a&#x0364;ußern &#x017F;innlichen Eindrucks<lb/>
im Nerven zur veranla&#x017F;&#x017F;enden Ur&#x017F;ache einer thieri&#x017F;chen<lb/>
Bewegung, die er in entfernten oder von andern Ner-<lb/>
venzweigen regierten Theilen erreget, annehmen, oder,<lb/>
welches eben &#x017F;o viel i&#x017F;t, keine mittelbaren Nervenwirkun-<lb/>
gen daraus herleiten kann. §. 422. Was der vortreff-<lb/>
liche Mann aus die&#x017F;en letztern eigentlich machen &#x017F;oll,<lb/>
&#x017F;cheint er &#x017F;elb&#x017F;t nicht deutlich be&#x017F;timmen zu ko&#x0364;nnen. Daß<lb/>
aus den Nerven eine Kraft komme, welche die Muskeln<lb/>
beweget, und die doch nicht von Vor&#x017F;tellungen herru&#x0364;h-<lb/>
ret, ja daß Muskeln andrer Theile vom a&#x0364;ußern &#x017F;innli-<lb/>
chen Eindrucke in Nerven, die &#x017F;ie nicht unmittelbar re-<lb/>
gieren, beweget werden, hat er nicht nur erkannt, &#x017F;on-<lb/>
dern &#x017F;elb&#x017F;t durch viel Bey&#x017F;piele erwie&#x017F;en, die man oben<lb/>
§. 415. <hi rendition="#aq">N.</hi> 3. angefu&#x0364;hrt findet. Allein er leitet die&#x017F;e<lb/>
Kraft vom Gehirne her; indem er aus &#x017F;einen Erfahrun-<lb/>
gen den Schluß machek: &#x201E;daß ein &#x017F;tarker Reiz an den<lb/>
&#x201E;Nerven zuer&#x017F;t das Gehirn mit in Wirkung &#x017F;etzet, und<lb/>
&#x201E;hierauf in allen Muskeln einen Krampf hervorbringt.&#x201C;<lb/><hi rendition="#aq">H.</hi> gr. <hi rendition="#aq">P.</hi> 4 B. S. 528. Unmittelbar darauf fa&#x0364;hrt<lb/>
er al&#x017F;o fort: &#x201E;Wiewohl alles Bisherige zu erwei&#x017F;en<lb/>
&#x201E;&#x017F;cheint, daß die Ur&#x017F;ache der Muskelbewegung vom Ge-<lb/>
&#x201E;hirne nach den Nerven u&#x0364;bergeht, &#x2014; &#x017F;o erfolgen den-<lb/>
&#x201E;noch bey jedem einzelnen Reize der Nerven oder des<lb/>
&#x201E;Ru&#x0364;ckmarks an den Muskeln Kra&#x0364;mpfe, obgleich die Ge-<lb/>
&#x201E;mein&#x017F;chaft des Nerven mit dem Gehirne durch Unter-<lb/>
&#x201E;binden oder Zer&#x017F;chneiden des Nerven, Vernichtung des<lb/>
&#x201E;Ru&#x0364;ckenmarks, und vo&#x0364;llige Trennung des Kopfs und<lb/>
&#x201E;Gehirns vom Ko&#x0364;rper, ganz aufgehoben i&#x017F;t. Jch rede<lb/>
&#x201E;hier nicht, (heißt es ausdru&#x0364;cklich S. 530.) von derje-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;nigen</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[436/0460] II Th. Nervenk. 2 Kap. des aͤuß. ſinnl. Eindr. „Eigenſchaften angetroffen.“ H. P. §. 400. Aus allen dieſen Zuͤgen erkennet man die unmittelbaren Nerven- wirkungen aͤußerer ſinnlicher Eindruͤcke; nur daß der Herr v. Haller dieſe Nervenkraft der Muskelfaſer als eine ihr urſpruͤnglich eigene thieriſche Kraft zueignet; ſie nicht von dem ihr einverleibten Nerven herleitet, mithin auch keinen Fortgang des aͤußern ſinnlichen Eindrucks im Nerven zur veranlaſſenden Urſache einer thieriſchen Bewegung, die er in entfernten oder von andern Ner- venzweigen regierten Theilen erreget, annehmen, oder, welches eben ſo viel iſt, keine mittelbaren Nervenwirkun- gen daraus herleiten kann. §. 422. Was der vortreff- liche Mann aus dieſen letztern eigentlich machen ſoll, ſcheint er ſelbſt nicht deutlich beſtimmen zu koͤnnen. Daß aus den Nerven eine Kraft komme, welche die Muskeln beweget, und die doch nicht von Vorſtellungen herruͤh- ret, ja daß Muskeln andrer Theile vom aͤußern ſinnli- chen Eindrucke in Nerven, die ſie nicht unmittelbar re- gieren, beweget werden, hat er nicht nur erkannt, ſon- dern ſelbſt durch viel Beyſpiele erwieſen, die man oben §. 415. N. 3. angefuͤhrt findet. Allein er leitet dieſe Kraft vom Gehirne her; indem er aus ſeinen Erfahrun- gen den Schluß machek: „daß ein ſtarker Reiz an den „Nerven zuerſt das Gehirn mit in Wirkung ſetzet, und „hierauf in allen Muskeln einen Krampf hervorbringt.“ H. gr. P. 4 B. S. 528. Unmittelbar darauf faͤhrt er alſo fort: „Wiewohl alles Bisherige zu erweiſen „ſcheint, daß die Urſache der Muskelbewegung vom Ge- „hirne nach den Nerven uͤbergeht, — ſo erfolgen den- „noch bey jedem einzelnen Reize der Nerven oder des „Ruͤckmarks an den Muskeln Kraͤmpfe, obgleich die Ge- „meinſchaft des Nerven mit dem Gehirne durch Unter- „binden oder Zerſchneiden des Nerven, Vernichtung des „Ruͤckenmarks, und voͤllige Trennung des Kopfs und „Gehirns vom Koͤrper, ganz aufgehoben iſt. Jch rede „hier nicht, (heißt es ausdruͤcklich S. 530.) von derje- „nigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/460
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/460>, abgerufen am 22.11.2024.