Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

rung zusammenbebte, weil ich in jeder das Antasten der besudelten Hand des Lasters argwöhnte. Endlich sendete mir der Himmel Rettung, sie kam, als ich schon mit gebrochenem Auge, durchwühlt von den Qualen des Hungers, auf den Treppenstufen der prachtvollen Kirchen lag, die ihre Kuppeln und Thürme triumphirend über dieses Häuserfeld emporstrecken. Ein ältlicher Mann, feine, gebildete Züge unter dem Schatten dichter, grauer Locken zeigend, erhob mich durch den milden Zuspruch seines Trostwortes. Ich kränkte auch ihn durch Mißtrauen und abweisende Kälte, allein sein warmes Herz blickte durch die starre Rinde des meinigen hindurch. Ich mußte ihm in seine Wohnung folgen. Er war Künstler. Was seine Worte, seine Bitten nicht vermochten, das bewirkten seine Bilder. Ich fühlte mich bei ihm einheimisch. Wie soll ich Ihnen, theurer Freund, erzählen, was Güte und Liebe vermögen? Kann ich's überhaupt? Wie läßt sich beschreiben, was im Innern der Pflanze vorgeht, wenn der lang abgehaltene Sonnenstrahl sie mit den wonnigen Schauern der Kraft und Wärme durchdringt? So legte und sammelte ein edler Mensch ganze Schätze der Freundlichkeit und Liebestreue auf mein Herz. Er und die Kunst, beide wirkten zusammen, um mein Dasein aus den Trümmern zu heben, um die verblaßte Gestalt des Gottes, dem ich einst in Demuth diente, wieder neu aufzufrischen. Mit dem ersten Bilde, das ich malte, drang auch das erste Gebet wieder aus meinem Herzen. Ich hatte die Wüste durchschritten und befand mich gegenüber

rung zusammenbebte, weil ich in jeder das Antasten der besudelten Hand des Lasters argwöhnte. Endlich sendete mir der Himmel Rettung, sie kam, als ich schon mit gebrochenem Auge, durchwühlt von den Qualen des Hungers, auf den Treppenstufen der prachtvollen Kirchen lag, die ihre Kuppeln und Thürme triumphirend über dieses Häuserfeld emporstrecken. Ein ältlicher Mann, feine, gebildete Züge unter dem Schatten dichter, grauer Locken zeigend, erhob mich durch den milden Zuspruch seines Trostwortes. Ich kränkte auch ihn durch Mißtrauen und abweisende Kälte, allein sein warmes Herz blickte durch die starre Rinde des meinigen hindurch. Ich mußte ihm in seine Wohnung folgen. Er war Künstler. Was seine Worte, seine Bitten nicht vermochten, das bewirkten seine Bilder. Ich fühlte mich bei ihm einheimisch. Wie soll ich Ihnen, theurer Freund, erzählen, was Güte und Liebe vermögen? Kann ich's überhaupt? Wie läßt sich beschreiben, was im Innern der Pflanze vorgeht, wenn der lang abgehaltene Sonnenstrahl sie mit den wonnigen Schauern der Kraft und Wärme durchdringt? So legte und sammelte ein edler Mensch ganze Schätze der Freundlichkeit und Liebestreue auf mein Herz. Er und die Kunst, beide wirkten zusammen, um mein Dasein aus den Trümmern zu heben, um die verblaßte Gestalt des Gottes, dem ich einst in Demuth diente, wieder neu aufzufrischen. Mit dem ersten Bilde, das ich malte, drang auch das erste Gebet wieder aus meinem Herzen. Ich hatte die Wüste durchschritten und befand mich gegenüber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0088"/>
rung zusammenbebte, weil ich in jeder das                Antasten der besudelten Hand des Lasters argwöhnte. Endlich sendete mir der Himmel                Rettung, sie kam, als ich schon mit gebrochenem Auge, durchwühlt von den Qualen des                Hungers, auf den Treppenstufen der prachtvollen Kirchen lag, die ihre Kuppeln und                Thürme triumphirend über dieses Häuserfeld emporstrecken. Ein ältlicher Mann, feine,                gebildete Züge unter dem Schatten dichter, grauer Locken zeigend, erhob mich durch                den milden Zuspruch seines Trostwortes. Ich kränkte auch ihn durch Mißtrauen und                abweisende Kälte, allein sein warmes Herz blickte durch die starre Rinde des meinigen                hindurch. Ich mußte ihm in seine Wohnung folgen. Er war Künstler. Was seine Worte,                seine Bitten nicht vermochten, das bewirkten seine Bilder. Ich fühlte mich bei ihm                einheimisch. Wie soll ich Ihnen, theurer Freund, erzählen, was Güte und Liebe                vermögen? Kann ich's überhaupt? Wie läßt sich beschreiben, was im Innern der Pflanze                vorgeht, wenn der lang abgehaltene Sonnenstrahl sie mit den wonnigen Schauern der                Kraft und Wärme durchdringt? So legte und sammelte ein edler Mensch ganze Schätze der                Freundlichkeit und Liebestreue auf mein Herz. Er und die Kunst, beide wirkten                zusammen, um mein Dasein aus den Trümmern zu heben, um die verblaßte Gestalt des                Gottes, dem ich einst in Demuth diente, wieder neu aufzufrischen. Mit dem ersten                Bilde, das ich malte, drang auch das erste Gebet wieder aus meinem Herzen. Ich hatte                die Wüste durchschritten und befand mich gegenüber<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0088] rung zusammenbebte, weil ich in jeder das Antasten der besudelten Hand des Lasters argwöhnte. Endlich sendete mir der Himmel Rettung, sie kam, als ich schon mit gebrochenem Auge, durchwühlt von den Qualen des Hungers, auf den Treppenstufen der prachtvollen Kirchen lag, die ihre Kuppeln und Thürme triumphirend über dieses Häuserfeld emporstrecken. Ein ältlicher Mann, feine, gebildete Züge unter dem Schatten dichter, grauer Locken zeigend, erhob mich durch den milden Zuspruch seines Trostwortes. Ich kränkte auch ihn durch Mißtrauen und abweisende Kälte, allein sein warmes Herz blickte durch die starre Rinde des meinigen hindurch. Ich mußte ihm in seine Wohnung folgen. Er war Künstler. Was seine Worte, seine Bitten nicht vermochten, das bewirkten seine Bilder. Ich fühlte mich bei ihm einheimisch. Wie soll ich Ihnen, theurer Freund, erzählen, was Güte und Liebe vermögen? Kann ich's überhaupt? Wie läßt sich beschreiben, was im Innern der Pflanze vorgeht, wenn der lang abgehaltene Sonnenstrahl sie mit den wonnigen Schauern der Kraft und Wärme durchdringt? So legte und sammelte ein edler Mensch ganze Schätze der Freundlichkeit und Liebestreue auf mein Herz. Er und die Kunst, beide wirkten zusammen, um mein Dasein aus den Trümmern zu heben, um die verblaßte Gestalt des Gottes, dem ich einst in Demuth diente, wieder neu aufzufrischen. Mit dem ersten Bilde, das ich malte, drang auch das erste Gebet wieder aus meinem Herzen. Ich hatte die Wüste durchschritten und befand mich gegenüber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:43:38Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/88
Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/88>, abgerufen am 22.11.2024.