Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

1 Kap. Die Nervenkräfte überhaupt.
"die den freywilligen Bewegungen vorgesetzet sind, verler-
"nen die Befehle der Seele auszurichten. -- Selbst in
"den Werkzeugen des thierischen Willens kann ein Reiz die
"heftigsten Bewegungen auch wider den Willen der Seele
"erregen." H. P. §. 409.

Man kann diesen Vortrag in zweyerley Absicht betrach-
ten, nämlich theils in so fern er nur den Unterschied der
Seelenwirkungen und Nervenwirkungen in den Muskeln
bestimmen soll; denn diese sind es eigentlich, welche der
große Mann hier durch die Ausdrücke der nervigten und
der angebornen Bewegung unterscheidet, theils, in so
fern daraus die ursprüngliche thierische Kraft der Muskeln
erwiesen werden soll. Jn der ersten Absicht sind die Be-
stimmungen zu schwankend, und entdecken insgesammt die
vorgefaßte und nie erweisliche Meynung, die er schon in
seinem §. 369. gelehret hat: "Daß die Hauptursache der
"(thierischen) Bewegungen im menschlichen Körper im Ge-
"hirne und Rückenmarke liege, und von da durch die Ner-
"ven in die Muskeln geleitet werde, und daß die Ursache
"der Bewegung nicht in jedem einzelnen Theile wohnen
"könne, weil sie sonst nach der Zerstörung des Gehirns
"überbleiben, und sich weder vermehren, wenn dasselbe ge-
"reizet, noch vermindern müsse, wenn es zusammengedrü-
"cket wird;" womit H. gr. P. 4 B. S. 622. übereinstim-
met, wenn zugegeben wird, "daß zwar das reizbare We-
"sen der Muskeln durch den ganzen thierischen Körper ver-
"theilet sey, hingegen die bewegende Kraft der Nerven oh-
"ne Gehirn weder entstehen noch fortdauren könne." Es
werden hier offenbar die thierischen Bewegungen überhaupt
mit den Seelenwirkungen in den Muskeln verwechselt. Al-
lerdings liegt die Hauptursache der letztern im Gehirne,
von da sie durch die Nerven in die Muskeln geht: und
eben darum hören diese auf, wenn das Gehirn zerstöret
wird, sie vermehren sich, wenn es gereizet, §. 132. und
vermindern sich, wenn es gedrücket wird. §. 128. Aber
von der thierischen Bewegung überhaupt läßt sich dieses

auf
B b

1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt.
„die den freywilligen Bewegungen vorgeſetzet ſind, verler-
„nen die Befehle der Seele auszurichten. — Selbſt in
„den Werkzeugen des thieriſchen Willens kann ein Reiz die
„heftigſten Bewegungen auch wider den Willen der Seele
„erregen.“ H. P. §. 409.

Man kann dieſen Vortrag in zweyerley Abſicht betrach-
ten, naͤmlich theils in ſo fern er nur den Unterſchied der
Seelenwirkungen und Nervenwirkungen in den Muskeln
beſtimmen ſoll; denn dieſe ſind es eigentlich, welche der
große Mann hier durch die Ausdruͤcke der nervigten und
der angebornen Bewegung unterſcheidet, theils, in ſo
fern daraus die urſpruͤngliche thieriſche Kraft der Muskeln
erwieſen werden ſoll. Jn der erſten Abſicht ſind die Be-
ſtimmungen zu ſchwankend, und entdecken insgeſammt die
vorgefaßte und nie erweisliche Meynung, die er ſchon in
ſeinem §. 369. gelehret hat: „Daß die Haupturſache der
„(thieriſchen) Bewegungen im menſchlichen Koͤrper im Ge-
„hirne und Ruͤckenmarke liege, und von da durch die Ner-
„ven in die Muskeln geleitet werde, und daß die Urſache
„der Bewegung nicht in jedem einzelnen Theile wohnen
„koͤnne, weil ſie ſonſt nach der Zerſtoͤrung des Gehirns
„uͤberbleiben, und ſich weder vermehren, wenn daſſelbe ge-
„reizet, noch vermindern muͤſſe, wenn es zuſammengedruͤ-
„cket wird;“ womit H. gr. P. 4 B. S. 622. uͤbereinſtim-
met, wenn zugegeben wird, „daß zwar das reizbare We-
„ſen der Muskeln durch den ganzen thieriſchen Koͤrper ver-
„theilet ſey, hingegen die bewegende Kraft der Nerven oh-
„ne Gehirn weder entſtehen noch fortdauren koͤnne.“ Es
werden hier offenbar die thieriſchen Bewegungen uͤberhaupt
mit den Seelenwirkungen in den Muskeln verwechſelt. Al-
lerdings liegt die Haupturſache der letztern im Gehirne,
von da ſie durch die Nerven in die Muskeln geht: und
eben darum hoͤren dieſe auf, wenn das Gehirn zerſtoͤret
wird, ſie vermehren ſich, wenn es gereizet, §. 132. und
vermindern ſich, wenn es gedruͤcket wird. §. 128. Aber
von der thieriſchen Bewegung uͤberhaupt laͤßt ſich dieſes

auf
B b
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0409" n="385"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">1 Kap. Die Nervenkra&#x0364;fte u&#x0364;berhaupt.</hi></fw><lb/>
&#x201E;die den freywilligen Bewegungen vorge&#x017F;etzet &#x017F;ind, verler-<lb/>
&#x201E;nen die Befehle der Seele auszurichten. &#x2014; Selb&#x017F;t in<lb/>
&#x201E;den Werkzeugen des thieri&#x017F;chen Willens kann ein Reiz die<lb/>
&#x201E;heftig&#x017F;ten Bewegungen auch wider den Willen der Seele<lb/>
&#x201E;erregen.&#x201C; <hi rendition="#aq">H. P.</hi> §. 409.</p><lb/>
            <p>Man kann die&#x017F;en Vortrag in zweyerley Ab&#x017F;icht betrach-<lb/>
ten, na&#x0364;mlich theils in &#x017F;o fern er nur den Unter&#x017F;chied der<lb/>
Seelenwirkungen und Nervenwirkungen in den Muskeln<lb/>
be&#x017F;timmen &#x017F;oll; denn die&#x017F;e &#x017F;ind es eigentlich, welche der<lb/>
große Mann hier durch die Ausdru&#x0364;cke der <hi rendition="#fr">nervigten</hi> und<lb/>
der <hi rendition="#fr">angebornen Bewegung</hi> unter&#x017F;cheidet, theils, in &#x017F;o<lb/>
fern daraus die ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche thieri&#x017F;che Kraft der Muskeln<lb/>
erwie&#x017F;en werden &#x017F;oll. Jn der er&#x017F;ten Ab&#x017F;icht &#x017F;ind die Be-<lb/>
&#x017F;timmungen zu &#x017F;chwankend, und entdecken insge&#x017F;ammt die<lb/>
vorgefaßte und nie erweisliche Meynung, die er &#x017F;chon in<lb/>
&#x017F;einem §. 369. gelehret hat: &#x201E;Daß die Hauptur&#x017F;ache der<lb/>
&#x201E;(thieri&#x017F;chen) Bewegungen im men&#x017F;chlichen Ko&#x0364;rper im Ge-<lb/>
&#x201E;hirne und Ru&#x0364;ckenmarke liege, und von da durch die Ner-<lb/>
&#x201E;ven in die Muskeln geleitet werde, und daß die Ur&#x017F;ache<lb/>
&#x201E;der Bewegung nicht in jedem einzelnen Theile wohnen<lb/>
&#x201E;ko&#x0364;nne, weil &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t nach der Zer&#x017F;to&#x0364;rung des Gehirns<lb/>
&#x201E;u&#x0364;berbleiben, und &#x017F;ich weder vermehren, wenn da&#x017F;&#x017F;elbe ge-<lb/>
&#x201E;reizet, noch vermindern mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, wenn es zu&#x017F;ammengedru&#x0364;-<lb/>
&#x201E;cket wird;&#x201C; womit <hi rendition="#aq">H.</hi> gr. <hi rendition="#aq">P.</hi> 4 B. S. 622. u&#x0364;berein&#x017F;tim-<lb/>
met, wenn zugegeben wird, &#x201E;daß zwar das reizbare We-<lb/>
&#x201E;&#x017F;en der Muskeln durch den ganzen thieri&#x017F;chen Ko&#x0364;rper ver-<lb/>
&#x201E;theilet &#x017F;ey, hingegen die bewegende Kraft der Nerven oh-<lb/>
&#x201E;ne Gehirn weder ent&#x017F;tehen noch fortdauren ko&#x0364;nne.&#x201C; Es<lb/>
werden hier offenbar die thieri&#x017F;chen Bewegungen u&#x0364;berhaupt<lb/>
mit den Seelenwirkungen in den Muskeln verwech&#x017F;elt. Al-<lb/>
lerdings liegt die Hauptur&#x017F;ache der letztern im Gehirne,<lb/>
von da &#x017F;ie durch die Nerven in die Muskeln geht: und<lb/>
eben darum ho&#x0364;ren die&#x017F;e auf, wenn das Gehirn zer&#x017F;to&#x0364;ret<lb/>
wird, &#x017F;ie vermehren &#x017F;ich, wenn es gereizet, §. 132. und<lb/>
vermindern &#x017F;ich, wenn es gedru&#x0364;cket wird. §. 128. Aber<lb/>
von der thieri&#x017F;chen Bewegung u&#x0364;berhaupt la&#x0364;ßt &#x017F;ich die&#x017F;es<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B b</fw><fw place="bottom" type="catch">auf</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[385/0409] 1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt. „die den freywilligen Bewegungen vorgeſetzet ſind, verler- „nen die Befehle der Seele auszurichten. — Selbſt in „den Werkzeugen des thieriſchen Willens kann ein Reiz die „heftigſten Bewegungen auch wider den Willen der Seele „erregen.“ H. P. §. 409. Man kann dieſen Vortrag in zweyerley Abſicht betrach- ten, naͤmlich theils in ſo fern er nur den Unterſchied der Seelenwirkungen und Nervenwirkungen in den Muskeln beſtimmen ſoll; denn dieſe ſind es eigentlich, welche der große Mann hier durch die Ausdruͤcke der nervigten und der angebornen Bewegung unterſcheidet, theils, in ſo fern daraus die urſpruͤngliche thieriſche Kraft der Muskeln erwieſen werden ſoll. Jn der erſten Abſicht ſind die Be- ſtimmungen zu ſchwankend, und entdecken insgeſammt die vorgefaßte und nie erweisliche Meynung, die er ſchon in ſeinem §. 369. gelehret hat: „Daß die Haupturſache der „(thieriſchen) Bewegungen im menſchlichen Koͤrper im Ge- „hirne und Ruͤckenmarke liege, und von da durch die Ner- „ven in die Muskeln geleitet werde, und daß die Urſache „der Bewegung nicht in jedem einzelnen Theile wohnen „koͤnne, weil ſie ſonſt nach der Zerſtoͤrung des Gehirns „uͤberbleiben, und ſich weder vermehren, wenn daſſelbe ge- „reizet, noch vermindern muͤſſe, wenn es zuſammengedruͤ- „cket wird;“ womit H. gr. P. 4 B. S. 622. uͤbereinſtim- met, wenn zugegeben wird, „daß zwar das reizbare We- „ſen der Muskeln durch den ganzen thieriſchen Koͤrper ver- „theilet ſey, hingegen die bewegende Kraft der Nerven oh- „ne Gehirn weder entſtehen noch fortdauren koͤnne.“ Es werden hier offenbar die thieriſchen Bewegungen uͤberhaupt mit den Seelenwirkungen in den Muskeln verwechſelt. Al- lerdings liegt die Haupturſache der letztern im Gehirne, von da ſie durch die Nerven in die Muskeln geht: und eben darum hoͤren dieſe auf, wenn das Gehirn zerſtoͤret wird, ſie vermehren ſich, wenn es gereizet, §. 132. und vermindern ſich, wenn es gedruͤcket wird. §. 128. Aber von der thieriſchen Bewegung uͤberhaupt laͤßt ſich dieſes auf B b

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/409
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/409>, abgerufen am 25.11.2024.