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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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1 Kap. Die Nervenkräfte überhaupt.
§. 382.

Vielleicht kann aber ein Muskel durch einen Reiz so
gerühret werden, daß er sich thierisch beweget, ohne daß
dieser Reiz zugleich in seinem Nerven einen sinnlichen Ein-
druck machete? Denn nicht jede Berührung verursachet in
einem und eben demselben, noch viel weniger in jedem Ner-
ven, einen sinnlichen Eindruck. §. 32. Vielleicht wird
die Muskelfaser von solchen Reizen thierisch beweget, die
den Nerven in ihr nicht sinnlich rühren?

Dieser Einwurf würde wichtig seyn, wenn nur vorher
ausgemachet worden wäre, daß die Muskelfaser, ohne ih-
ren Nerven einer thierischen Bewegung fähig sey. Allein
eben hieran mangelt es schlechterdings. Zudem beweist
auch die Erfahrung, daß die Eindrücke, welche die Mus-
keln thierisch bewegen, auch die Nerven sinnlich reizen, weil
sie empfunden werden können. Wir wollen das Erheblich-
ste, was der Herr v. Haller, als der Urheber dieser Mey-
nung, zu ihrer Vertheidigung noch angeführet hat, in Be-
trachtung ziehen, und denn daraus einen Schluß machen.

§. 383.

1. "Der Muskel beweget sich thierisch, wenn er berüh-
"ret wird: der Nerve aber nicht. Also mangelt dem Ner-
"ven das reizbare Wesen, was die Muskelfaser besitzt. H. P.
"§. 407. Mithin ist diese Reizbarkeit, das ist, die
"Fähigkeit, von einer gewissen Berührung sich thierisch
"zu bewegen, der Muskelfaser vor dem Nerven
"eigen."

Unstreitig! aber ursprünglich? kann sie diese Fähigkeit
nicht blos durch ihren Nerven haben? Wenn die Muskel-
faser eine mechanische Maschine ist, die von den sinnlichen
Eindrücken in ihre Nerven beweget wird; so hat sie dennoch
diese Fähigkeit vor dem Nerven voraus: denn der sinnliche
Eindruck beweget, seiner Natur nach, den Nerven nie sicht-
bar, §. 32. wohl aber die mechanische Maschine, in die
sich der Nerve verliert. §. 153. Also schließe dieser Vor-

zug
1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt.
§. 382.

Vielleicht kann aber ein Muskel durch einen Reiz ſo
geruͤhret werden, daß er ſich thieriſch beweget, ohne daß
dieſer Reiz zugleich in ſeinem Nerven einen ſinnlichen Ein-
druck machete? Denn nicht jede Beruͤhrung verurſachet in
einem und eben demſelben, noch viel weniger in jedem Ner-
ven, einen ſinnlichen Eindruck. §. 32. Vielleicht wird
die Muskelfaſer von ſolchen Reizen thieriſch beweget, die
den Nerven in ihr nicht ſinnlich ruͤhren?

Dieſer Einwurf wuͤrde wichtig ſeyn, wenn nur vorher
ausgemachet worden waͤre, daß die Muskelfaſer, ohne ih-
ren Nerven einer thieriſchen Bewegung faͤhig ſey. Allein
eben hieran mangelt es ſchlechterdings. Zudem beweiſt
auch die Erfahrung, daß die Eindruͤcke, welche die Mus-
keln thieriſch bewegen, auch die Nerven ſinnlich reizen, weil
ſie empfunden werden koͤnnen. Wir wollen das Erheblich-
ſte, was der Herr v. Haller, als der Urheber dieſer Mey-
nung, zu ihrer Vertheidigung noch angefuͤhret hat, in Be-
trachtung ziehen, und denn daraus einen Schluß machen.

§. 383.

1. „Der Muskel beweget ſich thieriſch, wenn er beruͤh-
„ret wird: der Nerve aber nicht. Alſo mangelt dem Ner-
„ven das reizbare Weſen, was die Muskelfaſer beſitzt. H. P.
„§. 407. Mithin iſt dieſe Reizbarkeit, das iſt, die
„Faͤhigkeit, von einer gewiſſen Beruͤhrung ſich thieriſch
„zu bewegen, der Muskelfaſer vor dem Nerven
„eigen.“

Unſtreitig! aber urſpruͤnglich? kann ſie dieſe Faͤhigkeit
nicht blos durch ihren Nerven haben? Wenn die Muskel-
faſer eine mechaniſche Maſchine iſt, die von den ſinnlichen
Eindruͤcken in ihre Nerven beweget wird; ſo hat ſie dennoch
dieſe Faͤhigkeit vor dem Nerven voraus: denn der ſinnliche
Eindruck beweget, ſeiner Natur nach, den Nerven nie ſicht-
bar, §. 32. wohl aber die mechaniſche Maſchine, in die
ſich der Nerve verliert. §. 153. Alſo ſchließe dieſer Vor-

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[381/0405] 1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt. §. 382. Vielleicht kann aber ein Muskel durch einen Reiz ſo geruͤhret werden, daß er ſich thieriſch beweget, ohne daß dieſer Reiz zugleich in ſeinem Nerven einen ſinnlichen Ein- druck machete? Denn nicht jede Beruͤhrung verurſachet in einem und eben demſelben, noch viel weniger in jedem Ner- ven, einen ſinnlichen Eindruck. §. 32. Vielleicht wird die Muskelfaſer von ſolchen Reizen thieriſch beweget, die den Nerven in ihr nicht ſinnlich ruͤhren? Dieſer Einwurf wuͤrde wichtig ſeyn, wenn nur vorher ausgemachet worden waͤre, daß die Muskelfaſer, ohne ih- ren Nerven einer thieriſchen Bewegung faͤhig ſey. Allein eben hieran mangelt es ſchlechterdings. Zudem beweiſt auch die Erfahrung, daß die Eindruͤcke, welche die Mus- keln thieriſch bewegen, auch die Nerven ſinnlich reizen, weil ſie empfunden werden koͤnnen. Wir wollen das Erheblich- ſte, was der Herr v. Haller, als der Urheber dieſer Mey- nung, zu ihrer Vertheidigung noch angefuͤhret hat, in Be- trachtung ziehen, und denn daraus einen Schluß machen. §. 383. 1. „Der Muskel beweget ſich thieriſch, wenn er beruͤh- „ret wird: der Nerve aber nicht. Alſo mangelt dem Ner- „ven das reizbare Weſen, was die Muskelfaſer beſitzt. H. P. „§. 407. Mithin iſt dieſe Reizbarkeit, das iſt, die „Faͤhigkeit, von einer gewiſſen Beruͤhrung ſich thieriſch „zu bewegen, der Muskelfaſer vor dem Nerven „eigen.“ Unſtreitig! aber urſpruͤnglich? kann ſie dieſe Faͤhigkeit nicht blos durch ihren Nerven haben? Wenn die Muskel- faſer eine mechaniſche Maſchine iſt, die von den ſinnlichen Eindruͤcken in ihre Nerven beweget wird; ſo hat ſie dennoch dieſe Faͤhigkeit vor dem Nerven voraus: denn der ſinnliche Eindruck beweget, ſeiner Natur nach, den Nerven nie ſicht- bar, §. 32. wohl aber die mechaniſche Maſchine, in die ſich der Nerve verliert. §. 153. Alſo ſchließe dieſer Vor- zug

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/405>, abgerufen am 21.11.2024.