Man hat den Nerven, der in einen Muskel hinein- dringt, und sich darinn verliert, abgeschnitten, und der Muskel ist dennoch durch einen äußern Reiz thierisch bewe- get worden. Jst dieß wohl der verlangte Beweis? Nein, keinesweges. Das Abschneiden des Nervenstammes, der sich im Muskel vertheilet, vernichtet seine Zweige nicht, die sich in ihm ins Unendliche verlieren: so lange aber der Muskel diese behält, ist auch die thierische bewegende Kraft vom Nerven ihm noch einverleibet. Denn
1. behalten die Nerven ihre blos thierische bewegende Kraft vom äußern sinnlichen Eindrucke, von dem Punkte des Eindrucks an bis zum Punkt der Trennung, wo sie abgeschnitten worden sind. §. 357. 358. So lange nun nicht erwiesen werden kann, daß der Reiz, welcher einen Muskel, dessen Nerve abgeschnitten worden, thierisch be- weget, keinen äußern sinnlichen Eindruck in die Nerven- spitzen im Muskel habe machen können, und daß davon die thierische Bewegung desselben nicht entstanden sey, ist auch die eigenthümliche thierische Kraft der Muskelfaser aus diesem Versuche nicht erwiesen. §. 380. Ob also gleich z. E. die Bewegung des ausgeschnittenen Herzens, von einem Reize mit einer Nadel, mit ätzenden Mitteln, mit eingespritztem Wasser, etc. erneuert und vermehret wird, so beweist dieß doch nicht, daß der Reiz diese Wirkung, ohne Zuthun der Nerven, durch die Muskelfaser bewerk- stelliget habe, da er sie unstreitig durch den äußern sinnli- chen Eindruck in die Nerven des Herzens verrichten kann; weil jeder Punkt eines Muskels, auch des Herzens, sowohl in seiner äußern als innern Oberfläche, den die Spitze ei- ner Nadel berühret, im gesunden Zustande, diesen Reiz so empfangen kann, daß er empfunden wird, welches nur durch die Nerven möglich ist, und zwar durch einen äu- ßern sinnlichen Eindruck, den eben dieser Reiz erreget, §. 35. und weil in jedem Falle, es mag dieser Eindruck bis zum Gehirn fortgehen, oder nicht, eben dieselbe Vermeh-
rung
1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt.
§. 381.
Man hat den Nerven, der in einen Muskel hinein- dringt, und ſich darinn verliert, abgeſchnitten, und der Muskel iſt dennoch durch einen aͤußern Reiz thieriſch bewe- get worden. Jſt dieß wohl der verlangte Beweis? Nein, keinesweges. Das Abſchneiden des Nervenſtammes, der ſich im Muskel vertheilet, vernichtet ſeine Zweige nicht, die ſich in ihm ins Unendliche verlieren: ſo lange aber der Muskel dieſe behaͤlt, iſt auch die thieriſche bewegende Kraft vom Nerven ihm noch einverleibet. Denn
1. behalten die Nerven ihre blos thieriſche bewegende Kraft vom aͤußern ſinnlichen Eindrucke, von dem Punkte des Eindrucks an bis zum Punkt der Trennung, wo ſie abgeſchnitten worden ſind. §. 357. 358. So lange nun nicht erwieſen werden kann, daß der Reiz, welcher einen Muskel, deſſen Nerve abgeſchnitten worden, thieriſch be- weget, keinen aͤußern ſinnlichen Eindruck in die Nerven- ſpitzen im Muskel habe machen koͤnnen, und daß davon die thieriſche Bewegung deſſelben nicht entſtanden ſey, iſt auch die eigenthuͤmliche thieriſche Kraft der Muskelfaſer aus dieſem Verſuche nicht erwieſen. §. 380. Ob alſo gleich z. E. die Bewegung des ausgeſchnittenen Herzens, von einem Reize mit einer Nadel, mit aͤtzenden Mitteln, mit eingeſpritztem Waſſer, ꝛc. erneuert und vermehret wird, ſo beweiſt dieß doch nicht, daß der Reiz dieſe Wirkung, ohne Zuthun der Nerven, durch die Muskelfaſer bewerk- ſtelliget habe, da er ſie unſtreitig durch den aͤußern ſinnli- chen Eindruck in die Nerven des Herzens verrichten kann; weil jeder Punkt eines Muskels, auch des Herzens, ſowohl in ſeiner aͤußern als innern Oberflaͤche, den die Spitze ei- ner Nadel beruͤhret, im geſunden Zuſtande, dieſen Reiz ſo empfangen kann, daß er empfunden wird, welches nur durch die Nerven moͤglich iſt, und zwar durch einen aͤu- ßern ſinnlichen Eindruck, den eben dieſer Reiz erreget, §. 35. und weil in jedem Falle, es mag dieſer Eindruck bis zum Gehirn fortgehen, oder nicht, eben dieſelbe Vermeh-
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1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt.
§. 381.
Man hat den Nerven, der in einen Muskel hinein-
dringt, und ſich darinn verliert, abgeſchnitten, und der
Muskel iſt dennoch durch einen aͤußern Reiz thieriſch bewe-
get worden. Jſt dieß wohl der verlangte Beweis? Nein,
keinesweges. Das Abſchneiden des Nervenſtammes, der
ſich im Muskel vertheilet, vernichtet ſeine Zweige nicht,
die ſich in ihm ins Unendliche verlieren: ſo lange aber der
Muskel dieſe behaͤlt, iſt auch die thieriſche bewegende Kraft
vom Nerven ihm noch einverleibet. Denn
1. behalten die Nerven ihre blos thieriſche bewegende
Kraft vom aͤußern ſinnlichen Eindrucke, von dem Punkte
des Eindrucks an bis zum Punkt der Trennung, wo ſie
abgeſchnitten worden ſind. §. 357. 358. So lange nun
nicht erwieſen werden kann, daß der Reiz, welcher einen
Muskel, deſſen Nerve abgeſchnitten worden, thieriſch be-
weget, keinen aͤußern ſinnlichen Eindruck in die Nerven-
ſpitzen im Muskel habe machen koͤnnen, und daß davon
die thieriſche Bewegung deſſelben nicht entſtanden ſey, iſt
auch die eigenthuͤmliche thieriſche Kraft der Muskelfaſer
aus dieſem Verſuche nicht erwieſen. §. 380. Ob alſo
gleich z. E. die Bewegung des ausgeſchnittenen Herzens,
von einem Reize mit einer Nadel, mit aͤtzenden Mitteln,
mit eingeſpritztem Waſſer, ꝛc. erneuert und vermehret wird,
ſo beweiſt dieß doch nicht, daß der Reiz dieſe Wirkung,
ohne Zuthun der Nerven, durch die Muskelfaſer bewerk-
ſtelliget habe, da er ſie unſtreitig durch den aͤußern ſinnli-
chen Eindruck in die Nerven des Herzens verrichten kann;
weil jeder Punkt eines Muskels, auch des Herzens, ſowohl
in ſeiner aͤußern als innern Oberflaͤche, den die Spitze ei-
ner Nadel beruͤhret, im geſunden Zuſtande, dieſen Reiz ſo
empfangen kann, daß er empfunden wird, welches nur
durch die Nerven moͤglich iſt, und zwar durch einen aͤu-
ßern ſinnlichen Eindruck, den eben dieſer Reiz erreget, §.
35. und weil in jedem Falle, es mag dieſer Eindruck bis
zum Gehirn fortgehen, oder nicht, eben dieſelbe Vermeh-
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/403>, abgerufen am 22.11.2024.
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