Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.1 Kap. Die Nervenkräfte überhaupt. ins Gehirn seyn, und müßte alsdann das Hirnmark nicht,außer seinen thierischen Seelenkräften auch bloße Nerven- kräfte vom äußern sinnlichen Eindrucke besitzen? Es ist schwer auszumachen, ob äußere sinnliche Eindrücke ins Hirnmark jederzeit empfunden werden, oder nicht, und ob sie, im letzten Falle, auch eben dieselben thierischen Bewe- gungen im Körper wirken, als wenn sie empfunden wer- den. Da indessen viele Verwundungen des Gehirns gar nicht schmerzhaft noch merklich sind, und fremde Körper sich Jahre lang, ohne Wissen des Kranken darinn aufhal- ten können; so ist es allerdings wahrscheinlich, daß zuwei- len äußere sinnliche Eindrücke ins Hirnmark selbst bloße Nervenwirkungen im Körper äußern, und daß also das Gehirn einiger Nervenkräfte von äußern sinnlichen Ein- drücken wohl fähig seyn möge. Es scheinen auch manche Beyspiele damit einzustimmen. "Jemanden war ein spi- "tziger Knochen ins Gehirn getrieben. Es folgeten lange "Zeit keine Zufälle darauf: aber endlich stelleten sich Kräm- "pfe und der Tod bey einem großen Geschwüre im Gehirne "ein." H. gr. P. 4 B. S. 525. not. l. Jndessen kann man doch von dieser seiner blos thierischen Kraft, in so fern sie vom äußern sinnlichen Eindrucke herrühren soll, nichts zuverlässiges sagen. (vergl. §. 624. N. 4.) Es ist aber desto wahrscheinlicher, daß ein innerer sinnlicher Eindruck ins Hirnmark, der nicht von Vorstellungen herrühret, eben solche thierische Bewegungen als Nervenwirkungen, im Körper äußere, als wenn eine Vorstellung ihn gemachet hätte, da es im Rückenmarke beständig geschieht, welches doch mit dem Hirnmarke einerley ist. §. 12. Schon in dem eben itzt angenommenen Falle, wenn ein äußerer sinn- licher Eindruck ins Hirnmark, ohne empfunden zu werden, gleichwohl thierische Bewegungen im Körper verursachete, würde es der ohne Vermittelung einer Vorstellung reflek- tirte äußere sinnliche Eindruck, als ein innerer, ohne von der thierischen Seelenkraft des Gehirns herzurühren, be- werkstelligen müssen. Allein, ohne diesen ungewissen Fall zu A a 2
1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt. ins Gehirn ſeyn, und muͤßte alsdann das Hirnmark nicht,außer ſeinen thieriſchen Seelenkraͤften auch bloße Nerven- kraͤfte vom aͤußern ſinnlichen Eindrucke beſitzen? Es iſt ſchwer auszumachen, ob aͤußere ſinnliche Eindruͤcke ins Hirnmark jederzeit empfunden werden, oder nicht, und ob ſie, im letzten Falle, auch eben dieſelben thieriſchen Bewe- gungen im Koͤrper wirken, als wenn ſie empfunden wer- den. Da indeſſen viele Verwundungen des Gehirns gar nicht ſchmerzhaft noch merklich ſind, und fremde Koͤrper ſich Jahre lang, ohne Wiſſen des Kranken darinn aufhal- ten koͤnnen; ſo iſt es allerdings wahrſcheinlich, daß zuwei- len aͤußere ſinnliche Eindruͤcke ins Hirnmark ſelbſt bloße Nervenwirkungen im Koͤrper aͤußern, und daß alſo das Gehirn einiger Nervenkraͤfte von aͤußern ſinnlichen Ein- druͤcken wohl faͤhig ſeyn moͤge. Es ſcheinen auch manche Beyſpiele damit einzuſtimmen. „Jemanden war ein ſpi- „tziger Knochen ins Gehirn getrieben. Es folgeten lange „Zeit keine Zufaͤlle darauf: aber endlich ſtelleten ſich Kraͤm- „pfe und der Tod bey einem großen Geſchwuͤre im Gehirne „ein.“ H. gr. P. 4 B. S. 525. not. l. Jndeſſen kann man doch von dieſer ſeiner blos thieriſchen Kraft, in ſo fern ſie vom aͤußern ſinnlichen Eindrucke herruͤhren ſoll, nichts zuverlaͤſſiges ſagen. (vergl. §. 624. N. 4.) Es iſt aber deſto wahrſcheinlicher, daß ein innerer ſinnlicher Eindruck ins Hirnmark, der nicht von Vorſtellungen herruͤhret, eben ſolche thieriſche Bewegungen als Nervenwirkungen, im Koͤrper aͤußere, als wenn eine Vorſtellung ihn gemachet haͤtte, da es im Ruͤckenmarke beſtaͤndig geſchieht, welches doch mit dem Hirnmarke einerley iſt. §. 12. Schon in dem eben itzt angenommenen Falle, wenn ein aͤußerer ſinn- licher Eindruck ins Hirnmark, ohne empfunden zu werden, gleichwohl thieriſche Bewegungen im Koͤrper verurſachete, wuͤrde es der ohne Vermittelung einer Vorſtellung reflek- tirte aͤußere ſinnliche Eindruck, als ein innerer, ohne von der thieriſchen Seelenkraft des Gehirns herzuruͤhren, be- werkſtelligen muͤſſen. Allein, ohne dieſen ungewiſſen Fall zu A a 2
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1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt.
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kraͤfte vom aͤußern ſinnlichen Eindrucke beſitzen? Es iſt
ſchwer auszumachen, ob aͤußere ſinnliche Eindruͤcke ins
Hirnmark jederzeit empfunden werden, oder nicht, und ob
ſie, im letzten Falle, auch eben dieſelben thieriſchen Bewe-
gungen im Koͤrper wirken, als wenn ſie empfunden wer-
den. Da indeſſen viele Verwundungen des Gehirns gar
nicht ſchmerzhaft noch merklich ſind, und fremde Koͤrper
ſich Jahre lang, ohne Wiſſen des Kranken darinn aufhal-
ten koͤnnen; ſo iſt es allerdings wahrſcheinlich, daß zuwei-
len aͤußere ſinnliche Eindruͤcke ins Hirnmark ſelbſt bloße
Nervenwirkungen im Koͤrper aͤußern, und daß alſo das
Gehirn einiger Nervenkraͤfte von aͤußern ſinnlichen Ein-
druͤcken wohl faͤhig ſeyn moͤge. Es ſcheinen auch manche
Beyſpiele damit einzuſtimmen. „Jemanden war ein ſpi-
„tziger Knochen ins Gehirn getrieben. Es folgeten lange
„Zeit keine Zufaͤlle darauf: aber endlich ſtelleten ſich Kraͤm-
„pfe und der Tod bey einem großen Geſchwuͤre im Gehirne
„ein.“ H. gr. P. 4 B. S. 525. not. l. Jndeſſen kann
man doch von dieſer ſeiner blos thieriſchen Kraft, in ſo fern
ſie vom aͤußern ſinnlichen Eindrucke herruͤhren ſoll, nichts
zuverlaͤſſiges ſagen. (vergl. §. 624. N. 4.) Es iſt aber
deſto wahrſcheinlicher, daß ein innerer ſinnlicher Eindruck
ins Hirnmark, der nicht von Vorſtellungen herruͤhret, eben
ſolche thieriſche Bewegungen als Nervenwirkungen, im
Koͤrper aͤußere, als wenn eine Vorſtellung ihn gemachet
haͤtte, da es im Ruͤckenmarke beſtaͤndig geſchieht, welches
doch mit dem Hirnmarke einerley iſt. §. 12. Schon in
dem eben itzt angenommenen Falle, wenn ein aͤußerer ſinn-
licher Eindruck ins Hirnmark, ohne empfunden zu werden,
gleichwohl thieriſche Bewegungen im Koͤrper verurſachete,
wuͤrde es der ohne Vermittelung einer Vorſtellung reflek-
tirte aͤußere ſinnliche Eindruck, als ein innerer, ohne von
der thieriſchen Seelenkraft des Gehirns herzuruͤhren, be-
werkſtelligen muͤſſen. Allein, ohne dieſen ungewiſſen Fall
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